Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat sich erneut im Kapitalanleger-Musterverfahren anlässlich des dritten Börsengangs der Deutschen Telekom AG in einem Musterentscheid mit noch offenen Fragen befasst.
Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ermöglicht es, aus einer Vielzahl gleich gelagerter Schadensersatzprozesse wegen falscher Börsenprospekte oder fehlerhafter Kapitalmarktinformationen auf Antrag ein Musterverfahren zu bestimmen, in dem durch die nächste Instanz – das Oberlandesgericht – die für alle Verfahren notwendigen Beweis- und Rechtsfragen einmal und für alle anderen Verfahren bindend beantwortet werden können. Im Musterverfahren stehen sich unmittelbar nur ein Musterkläger und der Musterbeklagte gegenüber. Alle anderen Kläger können grundsätzlich Beigeladene des Musterverfahrens werden und auf diese Weise auf den Musterprozess Einfluss nehmen. Wesentlich für das Musterverfahren ist der Vorlagebeschluss, den das Landgericht auf der Grundlage des Tatsachenvortrags aller Klageverfahren formuliert und an den das Oberlandesgericht gebunden ist. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ergeht durch Beschluss, den Musterentscheid.
Zum aktuellen Musterentscheid
Der dritte Börsengang der Telekom erfolgte im Juni 2000, nachdem im Mai ein entsprechender Prospekt veröffentlicht worden war. Der Ausgabepreis der sog. „T-Aktie“ lag für Privatanleger bei 63,50 €, der Börsenkurs am 19.6.2000 bei 65,79 €. Er fiel bis Ende 2000 deutlich ab und notierte im September 2002 auf einem Tiefststand von 8,42 €. Über 16.000 Anleger machten daraufhin geltend, der Prospekt sei unrichtig gewesen und klagten auf Schadenersatz vor dem Landgericht Frankfurt am Main. Das Landgericht erließ im Juli 2006 einen Vorlagebeschluss nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) an das OLG über bestimmte Tatsachen- und Rechtsfragen, die für alle Schadenersatzklagen relevant sind.
Der Musterentscheid des OLG vom 16.05.2012
In seiner ersten Entscheidung – dem Musterentscheid vom 16.5.2012 – konnte das OLG nach umfangreicher Verhandlung und Beweisaufnahme keine Prospektfehler feststellen. Insbesondere der Erwerb des US-amerikanischen Mobilfunkunternehmens Voicestream habe nicht schon zu einem Zeitpunkt festgestanden, als er in dem Prospekt noch hätte kommuniziert werden müssen. Auch die Bewertung der Immobilien der Telekom nach dem sog. Cluster-Verfahren habe der damaligen Gesetzeslage entsprochen. Die konzerninterne Übertragung der Anteile an der US-amerikanischen Sprint Inc. sei in dem Prospekt in hinreichender Deutlichkeit erläutert.
Die Entscheidung des BGH vom 21.10.2014
Mit Beschluss vom 21.10.2014 hat der BGH den Musterentscheid des OLG vom 16.5.2012 teilweise aufgehoben. Der BGH sah in der Darstellung der Übertragung der Aktien der Sprint Inc., die im Eigentum der Telekom standen, auf ein Tochterunternehmen der Telekom einen Prospektfehler, da hier – unzutreffend – von einem „Verkauf“ die Rede war. Die übrigen Feststellungen des OLG im Musterentscheid vom 16.05.2012 beanstandete der BGH nicht. Entsprechend den gesetzlichen Vorgaben verwies der BGH das Verfahren an das OLG zurück.
Der aktuelle Musterentscheid des OLG
In Musterentscheid 23 Kap 1/06 vom 30.11.2016 hat das OLG ein Verschulden der Telekom bejaht, da diese nicht den ihr nach der gesetzlichen Regelung obliegenden Gegenbeweis geführt hatte. Hauptargument ist für das OLG insofern der Umstand, dass der Vortrag der Telekom dazu, wie es zur Verwendung des – fehlerhaften – Begriffs „Verkauf“ gekommen war, nicht widerspruchsfrei und nachvollziehbar war und ist. Hinsichtlich der Kausalität des Prospektfehlers für die Anlageentscheidung der einzelnen Kläger hat des OLG entschieden, dass diese jeweils in den Ausgangsverfahren vom Landgericht im Einzelfall zu prüfen sein wird, da es um individuelle Fragen geht. Aus diesem Grund verbieten sich generelle Festlegungen, wie sie beide Musterparteien begehrt hatten.
(OLG Frankfurt am Main, PM vom 30.11.2016/ Viola C. Didier)