Am 15.12.2015 hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss (Az. 2 BvL 1/12) entschieden, dass die Überschreibung eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) durch innerstaatliches Gesetz (sog. „Treaty Override“) verfassungsrechtlich zulässig ist.
DBA haben als völkerrechtliche Verträge innerstaatlich den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Der Gesetzgeber kann nach dem lex-posterior-Grundsatz später einem Abkommen widersprechende Gesetze erlassen ohne gegen den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit oder das Rechtsstaatsprinzip zu verstoßen, lautet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Der ungeschriebene Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit habe zwar Verfassungsrang, beinhalte aber keine Pflicht zur uneingeschränkten Befolgung aller völkerrechtlichen Normen. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit lasse das Prinzip der demokratischen Selbstbestimmung unangetastet und verschiebe auch nicht die von der Verfassung vorgegebene Regelung über den Rang von einfachen Gesetzen.
Bewusste Abwendung von DBA zulässig
Mit der Entscheidung löst das Bundesverfassungsgericht den Konflikt zwischen dem DBA und der Neuregelung des EStG unter Hervorhebung der Ranggleichheit beider Regelungen durch die lex-posterior-Regel. Die Entscheidung hat für aktuelle Fälle im Zusammenhang mit dem DBA Türkei zwar keine Bedeutung mehr, da in Art. 22 eine Rückfallklausel vereinbart worden ist. Das BVerfG hat auch keine Stellung dazu bezogen, ob § 50d Abs. 8 EStG tatsächlich einen Treaty Override enthält. Die wesentliche Bedeutung der Entscheidung besteht allerdings darin, dass der Gesetzgeber sich bewusst von völkerrechtlichen Verträgen durch innerstaatliche Gesetze abwenden kann. Im Steuerrecht hat dies große Bedeutung für sämtliche DBA.
Mehr zu dem Beschluss und seinen Hintergründen erfahren Sie im Kurzkommentar „Zulässigkeit der Überschreibung (Treaty override) eines Doppelbesteuerungsabkommens“ von RiFG Dr. Michael Hennigfeld in DER BETRIEB Heft Nr. 08 vom 26.02.2016 S. 442 f. oder online unter Dokumentennummer DB1192423
(BVerfG PM vom 12.02.2016/ Viola C. Didier)