Ausgangslage
Nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG sind diverse Übertragungen von einzelnen Wirtschaftsgütern mit dem Wert vorzunehmen, der sich nach den Vorschriften über die Gewinnermittlung ergibt, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Dieser (zwingende) Buchwertansatz bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1–3 EStG wird vom Gesetzgeber „zur Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen“ (so BMF vom 08.12.2011, BStBl. I 2011 S. 1279 = DB 2011 S. 2880, Rn. 22) mit Sperrfristen verknüpft.
Während diejenige nach § 6 Abs. 5 Satz 4 Hs. 2 EStG drei Jahre nach Abgabe der Steuererklärung des Übertragenden für den Veranlagungszeitraum, in dem die in [§ 6 Abs. 5] Satz 3 bezeichnete Übertragung erfolgt ist, endet, läuft die nun vor dem FG Münster streitige zweite Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ganze sieben Jahre, und zwar ab dem Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums. Eine „Abschmelzung“ ihrer Rechtsfolgen im Zeitverlauf, wie sie etwa von der Sperrfrist des § 22 Abs. 1 UmwStG bekannt ist, sieht das Gesetz nicht vor.
§ 6 Abs. 5 Satz 6 EStG hat u.a. in mehrstöckigen Strukturen von Personengesellschaften für Unmut gesorgt. Der Gesetzgeber will danach auf den Zeitpunkt der Übertragung einen rückwirkenden Teilwertansatz anordnen, „soweit innerhalb von sieben Jahren nach der Übertragung des Wirtschaftsguts nach [§ 6 Abs. 5] Satz 3 der Anteil einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse an dem übertragenen Wirtschaftsgut aus einem anderen Grund unmittelbar oder mittelbar begründet wird oder dieser sich erhöht“. Durch einen auf einer oberen Konzernebene vorgenommenen Formwechsel einer Personen- in eine Kapitalgesellschaft kann eine solche „mittelbare“ Begründung eines Anteils an dem Wirtschaftsgut ausgelöst werden – meint das FG Niedersachsen in seinem Urteil vom 26.10.2018 (3 K 173/16; zustimmend Kulosa, in: Schmidt, EStG, 39.Aufl. 2020, § 6 Rn. 840; kritisch Weiss/Brühl, DStR 2019 S. 1065).
Sachverhalt
Das FG Münster hatte nun einen Fall zu entscheiden, bei dem eine Organgesellschaft einer körperschaftsteuerlichen Organschaft eine Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 EStG im Veranlagungszeitraum 2014 vorgenommen hatte. 51% ihrer Kommanditanteile an ihrer Tochterpersonengesellschaft „S KG“, auf die die Übertragung erfolgt war, hatte die Organgesellschaft dann mit Kaufvertrag vom 29.09.2015 veräußert. Erwerberin war eine weitere „SB KG“, deren Gesellschafter konzernfremde Körperschaften waren.
Das FA nahm eine Verletzung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG an und setzte rückwirkend und mit 51% anteilig („soweit“) den Teilwert bei der Organgesellschaft an. Durch die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 14 Abs. 5 KStG, die im Streitjahr 2014 bereits vorzunehmen war, wurde das so entstandene zusätzliche steuerliche Einkommen der Organträgerin zugerechnet (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Bei ihr ergab sich aufgrund der Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG; § 10a Satz 2 GewStG) eine Erhöhung der Ertragsteuerlast.
Entscheidungsgründe
Das FG Münster hat der Klage stattgegeben, die Revision jedoch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Ein Bedarf für die Anwendung der Körperschaftsklausel des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG bestehe nicht. Vielmehr sei ein „Überspringen“ von stillen Reserven auf andere Körperschaften, das von der Klausel vermieden werden solle, schon dem Grunde nach nicht denkbar. Die stillen Reserven seien durch den Veräußerungsgewinn aus dem Teilmitunternehmeranteil an der übernehmenden Personengesellschaft von 51% bereits aufgedeckt worden und würden insoweit auch besteuert (§ 16 Abs. 1 Satz 2 EStG; § 7 Satz 2 GewStG).
Eine Parallele sieht das FG Münster auch zu den bereits ausgeurteilten Fällen des § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG. Dort hat der BFH selbst eine teleologische Reduktion in den sog. „100%-Fällen“ angemahnt, bei denen ein Wirtschaftsgut durch einen zu 100% am Vermögen einer Personengesellschaft beteiligten Gesellschafter unentgeltlich oder gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten in das Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft übertragen und innerhalb der Sperrfrist – bei unveränderten Beteiligungsverhältnissen – veräußert wird (BFH vom 31.07.2013 – I R 44/12, BStBl. II 2015 S. 450 = DB 2013 S. 2480). Bei fehlender Gefährdung des „Subjektsteuerprinzips“ – wie etwa bei der gesetzlich vorgesehenen Erstellung einer Ergänzungsbilanz (§ 6 Abs. 5 Satz 4 Hs. 1 EStG) – müsse die Sperrfristregelung entfallen. Die Finanzverwaltung hat diese Grundsätze zwischenzeitlich anerkannt (H 6 Abs. 15 EStH, „Einmann-GmbH & Co. KG“).
Einordnung und Ausblick
Durch die Entscheidung wird ein „Trend“ etabliert, der die Auswüchse der von der Finanzverwaltung allzu wörtlich genommenen Sperrfristregelung des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG in sinnvoller Weise eindämmt. Durch die lange Laufzeit bei fehlender Abschmelzung ist § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG besonders tückisch. Gerade in komplexeren Konzernstrukturen ist der Lauf derartiger Fristen und ihre Einhaltung nur schwer zu überwachen. Zudem bleiben die Rechtsfolgen über die sehr lange Laufzeit dieselben. Kein „Meldeverfahren“, wie es etwa aus § 22 Abs. 3 UmwStG bekannt ist, erinnert den Steuerpflichtigen an die noch bestehende Frist.
Für die betroffenen Steuerpflichtigen richten sich nun alle Blicke auf das Revisionsverfahren XI R 20/19 nach dem Urteil des FG München vom 10.07.2019 (7 K 1253/17). Dieses dürfte auch die Lösung des vorliegenden Streitfalls weitgehend bestimmen, liegen doch die Sachverhalte nah beieinander. Die teleologische Reduktion der Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG erscheint dabei jedoch nicht nur aufgrund der langen Laufzeit und der Möglichkeit mittelbarer Verletzung angezeigt. Hinzu kommt, dass die Verletzung bereits durch die Begründung oder Erhöhung des Anteils einer Körperschaft angenommen wird, obwohl dadurch noch nicht zwingend auch eine begünstigte Realisation der stillen Reserven in dem Einzelwirtschaftsgut vorliegt. Damit setzt die Rechtsfolge des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG eigentlich „zu früh“ ein. Allerdings ist zuzugestehen, dass es sich hierbei um eine generelle und konzeptionelle Schwachstelle der Körperschaftsklausel handelt. Zu deren Korrektur ist vor allem der Gesetzgeber aufgerufen.
In praktischer Hinsicht ist auch die Umsetzung einer Verletzung der Sperrfrist interessant. Die Finanzverwaltung geht von einem rückwirkenden Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO aus, mit entsprechenden Folgen für die Anlaufhemmung der Festsetzungs- bzw. – im Besprechungsurteil – Feststellungsfrist (BMF vom 08.12.2011, BStBl. I 2011 S. 1279 = DB 2011 S. 2880, Rn. 35 i.V.m. Rn. 27). Die Nebenfolge eines ebenfalls länger anlaufgehemmten Zinslaufs (§ 233a Abs. 2a AO) wird allerdings durch die häufig mögliche Änderung unter § 164 Abs. 2 AO untergraben – so auch im Urteil des FG Münster. Insoweit geht die Änderung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung der Anwendung der Regelungen zum rückwirkenden Ereignis vor (§ 172 Abs. 1 Satz 1 AO).