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01.07.2021

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Das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit

Für viele Unternehmen ist es ebenso verlockend wie gefährlich: Mitarbeiter als „selbstständige“ Mitarbeiter einzustellen. Verlockend sind insbesondere die geringeren Lohnkosten, weil die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung wegfallen sowie die größere vertragliche Flexibilität, da Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht zur Anwendung kommen. Gefährlich sind aber die Rechtsfolgen, wenn sich der scheinbar selbstständige Mitarbeiter tatsächlich als unselbstständig erweisen sollte. Denn dann droht nicht nur die nachträgliche Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge, sondern auch eine Haftung für die Lohnsteuer, die der Arbeitgeber hätte einbehalten und abführen müssen. Und so schwebt die mögliche Scheinselbstständigkeit wie ein Damoklesschwert über einer Vielzahl von Beschäftigungsverhältnissen.

Das Damoklesschwert der Scheinselbstständigkeit

RA Daniel Hammes
Kanzlei FPS, Frankfurt/M

Deshalb sorgt nun ein Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main (S 18 BA/18) für Aufsehen. Vordergründig ging es war zwar nur um das Beschäftigungsverhältnis eines einzigen „freien“ Vermittlers eines Bankinstituts. Da dieses jedoch insgesamt fast 1.300 solcher Vertriebler beschäftigt, wird deren mobiles Vertriebssystem nun plötzlich insgesamt in Frage gestellt. Außerhalb der Finanzbranche wird spekuliert, ob sich aus der Entscheidung grundsätzliche Erkenntnisse für Statusbeurteilungen gewinnen lassen.

Der Fall…

Der betreffende Vermittler war auf der Grundlage eines „Handelsvertretervertrages“ beschäftigt worden. Hiernach war er berechtigt und verpflichtet, über Produkte der Bank zu beraten und diese auf deren Rechnung zu vermitteln. Die Tätigkeit konnte laut Vertrag selbstständig gestaltet und die Arbeitszeit frei bestimmt werden. Bei der Aufklärung und Beratung von Kunden hatte sich der Vermittler an die ihm erteilten, jeweils gültigen fachlichen Informationen und Richtlinien zu halten. Zudem wurden ihm produktbezogene Werbematerialien zur Verfügung gestellt. Der Vermittler hatte gegenüber Interessenten und Kunden ausschließlich die seitens der Bank überlassenen Briefbögen, Visitenkarten, Begleitzettel, etc. zu verwenden, wobei er ein Namenschild zu tragen hatte, dass ihn als „selbstständig“ auswies. Die Vergütung erfolgte ausschließlich über eine Beteiligung am Vermittlungserfolg.

…die Entscheidung und…

All diese Merkmale, die geradezu typisch für einen (freien) Vertriebsmitarbeiter sind, waren für das Sozialgericht Frankfurt jedoch nicht entscheidend. Dieses stellte vielmehr maßgeblich auf folgende Punkte ab:

  • Der Vermittler war in eine streng hierarchische Struktur eingegliedert. Diese verlief von einem bei der Bank angestellten Regionalleiter, über einen Gebiets- und Agenturleiter bis zu den jeweiligen Vermittlern. Hierdurch sei es möglich gewesen, dass die Bank mittelbar gegenüber den Vermittlern diverse Vorgaben machen konnte, bis hin zu konkreten Anweisungen, den eigenen Umsatz zu steigern oder bestimmte Produkte in den Vordergrund der Vermittlung zu stellen.
  • Zudem war der Vermittler örtlich einer „Agentur“ zugeordnet, die wiederum von einem Agenturleiter geführt wurde. Mangels Gebiets- und Kundenschutz sei es dem Vermittler nicht möglich gewesen, ohne Anwesenheit in der Agentur Provisionen zu erwirtschaften. Daher habe er während der Öffnungszeiten in der Agentur anwesend und dort tätig sein müssen.
  • Schließlich hatte der Vermittler die Möglichkeit, bei Servicewünschen von Kunden, die in keinem Zusammenhang mit der Vermittlungstätigkeit standen, mit dem Back-Office der Bank Rücksprache zu halten. Hierdurch habe die Bank ein Umfeld geschaffen, in welchem der Vermittler – aus Kundensicht – wie ein Mitarbeiter der Bank „am Schalter“ auftrat.

…deren Konsequenzen

Die Entscheidungsgründe zeigen, dass sich aus dem Urteil nur schwer Rückschlüsse auf die statusrechtliche Bewertung anderer Vertriebssysteme, insbesondere außerhalb der Finanzbranche, ziehen lassen. Vielmehr wird wieder einmal deutlich: Ob jemand selbstständig oder unselbstständig tätig ist, kann nicht schematisch beurteilt werden, sondern ist eine Wertungsfrage. Dabei kommt es auf die konkreten Umstände des jeweiligen Falles und das sich hieraus ergebende Gesamtbild der Arbeitsleistung an. So führte vorliegend die von der Bank konkret eingerichtete Vertriebsstruktur dazu, dass der betreffende Vermittler wie deren Angestellter erschien. Für andere Unternehmen kann das Urteil daher nur Anlass sein, ihre Vertriebsstrukturen nochmals kritisch zu würdigen und einer solchen einzelfallbezogenen Betrachtung zu unterziehen.


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