Hintergrund
Hat ein Gläubiger sich ein Grundpfandrecht an einem Grundstück des Schuldners einräumen lassen, steht ihm auch im Fall der Insolvenz des Schuldners grundsätzlich das Zwangsversteigerungsverfahren offen. Nach §§ 49, 80 Abs. 2 Satz 2 InsO bleiben die Regelungen des ZVG neben der InsO anwendbar. Wird die Zwangsversteigerung angeordnet, hat der Insolvenzverwalter diese grundsätzlich zu dulden. Die Anordnung der Zwangsversteigerung führt zur Beschlagnahme des Grundstücks und löst nach § 23 Abs. 1 ZVG ein Veräußerungsverbot aus. Eine (freihändige) Veräußerung durch den Insolvenzverwalter scheidet danach grundsätzlich aus.
Entscheidung des BFH
Dem Urteil vom 07.07.2020 (X R 13/19, a.a.O.) lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem die Grundpfandgläubigerin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Zwangsversteigerung über das Betriebsgrundstück der Schuldnerin durchführen ließ. Das erzielte Höchstgebot lag zwar unter dem Betrag der besicherten Forderung, aber über dem steuerlichen Buchwert des Grundstücks. Mit dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts entstand daher ein steuerlicher Veräußerungsgewinn auf Ebene der Schuldnerin, ohne dass der Insolvenzmasse auch nur 1 € aus dem Versteigerungserlös zufloss. Das Finanzamt setzte auf den Veräußerungsgewinn Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit gegen die Insolvenzmasse fest. Hiergegen wendete sich der Insolvenzverwalter mit Einspruch und Klage. Die Zwangsversteigerung sei allein auf Betreiben der Gläubigerbank, ohne seine Beteiligung und ohne seine Zustimmung erfolgt. Daher liege keine Verwertungshandlung i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor. Die Qualifizierung als Masseverbindlichkeit würde dazu führen, dass Dritte (Steuer-)Verbindlichkeiten zulasten der Masse begründen könnten.
Der BFH wies die vom Insolvenzverwalter gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG Rheinland-Pfalz vom 14.03.2019 – 4 K 1005/18, EFG 2019 S. 1114) eingelegte Revision als unbegründet zurück. Das Grundstück gehöre trotz Absonderungsrecht weiterhin zur Insolvenzmasse i.S.d. § 35 Abs. 1 InsO. Dies gelte auch für Gegenstände, die z.B. wegen wertausschöpfender Belastung oder fehlender Verwertbarkeit für die Insolvenzmasse faktisch wertlos sind (vgl. BFH. vom 21.03.2019 – III R 30/18, BFH/NV 2019 S. 1033 Rn. 14). Der Insolvenzverwalter hatte selbst vorgetragen, dass die Zwangsversteigerung scheitern könnte und danach eine freihändige Verwertung durch ihn in Betracht kommen könnte. Anknüpfend an die ständige Rechtsprechung des BFH zur Qualifikation eines Steueranspruchs als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) oder Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 InsO) sei die vollständige Verwirklichung des (unselbstständigen) Besteuerungstatbestands maßgebend. Dieser Besteuerungstatbestand war vorliegend mit der Erteilung des Zuschlags zugunsten des Meistbietenden (§§ 81, 90 Abs. 1 ZVG) als Realisationsakt, mit dem die stillen Reserven aufgedeckt wurden, nach Insolvenzeröffnung verwirklicht. Einschlägig für die Qualifikation als Masseverbindlichkeit war vorliegend die Variante der Begründung „in anderer Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse“ i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Anknüpfend an seine Rechtsprechung zu massezugehörigen Beteiligungen an Personengesellschaften (vgl. BFH vom 10.07.2019 – X R 31/16, DB 2020 S. 703; BGH vom 03.08.2016 – X R 25/14, NZI 2017 S. 218 m. Anm. Schmidt) bestätigt der X. Senat des BFH im Ergebnis, dass es für die Entstehung einer Masseverbindlichkeit ausreicht, wenn der steuerauslösende Vermögensgegenstand bis zur Verwertung mit Willen des Insolvenzverwalters zur Insolvenzmasse gehört.
Fazit und Praxishinweise
Die Entscheidung des X. Senats liegt auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des BFH. Bereits der IV. Senat hatte im Jahr 2013 (BFH vom 16.05.2013 – IV R 23/11, BStBl. II 2013 S. 759) darauf hingewiesen, dass der Insolvenzverwalter – will er eine Steuerbelastung der Masse vermeiden – im Zweifel den Vermögensgegenstand im Wege der echten Freigabe (vgl. § 32 Abs. 3 Satz 1 InsO) vom Insolvenzbeschlag freigeben muss. Den Forderungen im Schrifttum, bei der Qualifizierung einer Ertragsteuerforderung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit nicht auf den Realisationszeitpunkt, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung der stillen Reserven abzustellen, hat der X. Senat des BFH erneut eine Absage erteilt. Dieser Vorschlag wurde jüngst auch von einer übergreifenden Arbeitsgruppe zur praxisgerechten Verzahnung von Steuer- und Insolvenzrecht gemacht (vgl. Kahlert/Kayser/Bornemann u.a., Perspektiven für eine kohärente und praxisgerechte Verzahnung von Steuerrecht und Insolvenzrecht, Otto Schmidt, Köln 2020, Rn. 585). Da eine entsprechende Änderung der BFH-Rechtsprechung nicht zu erwarten ist, muss der Gesetzgeber tätig werden.
Bis dahin hat der Insolvenzverwalter sorgfältig zu prüfen, ob aus der eingeleiteten Zwangsversteigerung ein Übererlös zugunsten der Masse zu erwarten ist, der auch eine etwaige durch die Verwertung ausgelöste Ertragsteuer – nach Nutzung eines Verlustvortrags und unter Beachtung der Mindestbesteuerung – decken würde. Ggf. ist der Grundpfandgläubiger bereit, den Antrag zurück zu nehmen, wenn eine freihändige Verwertung durch den Insolvenzverwalter einen höheren Verwertungserlös verspricht. Nach § 30d ZVG kann der Insolvenzverwalter zudem das Zwangsversteigerungsverfahren einstweilig einstellen lassen. Besteht nach alledem keine Aussicht auf einen positiven, die Steuerlast übersteigenden Massezufluss, dürfte die Freigabe des Grundstücks zur Masseschonung geboten sein.