Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und der Universität Potsdam zeigt, dass der Mindestlohn zwar zu einer starken Steigerung niedriger Löhne geführt hat, aber dass längst nicht alle, die einen Anspruch darauf haben, ihn auch bekommen.
Basierend auf Angaben der Beschäftigten zu ihren monatlichen Gehältern und Arbeitsstunden im Rahmen der Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) wurde ausgerechnet, dass im Jahr 2016 1,8 Millionen Personen, die anspruchsberechtigt waren, unter 8,50 Euro brutto pro Stunde verdienten, dem damaligen Niveau des Mindestlohns, wenn man ihre vertragliche Arbeitszeit zugrunde legt. Das sind eine Million weniger als im Jahr 2014, vor der Einführung des Mindestlohns, entspricht aber immer noch 7 % aller anspruchsberechtigten Arbeitnehmer. Diese Schätzung liegt deutlich über den Zahlen aus der amtlichen Statistik, die auf Angaben der Arbeitgeber basiert (rund 1,1 Millionen für das Jahr 2016).
4,4 Millionen verdienen weniger als 8,50 Euro pro Stunde
Wird der tatsächliche Stundenlohn betrachtet, also auf Basis der tatsächlichen statt der vertraglichen Arbeitszeit gerechnet, steigt die Zahl derjenigen, die weniger als den Mindestlohn bekommen, laut SOEP-Daten von 1,8 auf 2,6 Millionen Personen an für das Jahr 2016. Allerdings sagt diese Zahl nicht automatisch etwas darüber aus, wie viele Beschäftigte weniger als den Mindestlohn verdienen, da es Beschäftigte gibt, die freiwillig unbezahlte Überstunden leisten. Viele Erwerbstätige fallen nicht unter die gesetzlichen Mindestlohnregeln, insbesondere Selbstständige und Auszubildende wie auch Beschäftigte in den Branchen mit längeren Übergangsfristen. Rechnet man diese dazu, so verdienten im Jahr 2016 auf Basis ihrer vertraglichen Arbeitszeit insgesamt 4,4 Millionen, auf Basis ihre tatsächlichen Arbeitszeit sogar 6,7 Millionen Erwerbstätige unter 8,50 Euro pro Stunde und belegen die Existenz eines großen Niedrigeinkommensbereichs.
Umgehungsmaßnahmen des Mindestlohns
„Offensichtlich – und keineswegs unerwartet –wird das Mindestlohngesetz nicht in jedem Betrieb eins zu eins umgesetzt“, kommentiert Studienautorin Alexandra Fedorets, „Ergebnisse der Zollkontrollen und zahlreiche Medienberichte weisen auf Umgehungsstrategien durch intransparente oder inoffizielle Arbeitszeitvereinbarungen hin.“ In einer separaten, vom SOEP in Auftrag gegebenen Umfrage, haben im August/September 2017 rund 4 % der Befragten angegeben, selbst von möglichen Umgehungsmaßnahmen des Mindestlohns seitens ihres Arbeitsgebers betroffen zu sein. Weitere 17 % gaben an, jemanden in ihrem persönlichen Umfeld zu kennen, auf den das zutrifft.
Starke Zuwächse bei niedrigen Löhnen
Auch wenn die Umsetzung des Mindestlohns bei einem Teil der Anspruchsberechtigten noch nicht erfolgte, hat seine Einführung im Jahr 2015 zu starken Lohnzuwächsen im unteren Lohnsegment geführt. Im unteren Lohndezil, bei den 10 % der Beschäftigten also, die am wenigsten verdienen, sind die Löhne zwischen 2014 und 2016 um 15 % gestiegen. In den Jahren vor 2014 lagen die zweijährigen Lohnwachstumsraten für diese Beschäftigte bei rund 2 %. „Die Einführung des Mindestlohns hat insofern eins ihrer Ziele erreicht, als das sie den niedrigen Löhnen einen starken Schub gegeben hat“, so Studienautorin Fedorets. „Jetzt muss alles daran gesetzt werden, dass der Mindestlohn tatsächlich alle erreicht, denen er laut Gesetz auch zusteht“.
(DIW Berlin, PM vom 06.12.2017 / Viola C. Didier)