Aus dem Grundgesetz ergibt sich grundsätzlich kein Anspruch darauf, dass Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt und die Verfassungsbeschwerde einer Gewerkschaft und einer durch Tarifvertrag eingerichteten Sozialkasse nicht zur Entscheidung angenommen.
Nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG) können Tarifverträge durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) für allgemeinverbindlich erklärt werden. Sie gelten dann nicht nur für die Tarifvertragsparteien und ihre Mitglieder, sondern auch darüber hinaus. Jedoch ergibt sich aus der in Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie kein Recht darauf, dass ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wird. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 10.01.2020 (1 BvR 4/17) entschieden.
Weitere BAG-Entscheidungen nicht angenommen
Aus demselben Grund hat die Kammer auch die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführenden gegen weitere Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen, mit denen die Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV der Jahre 2012, 2013 und 2014 für unwirksam erklärt worden waren (1 BvR 593/17, 1 BvR 1104/17 und 1 BvR 1459/17).
Zum Sachverhalt
Im Baugewerbe sind Tarifverträge über Sozialkassen des Baugewerbes geschlossen worden. Diese Kassen sind gemeinsame Einrichtungen der Tarifparteien. Sie sollen im Bereich des Urlaubs, der Altersversorgung und der Berufsbildung Leistungen erbringen, die wegen Besonderheiten der Baubranche sonst nicht oder nur eingeschränkt zu bekommen wären. Finanziert wird dies über Beiträge der Arbeitgeber, die im Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) festgelegt sind. Grundsätzlich ist die Beitragspflicht im Grundsatz auf solche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber beschränkt, die wegen ihrer Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Verband an den VTV gebunden sind. Allerdings wurde der VTV in der Vergangenheit regelmäßig nach § 5 TVG vom BMAS im Einvernehmen mit dem zuständigen Ausschuss für allgemeinverbindlich erklärt. Daher wurden auch nicht tarifgebundene Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu Beiträgen herangezogen.
BAG erklärte Allgemeinverbindlicherklärungen für unwirksam
Mit Beschluss vom 21.09.2016 entschied das Bundesarbeitsgericht, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen der Jahre 2008 und 2010 unwirksam sind. Sie entsprachen nicht den Voraussetzungen im damals geltenden TVG. So hat sich der zuständige Minister oder der jeweilige Staatssekretär nicht mit der Allgemeinverbindlicherklärung befasst. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt hatten. Gegen den BAG-Beschluss richteten sich die Verfassungsbeschwerden einer Gewerkschaft, die einen solchen Tarifvertrag über die Sozialkassen geschlossen hat, und einer Sozialkasse.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun bestätigt, dass die Koalitionsfreiheit der Beschwerdeführenden nicht dadurch verletzt wird, dass das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifverträge über die Sozialkassen der Jahre 2008 und 2010 für unwirksam erklärt hat.
(BVerfG, PM vom 05.02.2020 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)