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08.03.2022

Interview

Die Unshell-Initiative – Bekämpfung von Briefkastengesellschaften durch die EU-Kommission

Kurz vor Weihnachten hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Bekämpfung von Briefkastengesellschaften vorgelegt. Dieser Vorschlag erschwert eine Vielzahl von gängigen (Steuer-)Strukturen, denn damit sollen Unternehmen, die keine oder nur eine minimale Geschäftstätigkeit unterhalten, keine Steuervorteile mehr in Anspruch nehmen können. Dr. Julian Böhmer und Prof. Dr. Sebastian Benz erklären, was eigentlich eine Briefkastenfirma ist und welche steuerlichen Gestaltungen von den Plänen betroffen sind.

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Julian Böhmer + Sebastian Benz

DB: Die EU-Kommission möchte, dass Gesellschaften ohne „angemessene Wirtschaftstätigkeit“ keine Steuervorteile mehr erhalten. Was genau ist überhaupt eine angemessene Wirtschaftstätigkeit?

Benz: Vor allem bei Unternehmen, die Einkünfte aus hochmobilen Quellen erzielen, besteht die Gefahr, dass diese sich dort für steuerliche Zwecke ansiedeln, wo die Steuern besonders niedrig sind oder wo sonst besonders vorteilhafte steuerlichen Regelungen gelten, ohne aber dort vor Ort auch wirtschaftlich tätig zu sein. Im Extremfall besteht dann am steuerlichen Ansässigkeitsort der Gesellschaft tatsächlich kaum mehr als der berühmte Briefkasten. In solchen Fällen ist eindeutig, dass es an angemessener Wirtschaftstätigkeit fehlt.

Böhmer: Dieser Fall ist sicherlich eindeutig. Daneben gibt es aber auch deutlich weniger klare Fälle. Denken Sie an den Fall, dass ein deutsches und ein britisches Unternehmen ein Joint Venture gründen wollen, in das beide ihre im jeweiligen Heimatmarkt betriebenen Aktivitäten einbringen wollen. Können sich beide nicht auf einen der beiden Standorte einigen, wird man häufig das Joint Venture an einem neutralen Ort ansiedeln, z.B. in den Niederlanden. Dann stellt sich in der Praxis stets die Frage, welche Funktionen tatsächlich vor Ort ausgeübt werden müssen, um die angesprochene angemessene Wirtschaftstätigkeit nachweisen zu können.

Hier knüpft der Richtlinienentwurf an und gibt erstmals einheitliche Kriterien vor. Entscheidend soll nach Auffassung der Kommission sein, ob in dem Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft durch qualifiziertes Personal tatsächlich Entscheidungen getroffen werden und ob eine gewisse Infrastruktur vor Ort besteht. Indizien für die Infrastruktur vor Ort sind Räumlichkeiten sowie ein eigenes Bankkonto. Deutlich schwieriger wird es in vielen Fällen werden, z.B. bei Fondsstrukturen, nachzuweisen, dass qualifiziertes Personal vor Ort tätig ist, das befugt ist, Entscheidungen zu treffen, und regelmäßig auch Entscheidungen trifft. Dies wird sicherlich in vielen Fällen zum Überdenken der bisherigen Struktur führen.

DB: Wie können Unternehmen, die als verdächtig eingestuft werden, beweisen, dass sie trotzdem ein echtes Unternehmen sind?

Böhmer: Zunächst einmal muss festgestellt werden, ob ein Unternehmen überhaupt als verdächtig eingestuft wird. Dazu ist ein Eingangstest durchzuführen. Kritisch sieht die Kommission Unternehmen, die bestimmte hochmobile Einkünfte erzielen, bspw. Zinsen, Lizenzen oder Dividenden, wenn der überwiegende Teil dieser Einkünfte aus grenzüberschreitenden Transaktionen stammt. Damit ein Unternehmen aber wirklich als verdächtig klassifiziert wird, muss hinzukommen, dass es das Tagesgeschäft und die Entscheidungsfindung in Bezug auf wesentliche Funktionen ausgelagert hat. Vor Augen hatte die Kommission dabei offensichtlich Fälle, in denen eine Holding bspw. in Luxemburg oder den Niederlanden ansässig ist und vor Ort nur ein professioneller Dienstleister für diese Gesellschaft tätig ist, der überdies noch weitere 800 Gesellschaften betreut.

Benz: Unternehmen, die diese Voraussetzung erfüllen und dementsprechend als verdächtig anzusehen sind, sind im nächsten Schritt verpflichtet, zu verschiedenen Punkten in der Steuererklärung Angaben zu machen. Die Unternehmen müssen in ihrer Steuererklärung darlegen, dass sie in ihrem steuerlichen Ansässigkeitsstaat über eigene oder angemietete Räumlichkeiten sowie über ein aktives Bankkonto in der EU verfügen. Weiterhin muss das Unternehmen mindestens ein hinreichend qualifiziertes und mit Entscheidungsmacht ausgestattetes Mitglied der Geschäftsleitung in seinem Ansässigkeitsstaat oder in der Nähe des Unternehmens nachweisen.

Letzteres kann man als „Trier-Klausel“ ansehen. Denn dadurch wird es ermöglicht, dass der Geschäftsführer einer Luxemburger Gesellschaft nicht in Luxemburg selbst ansässig sein muss, sondern auch im angrenzenden Ausland ansässig sein kann, wie bspw. in Trier. Ausgeschlossen werden damit vor allem Fälle, in denen der Geschäftsführer für ein oder zwei Sitzungen im Jahr aus einem anderen Staat einfliegt. Statt eines lokal ansässigen Geschäftsführers kann das Unternehmen auch nachweisen, dass die Mehrheit der Mitarbeiter des Unternehmens in demselben Mitgliedsstaat – oder in der Nähe – ansässig sind und über die notwendigen Qualifikationen für die Tätigkeiten verfügen, mit denen das Unternehmen seine Gewinne erzielt.

Kann das Unternehmen die genannten Voraussetzungen darlegen, hat es damit bewiesen, dass es trotz risikobehafteter Einkünfte über ausreichend Substanz und damit über eine angemessene Wirtschaftstätigkeit im fraglichen Mitgliedsstaat verfügt.

Böhmer: Gelingt der Beweis ausreichender Substanz nicht, wird zunächst vermutet, dass ein Unternehmen mit fehlender Mindestsubstanz vorliegt. Daraus wird die Annahme abgeleitet, dass es sich bei dem fraglichen Unternehmen um eine missbräuchlich eingesetzte Briefkastenfirma handelt. Es gibt allerdings auch in diesem Fall weitere Möglichkeiten, diese Missbrauchsvermutung zu widerlegen. Dies kann zum einen gelingen, wenn das Unternehmen wirtschaftliche Gründe für die gewählte Struktur darlegen kann. Dazu sind weitere Angaben zu machen, insbesondere detaillierte Angaben zu den Mitarbeitern bspw. zu deren Erfahrung, ihrer Qualifikation sowie der Position im Unternehmensorganigramm. Außerdem müssen konkrete Nachweise dafür vorgelegt werden, dass die Entscheidungsfindung im Hinblick auf Tätigkeiten, mit denen das Unternehmen seine Einkünfte erzielt, im Ansässigkeitsmitgliedsstaat des Unternehmens erfolgt. Zum anderen können Unternehmen nachweisen, dass sie durch die Ansässigkeit im jeweiligen Mitgliedsstaat keine steuerlichen Vorteile erlangen. Um einen solchen Nachweis zu führen, muss bewiesen werden, dass die steuerliche Belastung für den Konzern, dem es angehört, bzw. seine wirtschaftlichen Eigentümer durch die Zwischenschaltung des Unternehmens ohne hinreichende Substanz nicht verringert wird.

Wenn keine dieser Ausnahmen in Anspruch genommen werden kann, kommt es sodann zu den eigentlichen Sanktionen, die die Richtlinie vorsieht, d.h. insbesondere dem Wegfall von Steuererleichterungen.

DB: Die EU-Kommission hat immerhin selbst eingeräumt, dass es auch Briefkastenfirmen mit zulässigen gewerblichen und geschäftlichen Funktionen gibt. Welche sind das zum Beispiel?

Benz: Erfreulicherweise hat die Kommission tatsächlich eine umfangreiche Liste für Unternehmen geschaffen, bei denen trotz fehlender Mindestsubstanz im Ergebnis kein missbräuchliches Verhalten anzunehmen ist. Diese umfasst als erstes börsennotierte Unternehmen. Daneben werden aber auch eine Vielzahl regulierter Unternehmen aus der Finanzbranche ausgenommen. Dies betrifft etwa Banken, Versicherungen, Rückversicherungen, Fondsmanager, bspw. AIFM, aber auch verschiedene Fonds (AIF, UCITS). Nicht ausgenommen werden aber bspw. Holdinggesellschaften, die von derartigen Fonds gehalten werden.

Abgesehen davon gibt es auch eine Reihe von Ausnahmen für Holdingkonstellationen, bspw. wenn das Unternehmen, seine Anteilseigner und die operativen Gesellschaften, die von dem Unternehmen gehalten werden, alle in demselben Staat ansässig sind. Schließlich gibt es noch eine weitere Ausnahme: Unternehmen mit mindestens fünf eigenen Beschäftigten in Vollzeit, die nur für das Unternehmen tätig sind, sind ebenfalls stets von der Richtlinie ausgenommen. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass man bei fünf eigenen Beschäftigten auch kaum noch Zweifel haben kann, dass eine angemessene Wirtschaftstätigkeit durch das Unternehmen ausgeübt wird. Die wirklich missbräuchlichen Fälle sehen sicherlich anders aus.

DB: Und welche Steuererleichterungen stehen auf dem Spiel?

Böhmer: Zu den Steuererleichterungen, die Unternehmen ohne angemessene Wirtschaftstätigkeit sich zu Nutze machen, zählt insbesondere die Befreiung von der Quellensteuer bei Zins- und Lizenzzahlungen sowie bei Dividenden. Innerhalb der EU sind grenzüberschreitende Zins- und Lizenzzahlungen sowie Dividenden von der Belastung mit Quellensteuer befreit. Die Richtlinie knüpft daran an und versagt die Inanspruchnahme dieser Befreiungsvorschriften. Auch die Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen mit den Ansässigkeitsstaat des Unternehmens ohne Mindestsubstanz kann versagt werden. Daneben kann es dazu kommen, dass die Einkünfte des Unternehmens ohne Mindestsubstanz seinem Gesellschafter zuzurechnen sind. Die Einkünfte sind sodann bei diesem zu versteuern, als hätte er sie selbst erzielt. Im Ergebnis kommt es also dazu, dass die steuerliche Existenz des Unternehmens ohne Mindestsubstanz hinweggedacht wird.

DB: Welche weiteren Maßnahmen trifft die Richtlinie, um effektiv die Steuervermeidung durch Verwendung von Briefkastenfirmen zu vermeiden?

Böhmer: Ein Unternehmen, das nach dem in der Richtlinie niedergelegten Test nicht nachweisen kann, über die notwendige Mindestsubstanz zu verfügen und auch keine anderen wirtschaftlichen Gründe für die gewählte Struktur darlegen kann, soll von seinem Ansässigkeitsstaat keine sog. Ansässigkeitsbescheinigung mehr erhalten. Stellt der Ansässigkeitsstaat trotzdem noch eine Bescheinigung aus, soll diesen einen Warnhinweis enthalten, dass bestimmte Steuererleichterungen nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Daneben soll für Unternehmen, die ihren Verpflichtungen nach der Richtlinie nicht nachkommen und die erforderlichen Informationen der Finanzverwaltung nicht zur Verfügung stellen, eine Geldbuße in Höhe von mindestens 5 % des Umsatzes des Unternehmens erhoben werden.

Um flächendeckend Informationsgleichheit sicherzustellen sieht die Richtlinie zudem vor, dass die Staaten gewonnene Informationen automatisch über ein Zentralverzeichnis austauschen. Die Mitgliedsstaaten haben des Weiteren die Möglichkeit andere Mitgliedsstaaten dazu aufzufordern Betriebsprüfungen bei einzelnen Unternehmen durchzuführen. Auch die hieraus gewonnenen Informationen sind zwischen den Mitgliedsstaaten auszutauschen.

DB: Wann ist mit der Umsetzung der „Briefkastenrichtlinie“ zu rechnen?

Benz: Der Richtlinienvorschlag sieht in seiner aktuellen Fassung eine Umsetzungsfrist für die nationalen Gesetzgeber der einzelnen Mitgliedsstaaten bis zum 30.06.2023 vor. Die daraufhin erlassenen nationalen Regeln sollen wiederum am 01.01.2024 in Kraft treten. Sollte der Richtlinienvorschlag von dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament beschlossen werden, treten nationale Regelungen also frühestens 2024 in Kraft.

Zu berücksichtigen ist allerdings auch, dass verschiedene Bestimmungen des Richtlinienentwurfs für die Prüfung ob eine missbräuchliche Struktur vorliegt, einen zweijährigen Betrachtungszeitraum beinhalten. Wenn die nationalen Regelungen zur Umsetzung der Richtlinie also zum 01.01.2024 in Kraft treten, dann beginnt dieser zweijährige Betrachtungszeitraum somit am 01.01.2022. Folglich sind auch die heute bestehenden Strukturen und Verhältnisse für die Anwendung der Richtlinienbestimmungen relevant, auch wenn die eigentlichen Rechtsfolgen der Richtlinie erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten.

Ob die Richtlinie in der vorgeschlagenen Form kommen wird, wird sich so schnell nicht beantworten lassen. Die französische Ratspräsidentschaft des ersten Halbjahres 2022 konzentriert sich auf die Umsetzung der OECD/G20 Inclusive Framework Arbeiten zu Pillar 2, damit diese Regelungen rechtzeitig am 01.01.2023 in Kraft treten können. Demnach wird der Unshell-Entwurf erst im zweiten Halbjahr 2022 im ECOFIN diskutiert werden. Luxemburg als einer der Hauptbetroffenen hat heute schon klar gemacht, dass es mit einer 1:1 Umsetzung des Entwurfs nicht einverstanden ist.

DB: Vielen Dank für das Interview!


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

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