DB: Frau Kuhlmann, welche Neuerungen ergeben sich aus dem neuen Betriebsrätemodernisierungsgesetz?
Kuhlmann: Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz fördert die erstmalige Wahl eines Betriebsrats vor allem in kleinen und mittleren Betrieben, indem die Schwellenwerte für die Unterstützung eines Wahlvorschlags durch wahlberechtigte Arbeitnehmer herabgesetzt und der Schwellenwert der wahlberechtigten Arbeitnehmer für die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens heraufgesetzt worden sind. In Betrieben mit bis zu 20 wahlberechtigen Arbeitnehmern sind künftig keine Stützunterschriften für einen Wahlvorschlag notwendig [§ 14 Abs. 4 Satz 1 BetrVG] und das vereinfachte Wahlverfahrens ist in Betrieben mit bis zu 100 wahlberechtigten Arbeitnehmern möglich [§ 14a Abs. 1 Satz 1 BetrVG]. Zugleich schränkt das Betriebsrätemodernisierungsgesetz die Anfechtungsmöglichkeit wegen einer unrichtigen Wählerliste ein, wodurch die Rechtssicherheit bei der Betriebsratswahl gestärkt wird. Ferner ist u.a. das Wahlalter von 18 auf 16 Lebensjahre abgesenkt worden [§ 7 Satz 1 BetrVG] und Betriebsratssitzungen können unter bestimmten Voraussetzungen als reine Video- und Telefonkonferenzen stattfinden [§ 30 Abs. 2 BetrVG].
DB: Und welche Neuerungen ergeben sich aus der Wahlordnung?
Kuhlmann: Wichtige Änderungen durch die neue Wahlordnung betreffen die digitale Arbeit des Wahlvorstandes und die Briefwahl. Der Wahlvorstand kann neben Präsenzsitzungen grundsätzlich auch Video- und Telefonkonferenzen abhalten, soweit in der Sitzung insbesondere nicht Vorschlagslisten geprüft und bekannt gemacht werden oder die Wahlversammlung durchgeführt wird [§ 1 Abs. 4 Satz 1 WO n.F.]. Technisch muss dabei sichergestellt sein, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können [§ 1 Abs. 4 Satz 3 WO n.F.] und die Video- oder Telefonkonferenz des Wahlvorstands nicht aufgezeichnet wird [§ 1 Abs. 4 Satz 4 WO n.F.]. Der Arbeitgeber kann allerdings nicht aus Kostengründen verlangen, dass die Mitglieder des Wahlvorstands ihre Sitzung digital abhalten. Eine Teilnahme an Präsenzsitzungen bleibt im Sinne der Kostentragung durch den Arbeitgeber erforderlich [§ 1 Abs. 5 WO n.F.].
Briefwahlen sind in mehr Fällen zulässig. Wenn dem Wahlvorstand bekannt ist, dass Wahlberechtigte im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses – beispielsweise eine Tätigkeit im Außendienst, Tele- oder Heimarbeit – oder vom Erlass des Wahlausschreibens bis zum Zeitpunkt der Wahl aus anderen Gründen wie zum Beispiel das Ruhen des Arbeitsverhältnisses oder Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, muss der Wahlvorstand ohne ein gesondertes Verlangen die Briefwahlunterlagen an diese Arbeitnehmer versenden [§ 24 Abs. 2 Satz 1 WO n.F.]. Die erforderlichen Informationen hierzu muss der Arbeitgeber zur Verfügung stellen.
DB: Wie können die Wahlen durchgeführt werden, wenn die Arbeitnehmer im Homeoffice sitzen?
Kuhlmann: Eine reine Online-Abstimmung bleibt nach der neuen Wahlordnung weiterhin unzulässig. Die Wahlberechtigten dürfen ihre Stimme nicht digital oder durch einen Wahlcomputer abgeben, vielmehr müssen die Arbeitnehmer grundsätzlich in einem Wahlraum im Betrieb ihre Stimme abgeben. Arbeitnehmer, die nach ihrem Arbeitsvertrag im Home Office tätig werden, können ihre Stimme per Briefwahl abgeben. Der Wahlvorstand muss diesen Arbeitnehmer die Wahlunterlagen ohne gesondertes Verlangen zusenden. Der Wahlvorstand kann allerdings nicht pauschal beschließen, dass alle Arbeitnehmer ihre Stimme schriftlich abgeben können. Das ist mit dem Regel-Ausnahme-Verhältnis der Briefwahl unvereinbar. Die Briefwahl ist weiterhin nur ausnahmsweise zuzulassen. Im Licht der pandemischen Lage erscheint es aber vertretbar, dass der Wahlvorstand exzessiv von der Möglichkeit Gebrauch macht, für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, die schriftliche Stimmabgabe zu beschließen. Insoweit ist entscheidend, ob den Arbeitnehmern außerhalb des Hauptbetriebs zumutbar ist, im Hauptbetrieb persönlich ihre Stimme abzugeben. Mit Blick auf das jeweilige, örtliche Infektionsgeschehen könnte sich die Unzumutbarkeit einer persönlichen Stimmabgabe begründen lassen. Gerichte haben während der Pandemie teilweise einen großzügigeren Maßstab angelegt. Gelangt ein Gericht dennoch zu der Einschätzung, der Wahlvorstand habe die Verfahrensvorschriften zur Briefwahl verletzt, ist die Betriebsratswahl regelmäßig nur anfechtbar, aber nicht nichtig.
DB: Was sind die wichtigsten Verfahrensvorschriften, die zu beachten sind?
Kuhlmann: Zu beachten sind vor allem die Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Wahlverfahren. Verstöße gegen diese Vorschriften können einen Grund für eine Wahlanfechtung darstellen. Deshalb muss der Wahlvorstand beachten, dass Arbeitnehmer künftig ab Vollendung des 16. Lebensjahres wahlberechtigt sind. Ebenso sind Leiharbeitnehmer, die länger als drei Monate im Betrieb eingesetzt werden, wahlberechtigt und können auch wählbar sein. Besonders häufig unterlaufen Fehler bei der Zuordnung von (vermeintlich) leitenden Angestellten, weswegen die Anfechtbarkeit in diesem Fall grundsätzlich nur besteht, wenn die Zuordnung offensichtlich fehlerhaft gewesen ist. Gleichwohl sollten sich der Wahlvorstand und der Arbeitgeber bei der Feststellung, wie die Wahlordnung es vorsieht, gegenseitig unterstützen. Zu beachtende Vorgaben zum Wahlverfahren enthalten neben den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes insbesondere die Regelungen der Wahlordnung.
DB: Was kann der Arbeitgeber tun, um die Betriebsratswahl zu unterstützen?
Kuhlmann: Zunächst trägt der Arbeitgeber die Kosten der Betriebsratswahl. Daneben treffen den Arbeitgeber Unterstützungspflichten. Er muss dem Wahlvorstand für die Wählerliste die erforderlichen Auskünfte erteilen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen, u.a. für die Zuordnung der leitenden Angestellten oder die Durchführung von Briefwahlen. Außerdem muss der Arbeitgeber über die Freistellung von Wahlvorständen personelle und über Unterlagen, Räumlichkeiten oder technische Einrichtungen sachliche Betriebsmittel zur Verfügung stellen. Je nach Situation kann das Unterlassen dieser Mitwirkung durch den Arbeitgeber eine unzulässige Wahlbeeinflussung darstellen und grundsätzlich auch strafbar sein. Allerdings trifft den Arbeitgeber kein striktes Neutralitätsgebot, er kann sich in den Grenzen der Meinungsfreiheit kritisch äußern.
DB: Was passiert, wenn nicht gewählt wird?
Kuhlmann: In Betrieben, in denen grundsätzlich ein Betriebsrat bestand, die Amtszeit aber abgelaufen ist und kein neuer Betriebsrat gewählt wurde, besteht mit dem Ende der Amtszeit kraft Gesetzes kein Betriebsrat mehr. Der ursprüngliche Betriebsrat kann die betriebsverfassungsrechtlichen Rechte, Pflichten und sonstigen Befugnisse nach dem Ende der Amtszeit nicht mehr ausüben. Es gibt keine Art Übergangsmandat zur Fortführung der Geschäfte durch den bisherigen Betriebsrat bis zur Wahl eines neuen Betriebsrats. Nach dem Ablauf der Amtszeit mit dem Arbeitgeber abgeschlossene Vereinbarungen sind unwirksam. Die Betriebsverfassung zieht insoweit einen „harten“ zeitlichen Schlussstrich. Gerade in Zeiten einer Pandemie kann das auch den Arbeitgeber hart treffen, der nicht mehr mit einem Ansprechpartner Regelungen zügig verhandeln und für den ganzen Betrieb einheitlich umsetzen kann.