Sachverhalt
Geklagt hatten drei Geschwister welche im Jahr 2005 von ihrem Vater Anteile an einer schwedischen Aktiengesellschaft geschenkt bekommen hatten. Der Vater unterhielt im Zeitpunkt der Schenkung Wohnsitze in Deutschland und Schweden, sein Lebensmittelpunkt lag damals unstreitig in Schweden. Die Beschenkten waren nicht in Deutschland ansässig.
Das beklagte Finanzamt setzte gegen die drei Geschwister Schenkungsteuer fest. Der Schenker sei Inländer nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ErbStG, da er zum Zeitpunkt der Ausführung einen Wohnsitz in Deutschland hatte. Die Schenkung sei daher grundsätzlich in Deutschland steuerbar.
Die Finanzverwaltung argumentierte unter Bezugnahme auf das Tatbestandsmerkmal „Steuerpflicht“ des Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA-S, dass für Zwecke der Schenkungsteuer eine Person nur dann in einem Vertragsstaat ansässig sein könne, wenn der Schenker nach dem Recht des Staates dort aufgrund seines Wohnsitzes, seines ständigen Aufenthalts oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Da die Erbschaft- und Schenkungsteuer in Schweden mit Wirkung zum 1.1.2005 abgeschafft worden war, ist die Vorschrift nach Auffassung der Finanzverwaltung so auszulegen, dass Schweden nicht mehr Ansässigkeitsstaat im Sinne der Vorschrift sein könne. Das Besteuerungsrecht stehe vielmehr nach Art. 24 Abs. 3 DBA-S Deutschland zu, da der Schenker nach Art. 4 Abs. 1, 2 DBA-S allein in Deutschland ansässig sei.
Die Finanzverwaltung macht die Ansässigkeit für Zwecke der Schenkungsteuer von einer konkreten Steuerpflicht in Schweden abhängig.
Entscheidungen des Finanzgerichts
Das FG Baden-Württemberg folgte dieser Auffassung nicht und hob die Schenkungsteuerbescheide auf. Grundsätzlich bestehe nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 ErbStG zwar in Deutschland eine unbeschränkte Steuerpflicht, da der Schenker im Inland einen Wohnsitz habe. Allerdings werde das deutsche Besteuerungsrecht durch das DBA-S eingeschränkt. Da das DBA-S, welches die Erbschaft-, Schenkung-, Einkommen- und Vermögensteuer umfasst, seit der Abschaffung der Schenkungsteuer in Schweden nicht gekündigt oder geändert wurde, bestehe dieses unverändert fort. Daher sei für die abkommensrechtliche Ansässigkeit der an der Schenkung beteiligten Personen Art. 4 DBA-S entscheidend. Auch wenn der Schenker in beiden Vertragsstaaten einen Wohnsitz hatte, so lag der Lebensmittelpunkt und damit die Ansässigkeit des Vaters unstreitig in Schweden (Art. 4 Abs. 2 DBA-S). Das Besteuerungsrecht sei deshalb nach Art. 24 Abs. 3 DBA-S ausschließlich dem Ansässigkeitsstaat Schweden zugewiesen, da es sich bei den geschenkten Geschäftsanteilen weder um unbewegliches Vermögen noch um bewegliches Betriebsvermögen eines in Deutschland belegenen Unternehmensteils handelte.
Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung seien auch nach der Abschaffung der Schenkungsteuer in Schweden die Gegebenheiten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses des DBA-S maßgeblich, da das DBA-S bislang keine Änderung erfahren habe.
Sinn und Zweck der Ansässigkeitsregelung sei es nur, dem Ansässigkeitsstaat ein Besteuerungsrecht zuzuweisen. Ob und wie er dieses umsetzt, sei für die Bestimmung der Ansässigkeit nicht erheblich und schließe die Ansässigkeit und damit die Abkommensberechtigung nicht aus. Nach Auffassung des Gerichts soll dies sogar dann gelten, wenn der Ansässigkeitsstaat einen bestimmten Sachverhalt überhaupt nicht (mehr) der Besteuerung unterwirft. Dass es deshalb im Ergebnis zu keiner Besteuerung kommt, hätten die Vertragsstaaten mangels Rückfallklauseln in Kauf genommen.
Zusammenfassend „ersetzt“ das FG Baden-Württemberg hierdurch für Zwecke der abkommensrechtlichen Ansässigkeit i.S.d. DBA-S implizit das Kriterium der (konkreten) Steuerpflicht, durch die abstrakte Möglichkeit der Steuerpflicht. Weitergehende Ausführungen hierzu lassen sich dem Urteil nicht entnehmen.
Einordnung der Entscheidungen
Die Literatur geht vereinzelt davon aus, dass ein Erblasser/Schenker bzw. Erwerber, welcher nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b DBA-S (auch) in Deutschland ansässig ist, immer ausschließlich in Deutschland ansässig sei. Mangels Ansässigkeit in Schweden – aufgrund fehlender (konkreter) Steuerpflicht – sei Art. 4 Abs. 2 DBA für die Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht anwendbar, auch wenn der Mittelpunkt der Lebensinteressen in Schweden ist (vgl. Reich in von Oertzen/Loose, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 2. Aufl. 2020, Art. 4 DBA-S, Rn. 12).
In teilweiser Übereinstimmung mit dem FG Baden-Württemberg existieren Auffassungen in der Literatur, die für Zwecke der Ertragsteuer ebenfalls davon ausgehen, dass es für die abkommensrechtliche Ansässigkeit grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob und wie eine Person besteuert wird. Einen Grenzfall sollen dabei solche Fälle darstellen, in denen ein Vertragsstaat überhaupt keine relevante Steuer erhebt (vgl. Vogel/Lehner/Ismer/Blank, 7. Aufl. 2021, OECD-MA 2017 Art. 4 Rn. 82) bzw. eine Person anforderungslos von der Besteuerung ausgenommen ist (ablehnend: Valta/Langner, in: GKGK, DBA, Art. 4 OECD MA Rn. 70, Stand: 01.02.2021). Einigkeit herrscht dabei überwiegend in Fällen, bei denen einzelne Sachverhalte von der Besteuerung ausgenommen sind, wenn keine besteuerungsfähigen Einkünfte vorliegen oder die Steuer nicht erhoben wird. Die Anwendung von Verteilungsnormen erfordere nicht, dass eine Person auch tatsächlich besteuert wird. Sie setze nur voraus, dass die Person zu einem der Vertragsstaaten eine Beziehung aufweist, die zu ihrer unbeschränkten Besteuerung führen kann (vgl. Vogel/Lehner/Ismer/Blank, 7. Aufl. 2021, OECD-MA 2017 Art. 4 Rn. 82; Valta/Langner in GKGK, DBA, Art. 4 OECD MA Rn. 68, Stand: 01.02.2021)
Es ist von der Rechtsprechung im Hinblick auf die Ertragsteuer bisher anerkannt, dass Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht nur die „tatsächliche“, sondern bereits die „denkbare“ Doppelbesteuerung vermeiden sollen (vgl. bspw. BFH, Beschluss vom 10.1.2012 – I R 66/09, BFHE 236 S. 304 = DB 2012 S. 1078, Rz. 22 wonach die Abwehr der „virtuellen“ Doppelbesteuerung gerade das tragende Prinzip der Freistellung repräsentiert). Gegenläufig ist jedoch auch festzuhalten, dass der I. Senat für „effektiv/ nicht besteuerte Gewinne“ (vgl. BFH, Urteil vom 17.10.2007 – I R 96/06, BStBl. II 2008 S. 953 = DB 2008 S. 1250, zu Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls zu Art. 24 DBA Italien 1989) bzw. „tatsächlich nicht besteuerte Einkünfte“ (vgl. BFH, Urteil vom 27.03.2019 – I R 33/16, BFH/NV 2020 S. 201 zu Art. 23 a.F./n.F. DBA USA) einen Rückfall des Besteuerungsrechts an Deutschland als Wohnsitzstaat für möglich erachtet. Diese Entscheidungen sind jedoch zu Regelungen der Methodenartikel ergangen und gerade nicht für Zwecke der Begriffsbestimmungen.
Im vorliegenden Fall muss der Schenker alleine deshalb keine Schenkungsteuer in Schweden zahlen, weil diese mit Wirkung zum 01.01.2005 abgeschafft wurde. Das Finanzgericht hat in seinen Entscheidungen festgestellt, dass die Ansässigkeit und damit die Abkommensberechtigung auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn der betreffende Staat bestimmte Sachverhalte überhaupt nicht (mehr) der Besteuerung unterwirft (7 K 2777/18, Rn. 26 a.E.). Inwieweit die Urteile in den anstehenden Revisionsentscheidungen Bestand haben werden, bleibt abzuwarten. Im Bereich der Vermögensteuer hat der III. Senat das Verbot der virtuellen Doppelbesteuerung in der Vergangenheit ausdrücklich anerkannt (vgl. BFH, Urteil vom 7.7.1967 – III 210/61, BStBl. III 1967 S. 588).
Bedeutung für die Praxis
Soweit in der Literatur davon ausgegangen wird, dass das Gericht Argumentationswege liefere, eine Besteuerung im Inland gänzlich zu vermeiden (vgl. Pohl, NWB 2021 S. 240), sollte die Reichweite der Urteile nicht überschätzt werden. Wesentlicher Sachverhalt der Entscheidungen war, dass die drei Geschwister gerade nicht im Inland ansässig waren. Lediglich der Vater verfügte über einen deutschen Wohnsitz, hatte dort aber nicht seinen Lebensmittelpunkt. Verschenkt wurden Anteile an einer schwedischen Kapitalgesellschaft. Es bestanden daher, abgesehen vom Wohnsitz des Vaters, nur lose Anknüpfungspunkte nach Deutschland. Wann die Kläger Deutschland verlassen und welche Staatsangehörigkeit diese hatten, ist nicht bekannt.
In Bezug auf die Erwerber ist davon auszugehen, dass diese entweder keine deutschen Staatsangehörigen waren oder diese sich zum Stichtag länger als fünf Jahre dauernd im Ausland aufgehalten haben, ohne im Inland einen Wohnsitz zu haben. Andernfalls wäre der persönliche und zeitliche Anwendungsbereich der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG) relevant gewesen und das Gericht hätte sich ebenso weitergehend mit Art. 27 DBA-S befassen müssen. Dieser enthält eine besondere „Staatsangehörigenregelung“ für Erblasser oder Schenker und verhilft damit der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht zur Durchsetzung (vgl. Lüdicke in Wassermeyer, DBA, Art. 27 Schweden Rn. 13). Nach Art. 27 Abs. 1 DBA-S gilt ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaats trotz voller Wohnsitznahme im anderen Staat für weitere fünf Jahre als im Heimatstaat ansässig. Nach Abs. 2 gilt diese Regelung entsprechend für die Besteuerung von Erben oder Beschenkten, wenn diese selbst im Zeitpunkt des Erbfalls oder der Schenkung die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt haben (BT-Drucks. 12/5835).
Im Ergebnis unterliegt aufgrund dieser Regel ein Auswanderer mit deutscher Staatsangehörigkeit abkommensrechtlich für fünf Jahre nach dem Wegzug nach Schweden weiterhin in Deutschland der Erbschaft- und Schenkungsteuer.
Für die Praxis ist daher zu konstatieren, dass eine kurzfristige „Flucht“ deutscher Staatsangehöriger aus der deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuer mittels einfacher Verlagerung der abkommensrechtlich Ansässigkeit nach Schweden (auch weiterhin) nicht möglich ist. Lediglich für Drittstaatler wäre ein solches Vorgehen denkbar, was aber aufgrund der fehlenden Anknüpfungspunkte nach Deutschland auch nicht zwingend regelungsbedürftig erscheint.