Am 25.04.2018 hat die EU-Kommission einen lang erwarteten Entwurf zur Weiterentwicklung des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Union (Company Law Package) vorgelegt. Er umfasst Richtlinienentwürfe zur grenzüberschreitenden Mobilität von Unternehmen sowie zur Digitalisierung des europäischen Gesellschaftsrechts. Welche Maßnahmen vorgesehen sind und welche Auswirkungen sich daraus für die Unternehmenspraxis ergeben, erläutert Prof. Dr. Roger Kiem, Partner der Sozietät White & Case LLP, im Interview.
DB: Die Praxis verlangt seit Langem eine EU-weite Regelung der grenzüberschreitenden Unternehmensmobilität. Was sind die wesentlichen Kernpunkte des Richtlinienvorschlags?
Kiem: „Mit dem Richtlinienvorschlag strebt die europäische Kommission die Vereinfachung und Vereinheitlichung grenzüberschreitender Formwechsel, Verschmelzungen und Spaltungen an. Bislang sind grenzüberschreitende Formwechsel nur mit erheblichen Rechtsunsicherheiten und grenzüberschreitende Spaltungen gar nicht durchführbar. In Bezug auf den Formwechsel sieht der Entwurf die Notwendigkeit eines Planes vor, der die grundlegenden Informationen über den Formwechsel beinhaltet und den Schutz zugunsten der Arbeitnehmer, Gläubiger und Anteilseigner erläutert. Insbesondere soll dieser einen Hinweis auf eine mögliche Barabfindung von Anteilseignern enthalten. Der Plan wird durch Berichte an Anteilseigner und Arbeitnehmer ergänzt. Damit wird es künftig zwei Berichte geben: einen für die Anteilseigner und einen zur Unterrichtung der Arbeitnehmer. Stimmen alle Anteilseigner zu, kann auf den an sie adressierten Bericht verzichtet werden. Sowohl der Plan als auch die Berichte sollen einer externen unabhängigen Prüfung unterliegen. Schließlich sieht der Entwurf eine zweistufige Prüfung der Rechtmäßigkeit des Formwechsels durch die zuständige Behörde des Wegzugstaates sowie die zuständige Behörde des Aufnahmestaates vor. Die Richtlinienentwürfe zur grenzüberschreitenden Verschmelzung und Spaltung orientieren sich im Wesentlichen an den Regelungen zum grenzüberschreitenden Formwechsel, wobei es bei der Verschmelzung aufgrund der bereits bestehenden Regulierung lediglich geringfügiger Ergänzungen bedurfte.“
Welche Auswirkungen werden diese Maßnahmen in der Unternehmenspraxis haben? Adressieren die Neuregelungen alle relevanten Punkte? Wird die grenzüberschreitende Mobilität erleichtert?
Kiem: „ Mit der Beseitigung der bestehenden Rechtsunsicherheit in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge ist damit zu rechnen, dass solche in Zukunft einfacher und effektiver vollzogen werden und im Ergebnis die grenzüberschreitende Mobilität erleichtert wird. Insbesondere durch die weitreichenden Vorschriften zur Stärkung des Schutzes der Arbeitnehmer, Gläubiger und Gesellschafter sind mit der Neuregelung die wesentlichen Risiken grenzüberschreitender Strukturmaßnahmen adressiert. Eine Vielzahl der Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland – sind angehalten, erstmalig einen Rechtsrahmen für grenzüberschreitende Formwechsel und Spaltungen zu schaffen.“
DB: Sind die Safeguards für Beteiligte wie Arbeitnehmer und Gläubiger oder zur Prävention von Missbrauch zielführend und angemessen?
Kiem: „Die Safeguards sind durchaus zielführend und angemessen. Die Regelungen zum Schutz der Mitbestimmung lehnen sich an die bestehenden Regelungen zur Mitbestimmung in der SE an. Diese haben sich in der Praxis bewährt. So verpflichtet der Richtlinienentwurf das Unternehmen, mit den Arbeitnehmern in Verhandlung zu treten, sofern die nationalen Regelungen des Aufnahmestaates zur Arbeitnehmermitbestimmung das Schutzniveau des Wegzugstaates unterschreiten. Verhandlungen müssen auch dann aufgenommen werden, wenn die Gesellschaft in dem Zeitraum von sechs Monaten vor dem Formwechsel eine Arbeitnehmerzahl erreicht, die 80 % der einschlägigen Grenze für die Mitbestimmung im Herkunftsstaat entspricht. Hiermit geht der Entwurf sogar über den in der SE gewährleisteten Arbeitnehmerschutz hinaus. Zum Schutz der Gläubiger kann die Gesellschaft verpflichtet werden, eine Erklärung darüber abzugeben, ob die Strukturmaßnahme die Forderungen der Gläubiger beeinträchtigen wird. Zugleich sollen sich die Gläubiger an die zuständigen Behörden und Gerichte wenden können, um Schutzmaßnahmen zu beantragen.“
DB: Der zweite wichtige Punkt des Reformpakets ist die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts. Was schlägt die Kommission hier vor?
Kiem: „Die EU-Kommission strebt mit dieser Neuregelung die europaweite Vernetzung und Digitalisierung der Handels- bzw. Unternehmensregister an. Vorgesehen ist zum einen die flächendeckende Möglichkeit der Online-Einreichung für jedermann zum Handels- bzw. Unternehmensregister in allen Mitgliedstaaten. Dies umfasst insbesondere die Einreichung und Eintragung von Gesellschaftsgründungen, zum Register anzumeldende Änderungen und Gründungen von Zweigniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten. Zum anderen soll über ein innereuropäisches System der Registervernetzung bestimmte Informationen zwischen den Registern ausgetauscht werden, unter anderem Anmeldungen, bestimmte Änderungen und Löschungen mit grenzüberschreitendem Bezug sowie Informationen über für die Geschäftsführertätigkeit als ungeeignet erklärte Personen. Daneben sollen Handelsregistereintragungen binnen fünf Tagen nach Eingang der vollständigen Unterlagen und der zu zahlenden Gebühren erfolgen. Relevante Informationen sind in einer Amtssprache der Union zu veröffentlichen, die von einer möglichst großen Zahl grenzüberschreitender Nutzer verstanden wird. Zudem enthält der Richtlinienentwurf mögliche Ausnahmen in Bezug auf die Einbindung von Notaren in den Prozess. Im Gegensatz zur GmbH, für die die Online-Gründung zwingend vorgesehen sein soll, ist für die Aktiengesellschaften die Umsetzung eines vollständigen Online-Eintragungsverfahrens optional. “
DB: Wie sind diese Vorschläge zu bewerten?
Kiem: „Die Digitalisierung und Vereinheitlichung des Registerrechts steht im Einklang mit dem langfristigen Ziel des Digitalen Binnenmarkts und der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit. Durch die Neuregelung wird der Prozess einfacher, effektiver und kostensparender gestaltet und der innereuropäische Informationsaustausch in Registersachen erheblich verbessert. Gleichzeitig wird hierdurch eine höhere Effizienz und Rechtssicherheit bei grenzüberschreitenden Vorgängen gewährleistet. Hinsichtlich der in dem Richtlinienentwurf enthaltenen Öffnungsklauseln ist mit Blick auf die bisherige Haltung des deutschen Gesetzgebers zu erwarten, dass diese nicht vollständig in deutsches Recht umgesetzt werden. Insbesondere darf vermutet werden, dass bei Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht weiterhin die Beteiligung von Notaren insbesondere bei Gesellschaftsgründungen notwendig bleiben wird. Mit Blick auf die derzeitige Dauer und Komplexität des Verfahrens ist die nunmehr zwingend vorgesehene Online-Gründung von der GmbH von erheblichem Vorteil. Abzuwarten bleibt jedoch, ob eine reine Online-Gründung auch für die Aktiengesellschaft eingeführt wird.“
DB: Vielen Dank für das Interview, Herr Professor Kiem!