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14.09.2018

Interview

Betriebsprüfung: Wie die Finanzverwaltung den Unternehmenswert ermittelt

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Der Betrieb

Die Digitalisierung verändert die Welt und auch Prüfungen durch die Finanzverwaltung haben sich dadurch im Laufe der Zeit gewandelt. Prüfer setzen mittlerweile andere Schwerpunkte und nutzen neue Prüfungsmethoden. Wie steuerliche Unternehmensbewertung 2018 funktioniert und worauf Unternehmen gefasst sein sollten, erklärt Dipl.-Kfm. Martin Vosen, Hauptsachgebietsleiter für Unternehmensbewertung, Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung, Köln.

DB: Früher haben Prüfer Einzelbelege unter die Lupe genommen und Aktenordner gewälzt. Wie laufen heute Betriebsprüfungen im Allgemeinen und im Speziellen im Hinblick auf die Unternehmensbewertung ab, Herr Vosen?

Vosen: „Ganz allgemein kann man sagen, dass heute viel unmittelbarer auf die Buchführung der Unternehmen zugegriffen werden kann. Im Idealfall können die Prüfer dadurch ohne großen eigenen Zeitaufwand z.B. gezielt Positionen im Zeitablauf oder mit Richtsätzen vergleichen und Gründe für Veränderungen abklopfen. Allerdings ist in ganz vielen Fällen dennoch eine Sichtung des Einzelbelegs erforderlich. Für meinen Fachbereich, die Unternehmensbewertung, hat sich jedoch insoweit wenig geändert, als dass weiterhin eine Prüfung der vorgelegten Gutachten und damit der Plan- und Bewertungsparameter erfolgt. Und dies funktioniert nicht maschinell.“

DB: Wird heute ganz profan zuerst einmal im Internet recherchiert?

Vosen: „Das Internet ist nach wie vor ein gutes Mittel, um schnell Informationen zu bestimmten Branchen oder Unternehmen zu beschaffen. Daher steht dies als Informationsquelle für mich ganz oben. Erst kürzlich habe ich eine Markteinschätzung zu Wachstumschancen für eine bestimmte Branche auf einen mehrere Jahre zurückliegenden Bewertungsstichtag gesucht. Ohne Internet wäre es in angemessener Zeit wohl fast unmöglich, aussagekräftige Informationen zu beschaffen und so die Annahmen des Gutachtens zu verifizieren. Schließlich habe ich keinen Experten der jeweiligen Branche an meiner Seite, sondern erhalte häufig nur ‚gefilterte‘ Informationen, deren Plausibilität ich selbst überprüfen muss.“

DB: Benutzen Sie eigene Software-Lösungen zur Unternehmensbewertung?

Vosen: „Für den Bereich der Unternehmensbewertung gibt es sicherlich zahlreiche Softwarelösungen. Allerdings steht bei uns ja nicht das Erstellen einer Unternehmensbewertung im Vordergrund, sondern die Prüfung der vorgelegten Planungsrechnungen und der Annahmen an die verwendeten Kapitalkosten. Rechentechnisch lässt sich dies ganz problemlos mit Excel lösen. Für die Kapitalmarktdaten gibt es Softwarelösungen, die in der Finanzverwaltung nur vereinzelt vorliegen. Hierzu gehört z.B. der Zugriff auf Bloomberg oder Daten anderer Finanzdienstleistungsunternehmen.“

DB: Bedeutet das im Klartext, dass das Finanzamt ein vom Unternehmen selbst erstelltes, schlüssiges Wertgutachten nach dem Ertragswertverfahren akzeptiert?

Vosen: „Das Ertragswertverfahren ist sicherlich ein Verfahren, das auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr angewendet wird und damit nach § 11 Abs. 2 BewG grundsätzlich geeignet ist, den gemeinen Wert von Unternehmen zu belegen. Nach meiner Erfahrung liegen die Gründe für Beanstandungen seltener in den angewendeten Verfahren, sondern in den der Bewertung zugrunde gelegten Parameter. Auch jedes fremdübliche Verfahren kann mit inhaltlich völlig unpassenden Annahmen hinterlegt werden. Letztlich ist ein auf diese Weise ermittelter Unternehmenswert natürlich zurückzuweisen, auch wenn die Methode der Wertermittlung grundsätzlich fremdüblich wäre.“

DB: Zur Bewertung von Unternehmen im Rahmen der Berechnung von Erbschaft- beziehungsweise Schenkungsteuern oder ertragsteuerliche Fragestellungen ziehen die Finanzämter gerne das vereinfachte Ertragswertverfahren heran. Wie funktioniert das?

Vosen: „Das vereinfachte Ertragswertverfahren ist ein standardisiertes Verfahren, bei dem angenommen wird, dass sich die zukünftigen Erträge aus dem Durchschnitt der letzten drei Jahre ablesen lassen. Daher entfällt die oft schwierige Problematik der sachgerechten Planung, zumal diese bei kleineren Unternehmen in dem für Gutachten geforderten Maße regelmäßig nicht vorliegen. Dieser Zukunftsertrag wird mit einem typisierten Vervielfältiger von 13,75 hinterlegt. Bei einem durchschnittlichen Jahresertrag von 100 GE ergibt sich somit ein Unternehmenswert von 1.375 GE. In vielen größeren Fällen werden allerdings Gutachten erstellt, die den Unternehmenswert sehr viel detaillierter darstellen.“

DB: Das aktuell sehr niedrige Zinsniveau und das unternehmensindividuelle Risiko, der sogenannte Beta-Faktor, werden aber völlig außer Acht gelassen. Kommt es damit nicht zwangsläufig zu Überbewertungen?

Vosen: „Für mich ist es wichtig zu betonen, dass es nicht zwangsläufig zu Überbewertungen kommt. Erstens kann das unternehmensindividuelle Risiko ja auch deutlich unter 1,0 liegen und außerdem wird durch den Rückgriff auf die vergangenen drei Jahre eine in Gutachten oftmals beobachtbare Ergebnissteigerung in der Detailplanungsphase regelmäßig nicht angesetzt. Aus diesen beiden Gründen können Gutachtenwerte auch deutlich höher sein als der Wert nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren, so dass das vereinfachte Verfahren auch zu einer Unterbewertung führen kann. Es handelt sich eben um ein typisiertes Verfahren, das kostengünstig und schnell ist. Und weil Unternehmen und auch Unternehmenswerte nicht immer nur mit einer Formel zu greifen sind, kann es bei diesem typisierten Verfahren auch Unter- oder Überbewertungen geben. Dann besteht aber die Möglichkeit, durch ein Gutachten einen anderen Wert darzustellen.“

DB: Neben den Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, ist sicher auch ein Wechsel der Themen festzustellen. Was interessiert die Prüfer bei der Unternehmensbewertung derzeit besonders?

Vosen: „Das Thema Unternehmensbewertung hat in den letzten Jahren generell an Bedeutung gewonnen. Somit hat auch das Know-how auf diesem Gebiet allgemein zugenommen. Als wir vor vielen Jahren das erste Gutachten mit Debt-Beta erhielten, war dies für die Frage des Un- und Releverns des Beta-Faktors in Abhängigkeit von der Finanzierungspolitik noch eine Herausforderung. Heute landen bei uns Themen, die mittlerweile zu den Basics gehören, früher aber eher exotisch waren. Bei der Frage der Dateninformationen wird viel mehr auf Daten von Finanzdienstleistern zurückgegriffen. Früher wurde vielmehr gutachterlich geschätzt. Und schließlich sind es auch die zu bewertenden Unternehmen selbst, bei denen viel stärker digitale Werte zu bewerten sind. Früher war es regelmäßig der Firmenwert, der als immaterieller Vermögenswert ermittelt wurde. Heutzutage finden sich auch sehr oft weitere immaterielle Werte, deren Bewertung diskutiert wird. Dies kann z.B. der Kundenstamm oder die Marke sein, aber auch der Wert des Mitarbeiterstamms oder verschiedene Dienstleistungsverträge.“

DB: Neu ist auch, dass die Finanzverwaltung daran interessiert ist, eine Akzeptanz für Prüfungen und Bewertungen zu schaffen. Beispielsweise werden sogar vorbereitete Checklisten übermittelt. Wie kommt dieser Wandel?

Vosen: „Ganz grundsätzlich sind wir daran interessiert, die Betriebsprüfungen zügig abzuwickeln. Auch wir haben nur begrenzte Ressourcen und sehen uns häufig mit einem stetig wachsenden Aufgabenbestand konfrontiert. Checklisten, die von Fachleuten erstellt, aktualisiert und mit weiteren Verknüpfungen versehen sind, können helfen, schnell durch das Dickicht des Steuerdschungels zu gelangen und mögliche Schwachstellen aufzufinden und Prüfungsschwerpunkte auszumachen. Dann braucht nicht jeder Betriebsprüfer das Rad neu zu erfinden oder sich nur auf seinen kreativen Spürsinn zu verlassen. Für den Bereich der Unternehmensbewertung arbeiten wir in NRW jedoch nicht mit Checklisten, weil die Bewertungen dafür zu individuell sind. Unsere Fachprüfer beschäftigen sich jeden Tag intensiv und zu 100% mit Unternehmensbewertungen. Eine Checkliste die z.B. abfragen würde, ob der in einem Gutachten angenommene Ertrag zutreffen ist, wäre wenig sinnvoll.“

DB: Ihr abschließender Rat für Unternehmen, die Ihren Besuch erwarten?

Vosen: „Eine gute Dokumentation ist insbesondere für den Bereich der Unternehmensbewertung unabdingbar. Als sachkundigen Dritten muss es den Fachprüfern möglich sein, die Auswirkungen der im Gutachten getroffenen Annahmen auf den Unternehmenswert nachzuvollziehen. Dies ist nicht gegeben, wenn sich die Bewertungs- und Planungsparameter nicht wirklich nachvollziehen lassen. Es geht also um die so genannte intersubjektive Nachprüfbarkeit. Wenn z.B. die Annahmen an die wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens völlig losgelöst von den zum Bewertungszeitpunkt vorliegenden Brancheneinschätzungen getroffen werden, wird dies durch die in NRW eingesetzten Fachprüfer für Unternehmensbewertung hinterfragt. Vielleicht gibt es ja Gründe, die für die Annahme einer ‚gegen den Trend‘ laufenden wirtschaftlichen Entwicklung sprechen. Die exakten Gründe für diese Einschätzung sollten dokumentiert und belegt werden, weil ansonsten eine Ermittlung eines abweichenden Unternehmenswerts durch die Finanzverwaltungen möglich ist.“

Vielen Dank für das Interview, Herr Vosen!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

 


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