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02.05.2023

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Entfall der Wegzugsbesteuerung bei lediglich vorübergehender Abwesenheit

Das deutsche Steuerrecht kennt diverse Bestimmungen, welche Steuerfolgen an den „Wegzug“ von natürlichen oder juristischen Personen ins Ausland knüpfen. Ziel dieser Bestimmungen ist die Sicherstellung der Besteuerung von Wertzuwächsen, welche während des Bestehens der deutschen Steuerpflicht im Vermögen der Steuerpflichtigen entstanden sind. Einen zentralen Bestandteil dieses Regelungsgeflechts stellt dabei § 6 AStG dar.

Entfall der Wegzugsbesteuerung bei lediglich vorübergehender Abwesenheit

RA / Attorney at Law Laurenz Lipp
ist Senior Associate bei POELLATH in Frankfurt/M.

I. Anwendungsbereich der Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG

§ 6 AStG zielt auf im Privatvermögen gehaltene Anteile an in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften ab, wenn die Beteiligung am Kapital in den letzten fünf Jahren mindestens 1% betrug. Das steuerauslösende Element eines „Wegzugs“ kann in unterschiedlichen Konstellationen verwirklicht werden. In erster Linie liegt ein solches in der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge der Aufgabe des inländischen Wohnsitzes. Unerheblich ist dabei, ob der Betroffene im Ausland einen Wohnsitz begründet, in welchem Land er künftig ansässig ist und ob Deutschland mit dem späteren Zuzugsstaat ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat. Wird in Deutschland keine Wohnstätte zurückbehalten, tritt die Steuerpflicht damit unmittelbar mit dem Wegzug ins Ausland ein.

Daneben kommt es in der Praxis häufiger aber auch zu „schleichenden bzw. ungeplanten Wegzügen“. In diesen Fällen wird im Ausland zunächst nur ein Ferien- oder Zweitwohnsitz begründet, der inländische Wohnsitz (z.B. ein Eigenheim) aber nie aufgegeben. Anschließend kommt es zu einer schleichenden Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensinteressen ins Ausland. In Kombination mit einem einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen kann dies zu einem Auslösen der Wegzugsbesteuerung führen, da das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der gehaltenen Kapitalgesellschaftsanteile aufgrund der Regelungen des Doppelbesteuerungsabkommens eingeschränkt wird bzw. komplett an den Zuzugsstaat verloren geht.

Die geltende Fassung des Gesetzes setzt allerdings in jedem Fall voraus, dass der betroffene Steuerpflichtige innerhalb der letzten zwölf Jahre insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war.

II. Rechtsfolgen des Wegzugs

Rechtsfolge eines verwirklichten Wegzugs ist die Besteuerung einer fiktiven Veräußerung der Beteiligung, was zu einer vollen Aufdeckung der stillen Reserven führt. Da die Veräußerung nur unterstellt wird, sich aber nicht tatsächlich verwirklicht, fließt dem Gesellschafter kein Veräußerungsgewinn zu, aus dem er die eingetretene Steuerbelastung finanzieren könnte – man spricht daher auch von sog. „Dry Income“. Im Ergebnis kann die Wegzugsbesteuerung somit zu einem erheblichen Liquiditätsproblem führen. Verschärft wird diese Grundproblematik in der Praxis häufig dadurch, dass gerade Anteile an Familienunternehmen in aller Regel vinkuliert und damit nicht oder nur mit großen Abschlägen veräußerbar sind. Eine Finanzierung der vollen Wegzugsbesteuerung, insbesondere für Minderheitsgesellschafter, ist damit häufig von vornherein ausgeschlossen.

Mit dem Gesetz zur Umsetzung der europäischen Anti-Steuervermeidungsrichtlinie wurde § 6 AStG zudem in zentralen Teilen nochmals verschärft. So ist seit dem 01.01.2022 auch bei Wegzügen innerhalb der EU bzw. des EWR keine zinslose Stundung der ausgelösten Wegzugsbesteuerung mehr möglich. Das Gesetz sieht nunmehr grundsätzlich nur noch die antragsgebundene Möglichkeit der Begleichung der Steuerlast in sieben zinslosen Jahresraten vor, welche in der Regel von Sicherheitsleistungen abhängig gemacht wird. Als mögliche Sicherheiten kommen dabei z.B. die Verpfändung von Wertpapieren oder die Bürgschaft eines tauglichen Steuerbürgen in Betracht (vgl. § 241 AO).

III. Vorübergehende Abwesenheit und Entscheidung des BFH vom 21.12.2022

Angesichts der geschilderten Rechtsfolgen, welche insbesondere bei ungeplanten Wegzügen zu prohibitiven Steuerlasten führen können, spielt die Fallgruppe der lediglich „vorübergehenden Abwesenheit“ eine zunehmende Rolle in der Beratungspraxis. So kommt es zu einem rückwirkenden Entfall der Wegzugsteuer, wenn die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht (bzw. der Verlust des deutschen Besteuerungsrechts) auf einer nur vorübergehenden Abwesenheit des Steuerpflichtigen beruht und der Steuerpflichtige innerhalb von sieben Jahren (in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung waren es noch fünf Jahre) wieder eine unbeschränkte inländische Steuerpflicht begründet (§ 6 Abs. 3 AStG). Diese Ausgangsfrist kann auf Antrag des Steuerpflichtigen um höchstens fünf Jahre verlängert werden, wenn die Absicht zur Rückkehr unverändert fortbesteht. Die maximal mögliche Rückkehrfrist im geltenden Recht beträgt damit insgesamt zwölf Jahre. Das Gesetz sieht zudem vor, dass die anfallende Wegzugsteuer bei einer lediglich vorübergehenden Abwesenheit auf Antrag des Steuerpflichtigen so lange zinslos gestundet werden kann, bis die Rückkehrabsicht aufgegeben wird oder die verlängerte Rückkehrfrist abgelaufen ist. Auch diese Stundungsmöglichkeit setzt allerdings in der Regel die Leistung von hinreichenden Sicherheiten voraus.

Schon seit jeher war allerdings umstritten, ob das Entfallen der Wegzugsteuer neben der fristgerechten tatsächlichen Wiederbegründung der unbeschränkten Steuerpflicht (objektive Theorie) auch dann ein subjektives Element in Form einer Rückkehrabsicht voraussetzt, wenn die Rückkehr innerhalb der Ausgangsfrist erfolgt. Insbesondere die Finanzverwaltung vertrat hierbei einen restriktiven Standpunkt und machte für das Entfallen der Steuerlast zur Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige eine von Anfang an bestehende Rückkehrabsicht glaubhaft machen konnte. Wie genau dies erfolgen sollte, war jedoch unklar, sodass in der Praxis stets Raum für Diskussionen und Rechtsunsicherheit bestand.

In einer aktuellen Entscheidung schloss sich der BFH nunmehr der gegenteiligen Ansicht an und entschied damit sowohl entgegen der bisherigen Finanzverwaltungsauffassung als auch der Vorinstanz (vgl. Urteil vom 21.12.2022 – I R 55/19, DB 2023 S. 1005; Vorinstanz FG Münster vom 31.10.2019 – 1 K 3448/17 E). Im Ausgangspunkt sieht er es zwar grundsätzlich nicht als verfehlt an, aus dem durch einen bestimmten Zeitrahmen konkretisierten Tatbestandsmerkmal der „lediglich vorübergehenden Abwesenheit“ das Erfordernis einer Rückkehrabsicht abzuleiten. Allerdings sei dem Wortlaut kein konkreter Zeitpunkt zu entnehmen, wann diese Willensbildung erfolgen müsse. Im Ergebnis begnügt sich der BFH allein mit dem Umstand, dass es zu einer tatsächlichen (zeitgerechten) Rückkehr kommt, da hierdurch bereits indiziert wird, dass die Rückkehr auf einer (anfänglichen) Rückkehrabsicht beruht.

IV. Einordnung und praktische Würdigung

Die Entscheidung ist zu begrüßen, da sie im Hinblick auf den geschilderten Meinungsstreit nunmehr Rechtssicherheit schafft. Gleichzeitig führt sie zumindest an dieser Stelle des § 6 AStG zu einer verhältnismäßigen Beschränkung des inländischen Steuerzugriffs: Die rein tatsächliche Rückkehr führt dazu, dass das durch den Wegzug verlorene Besteuerungsrecht Deutschlands wiederhergestellt wird. Hierdurch wird der Normzweck, welcher in der Sicherstellung eben dieses Besteuerungsrechts besteht, somit bereits in diesem Zeitpunkt erfüllt. Für eine zusätzliche Einschränkung in Form eines subjektiven Elements besteht damit keine Notwendigkeit. Die Entscheidung fügt sich zudem in die vom Gesetzgeber ohnehin beabsichtigten Erleichterungen zugunsten der nur vorübergehend abwesenden Steuerpflichtigen ein. So wurde in der geltenden Fassung des § 6 AStG bewusst auf einen erhöhten Nachweis der Rückkehrabsicht in Form einer Glaubhaftmachung verzichtet (vgl. BT-Drucks. 19/28652 S. 47).

Auf Grundlage der Entscheidung ist nunmehr auch in solchen Fällen eine rückwirkende Beseitigung des entstandenen Steueranspruchs möglich, in denen der Wegzug anfänglich zwar final – und damit ohne (dokumentierte) Rückkehrabsicht – geplant war, es später allerdings doch zu einer Rückkehr innerhalb der Ausgangsfrist kommt, etwa weil sich Erwartungen nicht erfüllt oder Lebensumstände verändert haben. Damit könnte sich für fehlgeschlagene oder gänzlich ungeplante Wegzüge eine „goldene Brücke“ zurück nach Deutschland ergeben.

Die Entscheidung erging allerdings zur alten Rechtslage und widerspricht der bislang geltenden Verwaltungsauffassung, sodass abzuwarten bleibt, wie die Finanzverwaltung auf das Urteil reagieren wird. Sie dürfte hierzu zeitnah Gelegenheit haben, da bereits seit längerer Zeit eine größere Überarbeitung des geltenden Anwendungserlasses zum Außensteuergesetz angekündigt wurde und dieser eigentlich noch in dieser Jahreshälfte veröffentlicht werden sollte. Für die Praxis wäre zu begrüßen, wenn die Finanzverwaltung bei dieser Gelegenheit auch für die geltende Fassung des Gesetzes von ihrer bisherigen Verwaltungsauffassung abrückt. Aufgrund der vergleichbaren Gesetzesstruktur, welche an dieser Stelle nur marginale Änderungen erfahren hat, sind kaum Gründe ersichtlich, warum in der geltenden Rechtslage anders zu verfahren sein soll.

Es sollte allerdings nicht vergessen werden, dass mit der Entscheidung zukünftig zwar eine gewisse Erleichterung bei der Beseitigung einer (unbewusst) ausgelösten Wegzugsbesteuerung zu erwarten ist, vielfach das eigentliche Problem allerdings in der ursprünglichen Entstehung der Wegzugsbesteuerung begründet ist. So kann diese insbesondere unter der geltenden Rechtslage bereits zu einem unüberwindbaren Wegzugshindernis führen, selbst wenn für einen nur vorübergehenden Wegzug theoretisch eine vollständige Stundung der Wegzugsteuer möglich wäre. Hintergrund ist, dass die Finanzämter in der weit überwiegenden Zahl der Fälle die für eine Stundung „in der Regel“ notwendigen Sicherheitsleistungen ohne Kompromisse einfordern. Dies gilt selbst für solche Wegzüge, welche innerhalb der EU bzw. des EWR stattfinden. Gleichzeitig werden die von der Wegzugsteuer betroffenen Anteile als solche regelmäßig überhaupt nicht als Sicherheit akzeptiert. Damit kann die geforderte Sicherheitsleistung aber eher nur in Ausnahmefällen überhaupt geleistet werden, da die Anteile in der Regel den absoluten Hauptteil des Vermögens ausmachen. Im Ergebnis kann damit selbst ein nur vorübergehender Wegzug häufig nicht ohne Weiteres angetreten werden.

Ob die derzeitige Gesetzeslage aufgrund dieser erheblichen Einschnitte in die Freizügigkeit der betroffenen Gesellschafter noch als europarechtskonform angesehen werden kann, darf daher generell bezweifelt werden. Vermutlich wird auch diese Frage früher oder später die Gerichte beschäftigen.

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