Der EuGH hat entschieden, dass die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen die Einhaltung der Vorschriften des Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes zu prüfen, auf Insolvenzverfahren Anwendung findet.
Im August 2011 schlossen die Eheleute R. mit der Gesellschaft Smart Hypo einen Vertrag über einen Verbraucherkredit i.H.v. 1.170.000 tschechischen Kronen (CZK) (ca. 43.300 Euro). Sie verpflichteten sich, an den Kreditgeber 2.958.000 CZK (ca. 109.500 Euro) in 120 Monatsraten zurückzuzahlen (der effektive Jahreszins des Kredits belief sich auf 28,9%) und ihm, für den Fall, dass es ihnen nicht gelänge, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, bedeutende Vertragsstrafen zu zahlen.
Streit über Verbraucherkreditvertrag
Im September 2011 forderte die Gesellschaft Finway, an die Smart Hypo ihre Forderungen gegen die Eheleute abgetreten hatte, diese auf, ihr unverzüglich die gesamte Schuld einschließlich Zinsen, Kosten und Vertragsstrafen zurückzuzahlen. Dies wurde damit begründet, dass die Eheleute sie bei Abschluss des Vertrags nicht darüber informiert hätten, dass eine Zwangsvollstreckung wegen eines Betrags von 4.285 CZK (ca. 160 Euro) in ihr Grundeigentum angeordnet worden sei. Im April 2013 erklärte der Krajský soud v Praze (Regionalgericht Prag, Tschechische Republik) die Eheleute für insolvent und eröffnete ein sie betreffendes Insolvenzverfahren. Im Rahmen dieses Verfahrens erhoben sie Einwendungen gegen den von Finway geforderten Betrag (4.405.531 CZK, also ca. 163.000 Euro).
Tschechisches Regionalgericht ruft EuGH an
In diesem Zusammenhang hat der Krajský soud v Praze den EuGH gefragt, ob die Vorschriften des Unionsrechts über den Verbraucherschutz den tschechischen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die es dem zur Entscheidung über die Insolvenz berufenen Gericht nicht erlauben, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer in einem Verbrauchervertrag festgelegten Vertragsklausel zu prüfen. Das tschechische Gericht möchte zudem wissen, ob das nationale Gericht von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Informationen über Verbraucherkreditverträge, die in diesen aufgeführt sein müssen, klar und prägnant angegeben worden sind.
EU-Verbraucherschutz findet Anwendung
Der EuGH hat am 21.04.2016 mit Urteil C-377/14 entschieden, dass die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln (RL 93/13/EWG) der tschechischen Regelung entgegensteht, die es dem Gericht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht erlaubt, den missbräuchlichen Charakter einer in einem Verbrauchervertrag festgelegten Klausel zu prüfen, obwohl das Gericht über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. Diese Richtlinie stehe der fraglichen Regelung auch insoweit entgegen, als nach dieser nur bestimmte Forderungen wegen einiger eingeschränkter Gründe (Verjährung oder Erlöschen) bestritten werden könnten.
Prüfpflicht des Gerichts im Insolvenzverfahren
Der EuGH hat festgestellt, dass die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen zu prüfen, ob Gewerbetreibende die Vorschriften des Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes eingehalten haben, auf Insolvenzverfahren Anwendung finde und auch für die Vorschriften über Verbraucherkredite gelte. Das Bestehen einer solchen Verpflichtung habe der EuGH bereits in Bezug auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts anerkannt, die für missbräuchliche Klauseln gelten, die in Verbraucherverträgen, in außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Verträgen des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter festgelegt seien. Außerdem müsse nach der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge (RL 2008/48/EG) ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über Forderungen aus einem solchen Vertrag anhängig sei, ebenfalls von Amts wegen prüfen, ob die Informationen über den Kredit (wie beispielsweise der effektive Jahreszins), die in diesem Vertrag aufgeführt sein müssten, in klarer und prägnanter Form angegeben worden seien. Das Gericht sei in der Folge auch verpflichtet, alle Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dem Verstoß gegen die Informationspflicht nach seinem innerstaatlichen Recht ergeben (die Sanktionen müssten wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein).
(EuGH, PM Nr. 43/16 vom 21.04.2016 /Viola C. Didier)