Inhaltlich ging es in dem Urteil um die Frage, wann der Erwerber eines erbschaftsteuerrechtlich begünstigten Familienheims sich auf zwingende Gründe für seinen Auszug berufen kann, um einer Nachversteuerung zu entgehen. Denn grundsätzlich fällt die Steuerbefreiung mit Wirkung für die Vergangenheit weg (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO), wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 5 ErbStG).
Der Sachverhalt
Nach dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt musste die Klägerin, die das Familienheim von ihrem Vater geerbt hatte, sieben Jahre nach dem Erwerb aus diesem ausziehen. Als aus ihrer Sicht zwingende Gründe für den Auszug führte sie an, das Haus sei aufgrund baulicher Mängel nicht mehr bewohnbar gewesen. Zudem habe sie sich aus gesundheitlichen Gründen (Bandscheibenvorfälle und ein nicht operabler Hüftschaden) nicht mehr allein in dem Haus, in dem sie das Obergeschoss bewohnte, bewegen können. Das FG lehnte die Klage gegen den daraufhin ergangenen Festsetzungsbescheid über die Erbschaftsteuer ohne die Steuerbefreiung für das Familienheim ab. Die vom Gesetz geforderten zwingenden Gründe für die Beendigung der Selbstnutzung müssten objektive Gründe sein, die die Haushaltsführung in dem betroffenen Familienheim unmöglich machten wie zum Beispiel Pflegebedürftigkeit oder Tod.
Die Entscheidung des BFH
Wie auch in den vergangenen Urteilen zum Familienheim war Maßstab der Entscheidung des BFH eine enge Auslegung, die für Steuerbefreiungsvorschriften und damit entsprechend für die Ausnahme von der Nachversteuerung verfassungsrechtlich geboten ist. Auslegungsbedürftig war insofern, ob sich in dem Merkmal „aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ die Hinderungsgründe auf die Selbstnutzung des begünstigten Familienheims beziehen müssen oder ob der Erwerber generell zur Führung eines eigenen Haushalts nicht mehr in der Lage sein müsse.
Hinderung muss sich auf das betreffende Familienheim beziehen
Trotz der verfassungsrechtlich gebotenen engen Auslegung vertritt der BFH eine von der Vorinstanz und anderen FG-Urteilen zum Familienheim abweichende Rechtsauffassung, die sich insbesondere an der in der Gesetzesbegründung niedergelegten Zielrichtung der Vorschrift orientiert. Zweck der Begünstigung sei es u.a., das Familiengebrauchsvermögen zu erhalten und den gemeinsamen familiären Lebensraum zu schützen. Beende ein Erwerber die Selbstnutzung, falle dieses Schutzziel fort. Die Rückausnahme von der Nachversteuerung aus Billigkeitsgründen wegen einer Zwangslage könne sich sinnvollerweise nur auf dieses Schutzziel beziehen, also die Selbstnutzung des Familienheims mit dem familiären Lebensraum. Denn auch das verfassungsrechtliche Gebot enger Auslegung vermöge keine zweckwidrige Auslegung zu rechtfertigen, so das Gericht. Demnach hält es der BFH nicht für erforderlich, dass der Erwerber generell nicht mehr zur Führung eines eigenen Haushalts in der Lage ist.
Zudem stützt der Senat seine Ansicht auch auf den Wortlaut des gesetzlichen Nachversteuerungstatbestandes. Die Formulierung der Ausnahme „an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“, die dem Tatbestand „der Erwerber das Familienheim … nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt“ unmittelbar folge, könne nur die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims meinen. Eine Hinderung zu jeglicher Haushaltsführung auch an anderen Orten wäre eine ungeschriebene Voraussetzung, die zudem im Widerspruch zur Zweckrichtung der Begünstigung stehe.
Objektive Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit statt persönlicher Zweckmäßigkeitserwägungen
Laut BFH ist es für das Vorliegen zwingender Gründe erforderlich, dass dem Erwerber die Selbstnutzung des Familienheims aus zwingenden Gründen unter den konkreten Umständen objektiv unmöglich oder unzumutbar ist. Grundsätzlich sei auch die Inanspruchnahme eines Pflegedienstes in dem begünstigt erworbenen Familienheim zumutbar. Eine Abgrenzung nimmt der BFH zur Hinderung aus persönlichen oder wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitserwägungen vor. Solange die Beendigung Gegenstand der freien Entscheidung des Erwerbers sei, könne sie, auch wenn sie nachvollziehbar und verständig erscheine, nicht „zwingend“ im Sinne der gesetzlichen Vorschrift sein. Unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte falle im Übrigen auch der bauliche Zustand des Gebäudes, weil dieser veränderten Lebensumständen angepasst werden könne und daher allein kein zwingender Grund für einen Auszug sei. Der BFH betont, dass es auf eine Gesamtwürdigung aller Tatsachen des Einzelfalls ankommt. Der Erwerber trage die Feststellungslast für die Tatsachen, auf die er die objektive Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit stütze.
Bei Vorliegen zwingender Gründe ist spätere Veräußerung oder Abriss unschädlich
Abschließend hält der BFH fest, dass eine spätere Veräußerung oder ein Abriss, wie ihn die Klägerin nach ihrem Auszug aus dem Familienheim veranlasste, unschädlich ist, wenn der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer weiteren Selbstnutzung gehindert ist. Wenn schon die Beendigung der Selbstnutzung erbschaftsteuerrechtlich unschädlich sei, müsse dies ebenso für eine spätere Veräußerung oder einen späteren Abriss gelten.
Fazit
Die Entscheidung reiht sich in mehrere BFH-Urteile ein, in denen der Senat stets die verfassungsrechtlich gebotene enge Auslegung betont. Auch wenn die Aufhebung der vorinstanzlichen Klageabweisung für den Steuerpflichtigen zunächst positiv erscheint, dürfte der vom BFH niedergelegte strenge Maßstab bei der Darlegung der objektiven Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit im Einzelfall doch eine hohe Hürde darstellen. Diese dürfte entsprechend für Erwerb von Todes wegen des Familienheims durch den Ehegatten gelten (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5 ErbStG). Im Rahmen der Nachfolgeplanung und Versorgung des Ehegatten ist es erbschaft- und schenkungsteuerlich regelmäßig empfehlenswert, das Familienheim unter Lebenden auf den Ehegatten zu übertragen, weil es für diesen Fall der schenkungsteuerlichen Begünstigung keine Pflicht zur zehnjährigen Selbstnutzung nach Übertragung gibt (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG).