Sachverhalt
Die Gründungsgesellschafter einer mittelständischen GmbH übertrugen im Rahmen der Unternehmensnachfolge etwas weniger als 75% der Geschäftsanteile unter Nießbrauchsvorbehalt auf ihren Sohn und die restlichen Geschäftsanteile auf fünf Führungskräfte zu gleichen Teilen. Ziel war es, eine stabile und erfahrene Unternehmensleitung auch für die Zukunft zu gewährleisten. Die Führung des Unternehmens allein durch ihren Sohn sei aufgrund dessen anderweitiger beruflicher Einbindung und fehlender unternehmerischer Erfahrung nicht gesichert.
Die Übertragungen erfolgten schenkweise und waren nicht an Bedingungen wie den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses oder bestimmte zukünftige Leistungen der Mitarbeiter gekoppelt. Sie wurden lediglich mit einer Rückfallklausel abgesichert, wonach die Anteile zurückübertragen werden sollten, falls die steuerlichen Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b und 19a ErbStG nicht gewährt werden würden.
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung qualifizierte das Finanzamt die unentgeltliche Anteilsübertragung als geldwerten Vorteil und damit als Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Begründet wurde dies mit der engen Verbindung der Führungskräfte zum Unternehmen sowie ihrer bisherigen und künftigen Tätigkeit in leitender Position. Nach Ansicht des Finanzamts stellten die erhaltenen Geschäftsanteile eine Vergütung für die bisherige und zukünftige Arbeit der Führungskräfte dar. Es setzte entsprechend Lohnsteuer fest. Das FG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 27.04.2022 – 3 K 161/21) wertete die Übertragungen hingegen nicht als Arbeitslohn, sondern als Bestandteil der unternehmerischen Nachfolgeplanung. Der BFH bestätigte diese Entscheidung.
Entscheidungsgründe des BFH
1. Geldwerter Vorteil kann nur in verbilligter Überlassung der Geschäftsanteile liegen
Der BFH bestätigt in seiner Entscheidung, dass der bloße Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Gesellschaft noch keinen geldwerten Vorteil darstellt, der steuerlich als Arbeitslohn zu qualifizieren ist. Ein solcher Vorteil entsteht erst dann, wenn die Geschäftsanteile zu einem vergünstigten Preis übertragen werden. Erfolgt die Übertragung zum Marktwert, fehlt es an einer begünstigenden Zuwendung, sodass keine steuerpflichtigen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit vorliegen (vgl. bereits BFH vom 14.12.2023 – VI R 1/21).
2. Abgrenzung zwischen Arbeitslohn und gesellschaftsrechtlicher Zuwendung
Werden Geschäftsanteile verbilligt gewährt, ist für die steuerliche Einordnung entscheidend, ob diese Vergünstigung – unabhängig von der Person des Zuwendenden (sei es der Arbeitgeber, sei es ein Dritter wie z.B. ein Gesellschafter) – „für“ eine Arbeitsleistung gewährt wurde, also durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 EStG). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn die Zuwendung als Gegenleistung für erbrachte oder künftige Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers zu werten ist.
Die Entscheidung des BFH zeigt erneut, dass nicht jeder Leistungsaustausch mit einer faktischen Nähe zum Arbeitsverhältnis automatisch zu Arbeitslohn führt. Kein Arbeitslohn liegt vor, wenn die Zuwendung wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bzw. dem Dritten gewährt wird. Im Streitfall war die Übertragung nach der Würdigung des FG ganz offenkundig durch die Unternehmensnachfolge motiviert. Der BFH bestätigte diese Beurteilung.
3. Unternehmensnachfolge als entscheidendes Motiv
Der BFH hob hervor, dass das übergeordnete Ziel der Übertragungen der Geschäftsanteile erkennbar die Sicherung der Unternehmensnachfolge war. Dies wurde durch folgende objektive Umstände belegt:
- Die Höhe der übertragenen Anteile war nicht an die Arbeitsleistung gekoppelt und stand in keinem Verhältnis zu den Bruttoarbeitslöhnen der Empfänger.
- Das Protokoll der der Nachfolge zugrundeliegenden Gesellschafterversammlung brachte zum Ausdruck, dass die Übertragungen der Einbindung der Führungskräfte in die Gesellschafterstruktur dienen sollten, um die Kontinuität der Unternehmensleitung sicherzustellen. Fachliche Kompetenz sei für die Unternehmensleitung bei der Unternehmensnachfolge ein essentielles Kriterium.
- Die erbschaftsteuerlichen Rückfallklauseln in den Übertragungsverträgen untermauerten die beabsichtige Regelung der Unternehmensnachfolge.
Das FG hatte alle relevanten Umstände umfassend gewürdigt und zutreffend festgestellt, dass die Übertragung nicht durch das Arbeitsverhältnis veranlasst war. Obwohl die tatrichterliche Würdigung des FG durch den BFH revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbar war, hielt der BFH die Feststellungen des FG im Streitfall nicht nur für möglich, sondern für offensichtlich.
Fazit
Das Urteil des BFH hat grundsätzliche Bedeutung für Unternehmensnachfolgen unter Beteiligung von Führungskräften. Es verdeutlicht, wie wichtig eine sorgfältige und transparente Umsetzung von Anteilsübertragungen im Rahmen der Unternehmensnachfolge ist. Die klare Abgrenzung zwischen Arbeitslohn und gesellschaftsrechtlicher Zuwendung sowie die umfassende Dokumentation der Nachfolgemotivation (in Protokollen von Gesellschafterversammlungen, in den Übertragungsverträgen) sind entscheidend, um steuerliche Risiken zu minimieren. Die Entscheidung bietet insbesondere Familienunternehmen eine wichtige Grundlage für eine rechtssichere und effektive Nachfolgeplanung unter Einbindung langjähriger Führungskräfte.