Leitfaden zu Fragen zur Betriebsstättenbegründung
Auf Bitten betroffener Länder hat das OECD-Sekretariat am 03.04.2020 mit Blick auf einschlägige Regeln der internationalen Doppelbesteuerungsabkommen einen Leitfaden zu diesen Fragen veröffentlicht. Angesprochen werden Fragen zur Betriebsstättenbegründung (OECD-Leitfaden Rn. 4 bis 13), zum Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung (Rn. 14 bis 20) sowie zu grenzüberschreitenden Arbeitnehmertätigkeiten (Rn. 21 bis 27) und zum Wechsel der Steueransässigkeit natürlicher Personen (Rn. 28 bis 36).
Betriebsstätten
Unterhält ein Unternehmen in einem anderen Staat als seinem Ansässigkeitsstaat eine Betriebsstätte, kann es dort mit dem der Betriebsstätte zuzurechnenden Einkommen der Besteuerung unterliegen. Fraglich ist, ob die aktuellen Reisebeschränkungen und/oder die Tätigkeit von Arbeitnehmern aus dem Homeoffice zur Begründung neuer Betriebsstätten ihres Arbeitgebers und damit einhergehenden steuerlichen Verpflichtungen in anderen Staaten führen kann.
Die OECD ist der Auffassung, dass die zeitlich begrenzte, Covid-19 bedingte Arbeit in einem anderen Staat z.B. durch Homeoffice keine (neue) Betriebsstätte eines Unternehmens auslösen sollte. Dies soll auch dann gelten, wenn in dieser Zeit aus dem Homeoffice heraus Verträge mit Wirkung für den Arbeitgeber abgeschlossen werden. Die aktuelle Situation sei nicht dauerhaft, sondern zeitlich begrenzt. Es fehle auch an einer Verfügungsmacht des Unternehmens über das Homeoffice. Weiterhin sei die Covid-19 bedingte Tätigkeit außerhalb der üblichen Arbeitsstätte in der Regel keine freiwillige Entscheidung des Arbeitgebers, sondern basiere auf Vorschriften und Empfehlungen der jeweiligen Regierungen.
Die Frage nach der Qualifikation eines Homeoffice als Betriebsstätte hängt letztlich aber auch von den innerstaatlichen Regelungen des jeweiligen Staates ab, sodass ggf. Registrierungs- und Erklärungspflichten im Betriebsstättenstaat entstehen können. Zudem ist die Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Auslegungssache der Anwenderstaaten, die geringere Anforderungen – z.B. im Hinblick auf die Frage der Verfügungsmacht bei einem Homeoffice – als die Interpretation der OECD haben können. Die OECD regt an, dass die Staaten entsprechende Hinweise geben sollten, wie mit der aktuellen Situation umzugehen ist.
Ort der Geschäftsleitung
Der Ort der Geschäftsleitung eines Unternehmens befindet sich regelmäßig dort, wo die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden. Er dient als Anknüpfungspunkt für die Qualifikation als Ansässigkeitsstaat für DBA-Zwecke und – abhängig vom jeweils nationalen Recht – für eine Besteuerung des Einkommens.
Fraglich ist, inwieweit sich der Ort der Geschäftsleitung eines Unternehmens ins Ausland verlagern kann, wenn für die Geschäftsführer oder andere leitende Angestellte aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht mehr die Möglichkeit besteht, den eigentlichen Ort der Geschäftsleitung aufzusuchen und wichtige unternehmerische Entscheidungen daher aus dem Homeoffice getroffen werden.
Die OECD hält es für unwahrscheinlich, dass aus der zeitlich begrenzten und durch außergewöhnliche Umstände bedingten Ausübung der Geschäftsleitungstätigkeit in einem anderen Staat eine Verlagerung des Ortes der Geschäftsleitung resultiert. Ferner werde eine eventuelle Doppelansässigkeit in der Regel bereits durch die sog. „Tie-Breaker-Rule“ vermieden, welche in den meisten DBA enthalten ist.
Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen und Steueransässigkeit
Das vermehrte Arbeiten aus dem Homeoffice wirft auch Fragen auf Ebene der Arbeitnehmer auf. So werden z.B. viele Grenzpendler aktuell – wenn überhaupt – nur noch per Telearbeit von ihrem Wohnsitzstaat aus tätig. Das normalerweise im Ansässigkeitsstaat des Arbeitgebers liegende Besteuerungsrecht für Löhne und Gehälter sowie eventuelle Unterstützungszahlungen der Regierung könnte sich daher in den Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers verschieben bzw. es könnte diesbezüglich zu einer Doppelbesteuerung kommen.
Nach Auffassung der OECD ist dieses Thema nicht ausschließlich auf Basis der geltenden Grundsätze zu lösen. Die OECD sieht vielmehr die Notwendigkeit, eine geeignete Koordination zwischen den Ländern zu finden, um finanzielle Nachteile bzw. den Verwaltungsaufwand für die Betroffenen gering zu halten. Man arbeite bereits mit den einzelnen Ländern an einer angemessenen Lösung. Das BMF hat hierzu ebenfalls am 03.04.2020 eine kurze Stellungnahme veröffentlicht, wonach bereits daran gearbeitet wird, mit den Nachbarstaaten bilaterale Sonderregelungen zu treffen, um nachteilige Effekte zu vermeiden. Es wird angestrebt, zeitlich befristete Vereinbarungen zu treffen, nach denen die Arbeitstage im Homeoffice so behandelt werden, als seien sie im anderen Staat (Ansässigkeitsstaat des Arbeitgebers) getätigt worden. Im Hinblick auf Luxemburg und die Niederlande hat das BMF solche Vereinbarungen am 06.04.2020 abgeschlossen: Für den Zeitraum ab dem 11.03. bis mindestens 30.04.2020 gelten Arbeitstage im Homeoffice als in dem Land erbracht, in dem sie ohne die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19- Pandemie erbracht worden wären. Die Vereinbarung verlängert sich automatisch um jeweils einen Monat, sofern sie nicht von einem der Vertragsstaaten gekündigt wurde.
Die OECD sieht auch keinen Anknüpfungspunkt für die Annahme einer Verschiebung der Steueransässigkeit natürlicher Personen für DBA-Zwecke, da es sich um einen zeitlich begrenzten und durch außergewöhnliche Umstände bedingten Aufenthalt in einem anderen Staat handele. Auch hier solle die „Tie-Breaker-Rule“ der DBA letztlich dazu führen, dass nachteilige Konsequenzen vermieden werden können.
Begrüßenswerter Denkanstoß des OECD Sekretariats
Die frühzeitige Befassung der OECD mit den Covid-19-bedingten Auswirkungen auf Fragen des internationalen Steuerrechts ist zu begrüßen. Die präsentierten Lösungsansätze liefern eine erste Orientierung für Unternehmen, beschränken sich allerdings auf die abkommensrechtliche Ebene. Gleichwohl ist stets eine einzelfallabhängige Prüfung der jeweiligen Situation unter Berücksichtigung der Regelungen des jeweiligen innerstaatlichen Rechts notwendig. Die Analyse der OECD kann solche unterschiedlichen Auffassungen nicht überlagern. Sie soll und wird insoweit aber als Denkanstoß für die einzelnen Regierungen dienen und diese dazu ermutigen, auch auf nationaler Ebene klarstellende und vereinfachende Hinweise und Richtlinien für die Steuerverwaltungen und die betroffenen Bürger zu formulieren. Weiterhin sollte die Behandlung im Hinblick auf Sozialversicherungsbeiträge im Blick behalten werden. Hierzu äußert sich die OECD bisher nicht.