Zum Sachverhalt
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Antragstellerin einen notariell beurkundeten Kaufvertrag zum Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft (Share Deal) abgeschlossen. Die Grunderwerbsteueranzeige durch den beurkundenden Notar erfolgte nach Ablauf der gesetzlichen Zwei-Wochen-Frist; eine Anzeige des dinglichen Anteilsübergangs unterblieb.
Das Finanzamt setzte daraufhin Grunderwerbsteuer sowohl im Hinblick auf den Abschluss des Kaufvertrags (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG) – das Signing der Transaktion – als auch den dinglichen Anteilserwerb (§ 1 Abs. 2b GrEStG) – das Closing – fest.
Die Antragstellerin war der Meinung, dass nur einmalig im Hinblick auf den dinglichen Anteilserwerb Grunderwerbsteuer festzusetzen sei. Sie beantragte zusätzlich zu dem eingelegten Einspruch die Aussetzung der Vollziehung.
Rechtliches Problem
Rechtlich geht es hier im Kern um das zeitliche Zusammenspiel und Rangverhältnis zweier Grunderwerbsteuer-Tatbestände im Zusammenhang mit Share Deals:
Zunächst unterliegen bestimmte Übertragungen von mindestens 90% der Anteile an einer grundbesitzenden Kapitalgesellschaft innerhalb von zehn Jahren der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 2b GrEStG). Maßgeblich ist dabei jeweils die dingliche Anteilsübertragung – das Closing.
Darüber hinaus unterliegt ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung von mindestens 90% der Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft begründet, ebenfalls der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG). Maßgeblich für diese Zwecke ist der Abschluss des Vertrags, sprich das Signing. Diese Regelung gilt nach dem Wortlauft der Norm allerdings nur, „soweit eine Besteuerung nach [Absatz] 2b nicht in Betracht kommt“.
Bei Share Deals sind diese Regelungen problematisch. Denn in aller Regel findet bei einem Share Deal das Closing einer Transaktion nicht taggleich mit dem Signing statt, sondern teils erheblich später. Aus grunderwerbsteuerlicher Sicht hat dies zur Folge, dass mit dem Signing die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG zeitlich vorgelagert erfüllt sein können. Diese Norm ist wiederum suspendiert, wenn eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG und damit der zeitlich nachgelagerten Anteilsübertragung, dem Zeitpunkt des Closings, „in Betracht“ kommt.
Die Finanzverwaltung vertritt bislang die Auffassung, dass bei einem Share Deal jeweils zwei Steuertatbestände erfüllt sind, die beide unabhängig voneinander Grunderwerbsteuer auslösen. Nur wenn die engen Vorgaben zur rechtzeitigen und vollständigen Anzeige von Signing und Closing erfüllt sind, kann aus Sicht der Verwaltung von einer doppelten Festsetzung abgesehen werden. Mehrere Finanzgerichte teilen diese Auffassung (siehe FG Baden-Württemberg vom 16.05.2025 – 5 V 846/25; FG Berlin-Brandenburg vom 31.01.2025 – 12 V 12129/24, sowie vom 09.01.2025 – 12 V 12130/24 (letzterer ist Grundentscheidung des aktuellen AdV-Beschlusses)).
Beschluss des BFH
Der BFH äußert nun ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Finanzverwaltungsauffassung. Zu Begründung führt der BFH zunächst an, dass weder der Wortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG noch die Gesetzesbegründung eine zeitliche Beschränkung des Anwendungsvorrangs des § 1 Abs. 2b GrEStG vorsähen. § 1 Abs. 3 GrEStG sei somit subsidiär – ohne zeitliche Vorgaben.
Die später eingeführten Regelungen zu § 16 Abs. 4b, 5 GrEStG änderten dieses Rangverhältnis nicht. Ausweislich der Gesetzesbegründung habe der Gesetzgeber eine doppelte Besteuerung eines Lebenssachverhalts nicht gewollt. Unter Beachtung der Anzeigepflichten solle daher eine Erstattung der Grunderwerbsteuer auf das Signing ermöglicht werden. Dies entspräche auch maßgeblichen Auffassungen im steuerlichen Schrifttum, wonach insbesondere der Wortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG keine zeitliche Komponente enthalte; die Korrekturregelungen nach § 16 Abs. 4b, 5 GrEStG stellten eine bloße verfahrensmäßige Erleichterung dar.
Auf Basis dieser gesetzlich nicht gewollten Doppelbesteuerung komme darüber hinaus bereits eine Korrektur nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften (§ 164 Abs. 2 AO) in Betracht. Diese sei insbesondere bei Kenntnis eines bereits erfolgten Closings ggf. unabhängig von den grunderwerbsteuerlichen Korrekturmöglichkeiten gem. § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG anwendbar.
Einordnung
Der Beschluss des BFH erfolgte im Rahmen eines Verfahrens zur Aussetzung der Vollziehung. Er stellt noch keine finale höchstrichterliche Entscheidung dar. Gleichwohl stärkt der Beschluss die Position der Steuerpflichtigen im Hinblick auf eine mögliche Doppelbesteuerung bei Share Deals erheblich. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen eine Anzeige des Signings unterblieben oder nicht rechtzeitig erfolgt ist. Ungeklärt ist weiterhin die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Closing „nicht mehr in Betracht“ kommt und damit die Regelung des § 1 Abs. 3 GrEStG wieder zur Anwendung kommen kann.
Für die Praxis bleibt nun abzuwarten, ob sich die Finanzverwaltung der Auffassung des BFH anschließt oder ob sie beispielsweise mit einem Nichtanwendungserlass und/oder -gesetz reagiert.
In der Zwischenzeit sollten Steuerpflichtige bei Share Deals weiterhin sowohl Signing als auch Closing form- und fristgemäß gegenüber dem zuständigen Finanzamt anzeigen. Dies ist nicht nur mit Blick auf die bisherige Verwaltungsauffassung geboten, sondern auch ratsam, um etwaige sonstige durch den jüngsten BFH-Beschluss nicht geklärte Fälle, wie etwa Share Deals ohne anschließendes Closing, einer möglichen Nichtfestsetzung bzw. Rückabwicklung weitestgehend zugänglich zu halten.
Bei Share Deals, bei denen bereits doppelt Grunderwerbsteuer festgesetzt wurde, sollten Steuerpflichtige unter Verweis auf den AdV-Beschluss des BFH Einspruch gegen die Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG (Signing) einlegen.