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03.01.2024

Steuerboard

Der Ausschluss des Bewertungsabschlags bei zu Wohnzwecken vermieteten Drittstaatengrundstücken verstößt gegen die Kapitalverkehrsfreiheit

Der EuGH hat jüngst entschieden, dass der deutsche Gesetzgeber Drittstaatengrundstücke, die zu Wohnzwecken vermietet sind, nicht ohne Weiteres von einem Bewertungsabschlag ausschließen darf – das gebiete die Kapitalverkehrsfreiheit (EuGH, Urteil vom 12.10.2023 – C-670/21, DB 2023 S. 2546). Solange der Gesetzgeber nicht nachbessert, sind daher auch bei solchen Drittstaatengrundstücken generell nur 90 % des Grundstückswerts zu versteuern. Das Urteil könnte Bedeutung über den Einzelfall hinaus erlangen und (erneut) weitere potenzielle Diskriminierungen des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts in den Fokus rücken.

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RA Christian Hesse
ist Associate bei POELLATH in Berlin

Der Bewertungsabschlag

Bei dem sogenannten Bewertungsabschlag für Grundstücke, die zu Wohnzwecken vermietet sind, handelt es sich um eine sachliche Steuerbefreiung. Das ErbStG gewährt dem Steuerpflichtigen insoweit nämlich einen Bewertungsabschlag in Höhe von 10 %. Mit anderen Worten: Es müssen generell nur 90 % des jeweiligen Grundstückswertes versteuert werden.

Die Regelung wurde mit Wirkung zum 01.01.2009 als § 13c ErbStG eingeführt und mit der Erbschaftsteuerreform 2016 wortgleich in § 13d ErbStG überführt, wo sie bis heute unverändert existiert.

Mit dem Bewertungsabschlag wollte der Gesetzgeber eine Vorgabe des BVerfG umsetzen, das die Zurverfügungstellung ausreichenden Wohnraums als überragenden Allgemeinwohlbelang ansah (BVerfG, Beschluss vom 07.11.2006 – 1 BvL 10/02, Rn. 158). Demnach sollten durch die Neuregelung vor allem private Vermieter und deren Angebot am Wohnungsmarkt als Gegenpol zur Marktmacht großer institutioneller Anbieter gestärkt und deren Steuerlast gesenkt werden (vgl. BR-Drucks. 4/08 S. 57 f.).

Grundstücke, die in Drittstaaten belegen sind, sind von dieser Steuerbefreiung allerdings ausdrücklich ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift können nämlich explizit nur Grundstücke profitieren, die im Inland, der EU oder dem EWR belegen sind.

Darüber hinaus darf das Grundstück nicht zum sogenannten begünstigten Vermögen i.S.d. § 13a ErbStG gehören, da insofern andere – speziellere – Regelungen gelten. In der Regel kommt die Vorschrift daher bei im Privatvermögen gehaltenen Grundstücken zur Anwendung.

Die Entscheidung des EuGH

In dem Ausschluss von Drittstaatengrundstücken erblickte ein betroffener Erbe einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit. Im Nachlass seines Vaters waren nämlich Grundstücke in Kanada, die zu Wohnzwecken vermietet waren, enthalten. Da sowohl der Erblasser als auch der Erbe selbst in Deutschland unbeschränkt erbschaftsteuerpflichtig waren, setzte das zuständige Finanzamt entsprechend die Erbschaftsteuer fest. Der Fiskus orientierte sich dabei streng am Wortlaut der Vorschrift und berechnete die Steuerlast anhand von 100 % des Grundstückswertes. In der Folge klagte der Erbe und verlangte die Herabsetzung seiner Steuer.

Die Zweifel des Klägers griff das FG Köln auf und legte die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vor (FG Köln, Beschluss vom 02.09.2021 – 7 K 1333/19; vgl. hierzu Meinert, DB 2022 S. 160).

Sowohl der zuständige Generalanwalt beim EuGH Collins als auch der EuGH selbst teilten nun diese Zweifel (Schlussantrag vom 09.02.2023 – C-670/21; sodann EuGH, Urteil vom 12.10.2023 – C-670/21, DB 2023 S. 2546). Es handele sich bei dem aktuellen Ausschluss von Drittstaatengrundstücken um eine nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit (Verstoß), so das Gericht.

Exkurs: Wer sich nun fragt, warum ein Sachverhalt im Zusammenhang mit Kanada (Drittstaat) überhaupt am Maßstab einer EU-Grundfreiheit gemessen wird, findet die Antwort umgehend in der primärrechtlichen Regelung des Art. 63 Abs. 1 AEUV. Dort heißt es nämlich, dass die Kapitalverkehrsfreiheit auch im Verhältnis zu Drittstaaten (!) zu beachten ist, was häufig übersehen wird.

Die Benachteiligung durch den Ausschluss von solchen Drittstaatengrundstücken sei geeignet, natürliche Personen von Investitionen in solche Grundstücke abzuhalten. Kurzum: Die Kapitalverkehrsfreiheit verbietet es einem Mitgliedstaat der EU nicht nur, Drittstaatenangehörige von Inlandsinvestitionen (Inbound-Fall), sondern auch EU-Inländer von Investitionen in Drittstaaten (Outbound-Fall) abzuhalten.

Weiter führte der EuGH aus, dass die hier in Rede stehende Beschränkung des Kapitalverkehrs auch nicht ausnahmsweise gerechtfertigt sein könne.

Da die Regelung jedenfalls nach dem 31.12.1993 erlassen worden sei, fände die sogenannte Standstill-Klausel keine Anwendung, die eine bereits zu diesem Zeitpunkt bestehende Diskriminierung vom Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit ausgenommen hätte (vgl. Art. 64 AEUV).

Nach Auffassung des EuGH sei auch der geschriebene Rechtfertigungsgrund bei Ungleichbehandlungen im Steuerrecht nicht einschlägig (vgl. Art. 65 Abs. 1 lit. a) AEUV). Dieser sei wegen seines Ausnahmecharakters im Hinblick auf das Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs eng auszulegen. Die Regelung könne daher nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die nach dem Staat der Kapitalanlage unterscheide, ohne Weiteres mit Unionsrecht vereinbar sei. Vielmehr dürften diese Regelungen gerade weder Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch verschleierte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen (vgl. Art. 65 Abs. 3 AEUV). Insoweit seien zulässige Ungleichbehandlungen von verbotenen Diskriminierungen abzugrenzen. Eine verbotene Diskriminierung liege dann vor, wenn die Belegenheit im Drittstaat objektiv mit der Belegenheit in der EU vergleichbar sei. Der EuGH vermochte einen Unterschied, der über die Belegenheit an sich hinaus geht, jedoch nicht zu erkennen.

Die Diskriminierung sei schließlich auch nicht durch ungeschriebene zwingende Gründe des Allgemeinwohls (hier konkret: soziale Wohnungspolitik Deutschlands und/oder Gewährleistung einer wirksamen Steueraufsicht) zu rechtfertigen, da der Bewertungsabschlag das Ziel der sozialen Wohnungspolitik schon gar nicht erkennen lasse, sondern nur undifferenziert auf den Belegenheitsstaat abstelle. Darüber hinaus sei durch das entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen mit Kanada ein hinreichender Informationsaustausch gewährleistet, der eine wirksame Steueraufsicht ermögliche.

Etwaige Schlussfolgerungen sowie ein kurzer Ausblick

  • Der hier vorliegende Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit hat nicht die Nichtigkeit der betreffenden Regelung zur Folge. Vielmehr kommt der für das Unionsrecht typische Anwendungsvorrang zum Tragen, der die nationale Vorschrift im Umfang der Unionsrechtswidrigkeit lediglich suspendiert.
  • Das hier in Rede stehende Urteil erging noch zur alten Rechtslage des § 13c ErbStG. Die Erwägungen des EuGH dürften jedoch auch für die aktuelle Regelung des § 13d ErbStG gelten, die sich im Wortlaut von ihrer Vorgängerversion nicht unterscheidet.
  • Abzuwarten bleibt ferner noch, wie Deutschland auf die Entscheidung reagieren wird. Es dürfte jedenfalls damit zu rechnen sein, dass der Gesetzgeber nachbessert. Angesichts der aktuell ohnehin angespannten Haushaltslage wird wohl eher nicht damit zu rechnen sein, dass künftig der private Wohnungsmarkt überall auf der Welt durch Deutschland steuerlich begünstigt werden soll. Dass Deutschland hieran kein Interesse habe, ergibt sich bereits aus der Stellungnahme der Bundesregierung im Besprechungsverfahren (vgl. EuGH, Urteil vom 12.10.2023 – C-670/21, Rn. 58). Da jedoch angesichts der Vorgaben des BVerfG eine ersatzlose Streichung ebenfalls ausscheiden dürfte, könnte eine weitere Verengung der tatbestandlichen Voraussetzung nach den Vorgaben des EuGH zu erwarten sein. De lege ferenda wäre also damit zu rechnen, dass künftig nur noch solche Inlands-Grundstücke (EU und EWR) profitieren, die in Orten mit besonders großer Wohnungsnot belegen sind (z.B. Großstädte). Außerdem könnte auch eine Behaltensfrist hinzukommen, während derer das Grundstück weiterhin Wohnzwecken dienen müsste.
  • Durch die aktuellen Erwägungen des höchsten europäischen Gerichts könnten zudem (erneut) auch weitere Vorschriften des ErbStG, die potenzielle Diskriminierungen enthalten, in den Fokus rücken. Zu nennen wären hier insbesondere die Steuerbefreiungen im Zusammenhang mit dem Familienheim (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 4a bis 4c ErbStG) oder etwaigen Kulturgütern (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ErbStG), bei denen die Finanzverwaltung auf zweifelhafter normativer Grundlage eine solche territoriale Beschränkung in den Tatbestand hineinliest (vgl. R E 13.2 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2019; Kapp/Ebeling, in: § 13 ErbStG, Rn. 21).
  • Im Hinblick auf die Steuerbefreiungen bei Kapitalgesellschaften hatte der EuGH unter Verweis auf die Mindestbeteiligungsquote in Höhe von 25 % bereits entschieden, dass der Ausschluss der Privilegierung bei Kapitalgesellschaften mit Sitz in einem Drittstaat nicht gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt, da diese von der nicht weltweit anwendbaren Niederlassungsfreiheit verdrängt werde (EuGH, Urteil vom 19.07.2012 – C-31/11, Scheunemann; hier ebenfalls Kanada; vgl. § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Wo aber verläuft die Grenze zwischen Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, wenn erst durch „Pooling“ mehrerer Anteile die Mindestbeteiligungsquote erreicht wird oder wenn Betriebsvermögen bei Personengesellschaften übertragen wird und es gerade keine Mindestbeteiligungsquote gibt, sondern der Belegenheitsort des Betriebsvermögens selbst entscheidet und nicht der Sitz der Gesellschaft (vgl. § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG sowie R E 13b.5 Abs. 3 Satz 4 ErbStR 2019)? Insoweit könnte das Urteil neue Impulse setzen.

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