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14.02.2019

Interview

Data-driven Law: Wie die Industrialisierung den Rechtsmarkt verändert

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Der Betrieb

Recht wird immer komplexer. Gleichzeitig schreitet die Digitalisierung des Rechtmarkts immer stärker voran. Dies verändert etablierte Berufsstände und Dienstleistungen, schafft aber zugleich auch neue Angebote. Über Data-driven Law sprechen Blockchain Lawyer Florian Glatz und Legal Tech-Pionier Prof. Dr. Stephan Breidenbach im Interview.

DB: Im Rahmen der Digitalisierung wird mittlerweile von der Industrialisierung des Rechts gesprochen. Was ist damit gemeint?

Glatz/Breidenbach: „Industrialisierung des Rechts heißt für uns Standardisierung auf hohem Niveau. Rechtliche Sprache liefert Regeln in einer Abstraktion, die für Unvorhergesehenes offen ist, sowie Raum lässt für Interpretationen und für Fortentwicklungen. Gleichzeitig sieht jeder, der mit Recht arbeitet, wiederkehrende Elemente. Verträge enthalten Bausteine von Regelungen, die unterschiedlich zusammengesetzt werden. Schriftsätze enthalten sich wiederholende Passagen und Elemente. Die Compliance von Untersuchungen, BaFin Prospekte, Bescheide von Krankenkassen oder der Leistungsverwaltung – sie alle haben gemeinsam, dass sie zumindest zu einem gewissen Anteil aus Bausteinen bestehen. Auch bisher schon behilft man sich mit Vorlagen, greift auf Formularsammlungen oder alte Verträge zurück und versucht daraus etwas jetzt Passendes zu produzieren. Produziert man aus den wiederkehrenden Elementen Bausteine, ist das der erste Schritt. Sie benötigen eine Architektur, die diese je nach Situation möglichst einfach zusammenführt. Eine digitale Fertigungsstraße setzt die Bausteine dann zusammen, individualisiert sie mit den jeweiligen Informationen und berücksichtigt Abhängigkeiten und Ausschlüsse. Das Ergebnis ist Industrialisierung. Nicht für alles, aber für immer mehr Bereiche. Und Maßarbeit wird es natürlich weiter geben.“

DB: Klingt plausibel. Was ist dann die nächste Stufe nach der Industrialisierung des Rechts?

Glatz/Breidenbach: „Der nächste Schritt liegt in der Automatisierung. Regeln sind überall. Recht, Prozesse, Formulare und Vorschriften bestimmen unser Leben. Die Verwaltung arbeitet regelbasiert. Compliance verlangt von Unternehmen, zahlreiche Regeln zu beachten, sich selbst Regeln zu setzen und Prozesse zu definieren. Und als Bürgerinnen und Bürger werden unsere Verpflichtungen und Ansprüche von Recht und Regeln geformt. Dabei ist das Ergebnis meist Text – Anträge, Bescheide, Reports, Vermerke usw., die oft auch Ergebnisse von Berechnungen enthalten. Das Schicksal von Regeln ist Code. Alle rechtlichen Entscheidungen, die nur Daten und Informationen benötigen, lassen sich im Prinzip automatisieren. Alle Texte in diesem Rahmen lassen sich – auf Baustein-Basis – automatisch zusammenfügen. Sind menschliche Bewertungen notwendig, z. B. bei unbestimmten Rechtsbegriffen oder Ermessensausübung, ist auch hier Unterstützung von Machine Learning in Reichweite. Große Teile der Compliance in Unternehmen oder der öffentlichen Verwaltung lassen sich automatisieren. Corporate Housekeeping stiehlt wertvolle Zeit, die Verantwortliche in die Entwicklung von Produkten und die Gestaltung der Unternehmenszukunft in sich schnell veränderten Märkten investieren könnten. Die generischen Legal Tech Anwendungen, die Regeln jeder Art bis in die Erstellung aller Texte automatisieren, sind auf dem Markt verfügbar.“

DB: Welche Bedeutung hat die Blockchain in diesem Zusammenhang?

Glatz/Breidenbach: „Über blockchainbasierte Systeme werden in Zukunft zunehmend Verträge abgewickelt. Durch die transparente Buchführung, die das Blockchainverfahren ermöglicht, können Transaktionen in absoluter Detailschärfe analysiert und nachvollzogen werden. Dadurch lassen sich wertvolle Daten gewinnen. Besonders spannend ist, dass dies nicht nur für einzelne Unternehmen, sondern ggf. für ganze Industriezweige gelten kann. Blockchains sind geteilte Datenbanksysteme für eine Mehrheit von Parteien. Nicht notwendigerweise alle, aber immerhin Teile der Daten können dabei von den Nutzern einer Blockchain offen eingesehen und analysiert werden. Dieser Umstand wird Business Intelligence aber auch datengetriebene Compliance-Lösungen nachhaltig verändern.“

DB: Werden wir damit auch mehr über die Wirklichkeit und Wirkung von Recht erfahren?

Glatz/Breidenbach: „Daten eröffnen eine neue Perspektive auf das, was in der Wirklichkeit von und mit Recht geschieht. Wie reagieren meine Kunden auf bestimmte vertragliche Regelungen? Compliance-relevante Vorgänge lassen sich detailliert auswerten. Ein Beispiel aus einer Untersuchung: 4500 Deckungsanfragen an Rechtschutzversicherungen in einem Massenfall enthalten eine bestimmte Ablehnungsquote. Die einzelnen Argumente der Ablehnung wurden gerastert, um mit Gegenargumenten zu antworten. Teilweise lassen die Argumente sich vom System automatisch erkennen. Es ergibt sich ein Bild von ungewöhnlichem Detailreichtum, wieviel Ablehnungen mit welchen Argumenten von welchen Versicherern bei welchen Kunden usw. erfolgen. Das lässt sich dann rechtlich bewerten. Das Ergebnis ist ein Blick auf die Rechtswirklichkeit, hier das Verhalten von Rechtsschutzversicherungen, der bisher nur schwer möglich war.“

DB: Und welche neuen Geschäftsmodelle folgen aus dem Data-driven Law?

Glatz/Breidenbach: „Daten ermöglichen präzisere Auswertungen und Prognosen. Zum Beispiel lässt sich ermitteln, welche Fälle in welchem Kontext mit einem Erfolg abschließen. Prozessfinanzierung erhält so eine bessere Grundlage. Mehr Fälle, gerade auch von Verbrauchern, können so Zugang zum Rechtssystem bekommen. Ein Unternehmen mit flightright hat genug Daten, um die Aussichten, die Rechte von Flugreisenden durchzusetzen, zu beurteilen und unternehmerische Entscheidungen zu treffen.“

DB: Ist das etwa eine positive Zukunftsvision?

Glatz/Breidenbach: „In einer immer komplexeren Gesellschaft wird auch Recht immer komplizierter. Alles was nur Daten und Informationen erfordert, kann nicht nur automatisiert, sondern in unseren Systemen eingebettet werden – Embedded Law. Leistungen der öffentlichen Verwaltung oder Compliance-Prozesse belasten nicht mehr unser Handeln mit überbordenden Bürokratien und zeitraubenden Prozessen. Recht kann sich hier selbst vollziehen. Erforderlich ist nur, dass man jederzeit auf Knopfdruck Transparenz erhalten kann, damit wir nicht einer Black Box ausgeliefert sind.“

DB: Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

 

Mehr erfahren:

Mehr zum Thema erfahren Sie vom 20. bis 22. Februar 2019 auf der Veranstaltung Berlin Legal Tech.


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