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16.06.2020

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Die „Corona-Warn-App“ und das Arbeitsrecht

Seit dieser Woche steht die sogenannte „Corona-Warn-App“ zum Download bereit. Viel wurde in den letzten Wochen über den Datenschutz und die Freiwilligkeit diskutiert. Zugleich wirft die Verwendung der App auch einige arbeitsrechtliche Fragen und Handlungsbedarf auf Seiten der Arbeitgeber auf.

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RA Thomas Köllmann
Küttner Rechtsanwälte, Köln

Wie im Rahmen des gesamten Krisenmanagements, sollten auch für die Nutzung der App betriebsinterne Regelungen implementiert werden. Dazu bieten sich unter anderem folgende Punkte an:

  • Hinweis auf die freiwillige Nutzung der App, ggf. Hinweis, dass eine Nutzung von Seiten des Arbeitgebers und des Betriebsrats mit Blick auf den Gesundheitsschutz begrüßt würde,
  • Hinweis auf die Verpflichtung, den Arbeitgeber bei einer Meldung durch die App umgehend (telefonisch) zu informieren,
  • Benennung eines Ansprechpartners auf Arbeitgeberseite,
  • Hinweis darauf, dass je nach Risiko-Score und allgemeinem Gesundheitszustand sowie Einsatzgebiet des Arbeitnehmers etwaige weitere Maßnahmen einzelfallabhängig abgestimmt werden (Einzelbüro, Homeoffice, Freistellung usw.),
  • Regelung zum Umgang mit den vom Arbeitnehmer erlangten Gesundheitsdaten durch den Arbeitgeber (Hinweis auf Vertraulichkeit, Speicherung, Löschung, Zweckbindung usw.)

Die Funktionsweise der App

Auch bislang erfolgt im Fall einer Covid-19-Erkrankung eine Rückverfolgung von Kontaktketten durch Mitarbeiter der Gesundheitsbehörden. Diese Kontaktnachverfolgung soll durch eine flächendeckende Nutzung der App digitalisiert werden:

  • Treffen sich Nutzer, die ein Smartphone mit der App bei sich tragen, können sich die Geräte gegenseitig erkennen und tauschen bestimmte Zahlenfolgen (ID) aus. Jedes Gerät generiert nach dem Zufallsprinzip alle paar Minuten eine neue ID. Der Abstand zwischen zwei Smartphones, auf denen die App installiert ist, kann aufgrund der Signalstärke ermittelt werden. Ist der Abstand für eine gewisse Zeit gering genug, speichern die Smartphones die jeweils fremde ID lokal ab.
  • Bei einer festgestellten Covid-19-Infektion gibt der Nutzer seine Daten via Scan eines QR-Codes, den er vom Arzt erhalten hat oder per Telefon-TAN-Verfahren frei. Sodann werden sämtliche IDs, die die App innerhalb der letzten Tage erzeugt und ausgesendet hat, an einen zentralen Server gesendet. Dort können sie von allen anderen App-Benutzern heruntergeladen werden. Der Abgleich der auf dem Server hinterlegten Daten mit den lokal auf den Smartphones gespeicherten fremden IDs ermöglicht die Feststellung, ob der Benutzer in einem bestimmten Zeitraum Kontakt mit einem Covid-19-Patienten hatte.
  • Wenn auf diese Weise ein Kontakt festgestellt wurde, wird anhand von Dauer und Entfernungsprofil nach statistischen Berechnungsvorschriften ein individueller Risiko-Score ermittelt. Der jeweilige Nutzer der App erhält eine Benachrichtigung über den Kontakt und Hinweise, wie er sich verhalten soll. Letzteres wird insbesondere von Dauer und Nähe des Kontaktes abhängen. Die Hinweise des Robert-Koch-Instituts zum Umgang mit Kontaktpersonen liegen diesen Verhaltenshinweisen zugrunde. Eine automatisierte Datenweitergabe an Dritte – etwa den Arbeitgeber oder Gesundheitsbehörden – ist nicht vorgesehen.

Muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über seine Krankheit oder einen Infektionsverdacht informieren?

Im Grundsatz muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht seine konkrete Erkrankung mitteilen. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitgeber die Informationen benötigt, um Schutzmaßnahmen für die übrigen Arbeitnehmer zu ergreifen. Mit Blick auf diese Schutzpflichten des Arbeitgebers und das erhöhte Infektionsrisiko, besteht eine Auskunftspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich einer (möglichen) Covid-19-Erkrankung. Gleiches gilt für einen dem Arbeitnehmer bekannten Infektionsverdacht, der etwa auf einem Kontakt mit einem Covid-19-Patienten beruht. Zeigt die App dem Arbeitnehmer einen solchen Infektionsverdacht oder einen hohen Risiko-Score an, wird er den Arbeitgeber darüber informieren müssen. Dies mag auf den ersten Blick in einem Widerspruch zu der freiwilligen Nutzung der App stehen. Die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers resultiert aber aus seinen arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, die unabhängig von der Herkunft der Information über eine mögliche Covid-19-Infektion zu erfüllen sind. Wenn der Arbeitnehmer also – ohne Verwendung der App – erfährt, dass er einen Kontakt mit einem Covid-19-Patienten hatte, ist der Arbeitgeber darüber zu informieren. Nichts anderes kann für technisch mittels der App generierte Informationen gelten.

Arbeitsrechtliche Folgen eines möglichen Infektionsverdachts

Wenn nach entsprechender Meldung durch die App der Arbeitnehmer das zuständige Gesundheitsamt informiert und dieses eine Quarantäne anordnet (§ 30 IfSG), besteht aus arbeitsrechtlicher Sicht wenig Handlungsspielraum: Die Arbeitsleistung kann in dieser Zeit – vorbehaltlich der kurzfristigen Einführung von Homeoffice – nicht erbracht werden. Der Arbeitgeber hat für die Zeit der angeordneten Maßnahme, maximal aber für sechs Wochen, eine Entschädigung in Höhe des Arbeitsentgelts zu leisten, wobei die ausgezahlten Beträge auf Antrag von der Behörde an den Arbeitgeber erstattet werden (§ 56 Abs. 5 Infektionsschutzgesetz). Etwas anderes gilt, wenn die App – etwa bei einem niedrigeren Risiko-Score – nur die Kontaktvermeidung empfiehlt, aber keine behördlichen Maßnahmen ergriffen werden: Da der Arbeitgeber Infektionsrisiken am Arbeitsplatz vermeiden muss, wird er auch bei reinen Empfehlungen durch die vom Arbeitnehmer genutzte App angemessen reagieren müssen. Ob im Einzelfall die weitestgehende „Isolierung“ innerhalb des Betriebs (z.B. Einzelbüro), die Einführung von Homeoffice oder aber eine einseitige Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung für den Zeitraum der Inkubationszeit erforderlich ist, kann nur im Einzelfall unter Beachtung der betrieblichen Gegebenheiten und der betroffenen Personen bewertet werden. Den Namen und sonstige Daten eines möglicherweise infizierten oder erkrankten Arbeitnehmers sollte der Arbeitgeber dabei grundsätzlich vertraulich behandeln und nur, soweit dies zum Gesundheitsschutz unbedingt erforderlich ist, betriebsöffentlich machen.

Kann der Arbeitgeber die Nutzung der App anordnen?

Die Nutzung der App kann der Arbeitgeber nicht wirksam einseitig anordnen. Soweit sich die Anordnung auf das private Smartphone bezieht, würde der Arbeitgeber durch seine Weisung bereits in erheblichem Umfang in die private Lebensführung und das Eigentum des Arbeitnehmers eingreifen. Aber auch auf dem Diensthandy kann die Nutzung nicht einseitig angeordnet werden, da auf diese Weise die datenschutzrechtliche Erlaubnis der Freiwilligkeit verloren ginge. Die Datenverarbeitung der App beruht darauf, dass jeder Nutzer sie freiwillig verwendet und eine Erkrankung freiwillig meldet (doppelte Freiwilligkeit). Bei einer Nutzungsanordnung durch den Arbeitgeber würde die Nutzung nicht mehr freiwillig erfolgen und damit eine unwirksame Datenverarbeitung vorliegen. Vor diesem Hintergrund ebenso problematisch sind sämtliche Maßnahmen, durch die ein mittelbarer Nutzungszwang erzeugt wird. So zum Beispiel die Anordnung, das Betriebsgelände nur unter Verwendung der App zu betreten. In diesen Fällen spricht vieles dafür, dass die Weisung rechtswidrig ist und der Arbeitnehmer sie nicht befolgen muss. Da der Erfolg der App schließlich von vielen Determinanten (Einschalten des Bluetooth, Beisichführen des Smartphones, Freigabe der Daten) abhängt, setzt sie eine hohe Akzeptanz der Nutzer voraus. Etwaige Nutzungsanordnungen von Arbeitgeberseite ließen sich fernab der rechtlichen Probleme leicht umgehen und gefährden den Erfolg der App. In der Praxis kann eine entsprechende Nutzungsempfehlung durch den Arbeitgeber – in Abstimmung mit dem Betriebsrat – eine Option darstellen.

Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates

Der Betriebsrat hat mitzubestimmen, wenn allgemeine Verhaltensregeln für den Betrieb erlassen werden (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Letzteres geschieht nicht nur durch die Anordnung der App-Nutzung, sondern bereits durch die Nutzungsempfehlung des Arbeitgebers, da es für die Mitbestimmung nicht auf die Rechtsverbindlichkeit der Maßnahme ankommt. Zugleich kann die Verwendung der App ein technisches Mittel zur Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutzvorschriften darstellen, weshalb auch § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG einschlägig sein kann. Soweit der Betriebsrat also ohnehin eingebunden werden muss, sollte zugleich klargestellt werden, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber bei einer entsprechenden Benachrichtigung durch die App unverzüglich informieren muss.

Pflichten und Verantwortungsbereiche von Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Soweit die Arbeitnehmer im Fall der Kenntnis eines entsprechenden Infektionsverdachts oder einer eigenen Erkrankung Mitteilungspflichten treffen, können Verstöße arbeitsrechtlich sanktioniert werden. Führt die unterlassene Meldung des Arbeitnehmers zu einem kausalen Schaden, wären zudem Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers denkbar. Weiterhin sind Konstellationen vorstellbar, in denen Arbeitnehmer sich bewusst in Risikosituationen mit vielen Personen begeben oder in Kontakt zu einer infizierten Person treten, um eine entsprechende Mitteilung durch die App bzw. einen höheren Risiko-Score zu provozieren, was wiederum zu möglichen „Begünstigungen“ (Freistellung, Homeoffice) führen kann. Insoweit besteht eine Nebenleistungspflicht des Arbeitnehmers, sich nicht bewusst und gezielt in einen Zustand zu versetzen, in dem er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen kann. Arbeitnehmer werden daher jedenfalls gesetzlichen Vorgaben (Abstandsgebote, Maskenpflichten, Kontaktverbote) befolgen müssen. In der Praxis wird ein Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben bei einer Meldung durch die App aber regelmäßig nicht nachgewiesen werden können, weshalb rechtliche Reaktionen nur eingeschränkt möglich sein werden. Es verbleibt die Möglichkeit einer ausdrücklichen Kommunikation gegenüber der Belegschaft, um diese hinsichtlich der Folgen etwaiger Verstöße zu sensibilisieren. Für die Nutzung der App sollten betriebsinterne Regelungen implementiert werden. Zu deren Inhalt wurde eingangs des Beitrages bereits ausgeführt. 

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