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04.12.2023

Interview

„Der Arbeitsschutz muss immer sichergestellt sein“

In den Medien tauchten zuletzt immer wieder Meldungen auf, wonach Tesla seiner Sorgfaltspflicht im Hinblick auf die Arbeitssicherheit nicht gerecht wird. Das Nachrichtenmagazin „Stern“ recherchierte in dem Zusammenhang, dass es im Jahr 2022 sogar 190 meldepflichtige Unfälle gegeben habe – weit über dem Durchschnitt. Rechtsanwalt Daniel Hammes von der Wirtschaftskanzlei FPS-law gibt eine juristische Einschätzung zu den Geschehnissen.

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Daniel Hammes

DB: Herr Hammes, mal allgemein gefragt: Wann handelt es sich um einen Arbeitsunfall? Gibt es dafür eine Definition?

Hammes: Wie der Begriff bereits sagt, müssen – im Wesentlichen – zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Es muss ein Unfall vorliegen und dieser Unfall muss sich infolge bzw. aus Anlass der Arbeit oder auf dem Arbeitsweg ereignet haben. Klingt soweit einfach. Die Problemfälle und Abgrenzungsfragen werden deutlicher, wenn man sich beide Elemente genauer anschaut:

Ein „Unfall“ wird gesetzlich definiert als zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder gar zum Tod führt. Ein epileptischer Anfall auf der Arbeit ist also beispielsweise kein Unfall, weil es sich nicht um ein „von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis“ handelt, sondern die Ursache innerer Natur ist.

Damit aus einem „Unfall“ ein „Arbeitsunfall“ wird, muss der Arbeitnehmer den Unfall infolge seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit oder auf dem Dienstweg erlitten haben.

DB: Und hier gibt es vermutlich die meisten Abgrenzungsschwierigkeiten?

Hammes: Richtig, genau hier entstehen die Streitigkeiten, also bei der Frage, ob der Unfall in einem hinreichend engen Zusammenhang mit der Arbeit steht oder nicht. Ein Beispiel: Knickt ein Mitarbeiter auf dem Weg zur Kantine um, kann man einerseits argumentieren, dass dies nichts mit der Arbeit zu tun hat und man auch zuhause Essen und Trinken muss. Andererseits kann man einwenden, dass man bei einem 8-Stunden-Tag eben nicht zuhause essen kann, sondern die betrieblichen Einrichtungen nutzen muss und deshalb sehr wohl ein Bezug zur Arbeit besteht. Im Ergebnis sind Unfälle auf dem Weg zur Kantine deshalb Arbeitsunfälle.

In dieser Art gibt es viele weitere Grenzfälle. Aktuelles Beispiel sind die Weihnachtsfeiern. Kommt es hier zu einem Unfall, liegt ein Arbeitsunfall dann vor, wenn die Weihnachtsfeier zur Förderung der Verbundenheit zwischen Betriebsleitung und Beschäftigten vom Arbeitgeber veranstaltet, finanziert und gefördert wurde – Stichwort: „Aufruf zur Teilnahme“. Anders wäre es also dann, wenn sich mehrere Kollegen zu einer privaten Weihnachtsfeier verabreden, obwohl hier ja ebenfalls ein beruflicher, aber eben kein hinreichender beruflicher Bezug besteht. Man sieht: Häufig muss im Einzelfall beurteilt werden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt.

DB: Ist jeder Arbeitsunfall meldepflichtig?

Hammes: Meldepflichtig sind Arbeitsunfälle, bei denen der Arbeitnehmer so verletzt wird, dass er mehr als drei Tage arbeitsunfähig wird oder gar zu Tode kommt. Deshalb sind die meisten leichten und alltäglichen Arbeitsunfälle gar nicht meldepflichtig; so etwa, wenn ein Arbeitnehmer stürzt und sich lediglich ein schmerzhaftes Hämatom zuzieht. Diese Unfälle müssen jedoch eigentlich in einem Verbandbuch des Betriebs festgehalten werden. In der Führung eines Verbandbuchs sind die Unternehmen größtenteils frei, solange die Informationen vertraulich und für fünf Jahre aufbewahrt werden. Besonders wichtig kann eine solche Dokumentation – auch für den betroffenen Arbeitnehmer – werden, wenn es sich zunächst um einen kleineren Arbeitsunfall gehandelt hat, der aber weitere Spätfolgen nach sich zieht. Stellt sich bei dem soeben geschilderten Beispiel etwa heraus, dass der Arbeitnehmer auch einen Bänderriss erlitten hat, wird es – ohne Dokumentation – schwierig, im Nachhinein festzustellen, dass der Sturz die Ursache für diesen Bänderriss gewesen ist.

DB: Wo müssen Betriebe den Arbeitsunfall melden?

Hammes: Bei einem Arbeitsunfall muss sowohl die zuständige Behörde als auch der Unfallversicherungsträger unverzüglich vom Arbeitgeber unterrichtet werden. Die zuständige Behörde ist hier in Hessen beispielsweise das hessische Ministerium für Soziales und Integration (Abt. III Arbeit). Unfallversicherungsträger sind die Berufsgenossenschaften bzw. Unfallkassen. Die Anzeige hat innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis von dem Arbeitsunfall zu erfolgen. Dabei ist der Tag des Unfalls nicht mitzuzählen, Wochenenden oder Feiertage hingegen schon.

Bei schweren Arbeitsunfällen und Massenverletzungen muss die Meldung sofort erfolgen. Ein schwerer Arbeitsunfall liegt vor, wenn der Arbeitnehmer durch den Unfall voraussichtlich mehr als sechs Wochen im Krankenhaus behandelt werden muss oder ein bleibender Körperschaden mit Anspruch auf Unfallrente entstanden ist.

DB: Gibt es gesetzlich vorgeschriebene Vorsichtsmaßnahmen?

Hammes: Natürlich, es gibt eine ganze Reihe von allgemeinen und speziellen Arbeitsschutzvorschriften. Damit könnte man ganze Vorlesungen füllen. Das wichtigste Grundlagengesetz ist das Arbeitsschutzgesetz. Als zentrale Vorsichtsmaßnahme sieht das ArbSchG in § 5 vor, dass der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen hat. Nur wenn potenzielle Gefährdungen frühzeitig ermittelt werden, können sie auch beseitigt und damit Unfälle vermieden werden. Die Effektivität des Arbeitsschutzes hängt damit ganz erheblich von der Qualität der Gefährdungsbeurteilung ab.

Neben dem Arbeitsschutzgesetz gibt es noch einige Spezialregelungen wie z. B. die ArbeitsstättenVO, die Lärm- und Vibrations-ArbeitsschutzVO und die BetriebssicherheitsVO, die ebenfalls präventive Maßnahmen für den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer beinhalten.

DB: Unterscheiden sich die Vorschriften nach der Branche?

Hammes: Das Arbeitsschutzgesetz gilt für alle Branchen. Allerdings ist die Anwendung natürlich von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. In einem stahlverarbeitenden Produktionsunternehmen gelten beispielsweise andere Anforderungen an die soeben beschriebene Gefährdungsbeurteilung als in einem reinen Verwaltungsbetrieb.

Abgesehen davon geben auch die jeweiligen Berufsgenossenschaften spezielle Leitlinien, Vorschriften und Regelwerke heraus.

DB: Gelten für Unternehmen jedweder Größenordnung dieselben Regeln?

Hammes: Arbeitsschutz ist grundsätzlich keine Frage der Betriebsgröße, egal, wie groß der Betrieb ist. Die geltenden Regeln an den Arbeitsschutz sind überall gleich zu beachten. Es gibt hier also insbesondere keine Ausnahmen für Kleinbetriebe, etwa, dass das Arbeitsschutzgesetz für Betriebe mit einer bestimmten – geringen – Mitarbeiterzahl nicht gilt. Das ist nicht der Fall. Der Arbeitsschutz muss immer sichergestellt sein.

DB: Durch wen werden solche Vorschriften überwacht? Und welche Konsequenzen drohen jetzt Tesla?

Hammes: Die Zentralstelle für Arbeitsschutz beim Bundesministerium des Innern und für Heimat ist für die Überwachung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung ausschließlich in Bundeseinrichtungen zuständig. Im Übrigen, das heißt insbesondere für sämtliche Privatunternehmen, sind die Arbeitsschutzbehörden bzw. Gewerbeaufsichtsämter der Länder zuständig.

Falls die Arbeitsunfälle bei Tesla auf fehlende Schutzvorkehrungen im Werk zurückzuführen sind, können im schlimmsten Fall auch Strafen von bis zu 30.000 Euro drohen.

DB: Arbeitsunfall und Schmerzensgeld – wie hängt das zusammen?

Hammes: In der Regel hat der Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall keinen Anspruch auf Schmerzensgeld. Ein solcher Anspruch besteht nur, wenn der Arbeitgeber den Unfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Vorsätzlich bedeutet zwar keine Absicht, aber der Arbeitgeber muss zumindest die Möglichkeit des Unfalls, also etwa die Gefahrenquelle, gekannt und den Eintritt eines Unfalls bewusst in Kauf genommen haben. Das ist eine enorme Haftungsprivilegierung, da ein Schmerzensgeld normalerweise bei jeder schuldhaften, d.h. auch fahrlässigen, Verursachung in Betracht kommt.

Begründet wird dieses Haftungsprivileg zum einen damit, dass die bei einem Arbeitsunfall eintretende Unfallversicherung als einziger Zweig der Sozialversicherung allein durch den Arbeitgeber finanziert wird und dieser deshalb nicht noch selbst eintreten soll. Das nennt man das sog. „Finanzierungsinstrument“. Daneben gibt es noch das sogenannte „Friedensargument“, wonach die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht durch einen Haftungsprozess belastet, sondern allein die vom Arbeitgeber finanzierte Unfallversicherung eintreten soll.

DB: Vielen Dank für das Interview!


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro

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