A. Sachverhalt
Der Kläger und sein Bruder erbten von ihren Eltern im Jahr 2015 Grundstücke, eine Kommanditbeteiligung an einer GmbH & Co. KG und eine GmbH-Beteiligung jeweils zur Hälfte. Das Finanzamt gewährte die Steuerbegünstigungen für Betriebsvermögen sowie für vermieteten Wohnraum und das selbstgenutzte Familienheim. Erst im Laufe des Jahres 2018 übertrugen der Kläger und sein Bruder untereinander mehrere Grundstücke. Der Bruder des Klägers übertrug zusätzlich – ebenfalls im Jahr 2018 – den auf ihn entfallenden KG-Anteil gegen Zahlung einer Abfindung auf den Kläger. Das Finanzamt lehnte einen Begünstigungstransfer ab, weil die Teilung des Nachlasses mehr als sechs Monate nach dem Erbfall erfolgt sei. Das Finanzgericht gab der Klage statt und verurteilte das Finanzamt, den Begünstigungstransfer anzuerkennen. Hiergegen legte das Finanzamt Revision ein.
B. Entscheidung des BFH
Der BFH hat entschieden, dass der Begünstigungstransfer für alle drei Begünstigungen vorliegend anzuerkennen ist, obwohl die Sechs-Monats-Frist nicht eingehalten wurde.
I. Betriebsvermögen
Erbschaftsteuerlich kann Betriebsvermögen entweder zu 85% begünstigt werden (Regelverschonung) oder zu 100% (Optionsverschonung), sofern das erworbene Betriebsvermögen bestimmte Voraussetzungen erfüllt. Überträgt ein Miterbe A „im Rahmen der Teilung des Nachlasses“ begünstigtes Betriebsvermögen auf einen Miterben B und erhält dafür nicht begünstigtes Vermögen von diesem Miterben B, erhöht sich der Wert des begünstigten Vermögens des Miterben B um das hingegebene Vermögen, höchstens um den Wert des übertragenen Vermögens. Im Streitfall erhöht sich der Wert des begünstigten Vermögens des Klägers um die gezahlte Abfindung, höchstens aber um den Wert des KG-Anteils.
Der BFH prüft sodann die zeitliche Frist der Finanzverwaltung zur Teilung des Nachlasses und stellt fest, dass im Gesetz keine Frist für die Teilung vorgesehen ist. Grundsätzlich könne der Nachlass auch noch nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist geteilt werden. Einzige Voraussetzung ist, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Erbfall und der Teilung besteht. Ein Begünstigungstransfer ist nicht mehr möglich, wenn die Erbengemeinschaft den Nachlass zunächst willentlich ungeteilt lässt und die spätere Teilung des Nachlasses auf einer neuen Willensbildung der Erbengemeinschaft beruht. Ob eine neue Willensbildung vorliegt, ist im Wege der Auslegung des Erbteilungsvertrages im Einzelfall zu beurteilen. Dabei kann der Zeitraum zwischen dem Erbfall und der Teilung nur als Indiz herangezogen werden. Explizit weist der BFH im Folgenden darauf hin, dass je nach Umfang des Nachlasses und auftretenden Schwierigkeiten bei der Bewertung eine Nachlassteilung auch deutlich mehr als sechs Monate in Anspruch nehmen kann. So war es auch im Streitfall. Die vorgenommene Aufteilung des Betriebsvermögens aus dem Erbfall Dezember 2015 war von Anfang an geplant. Wegen vieler steuer- und bewertungsrechtlicher Fragen konnte die Teilung aber erst im Jahr 2019 erfolgen. Anhaltspunkte für eine neue Willensbildung der Erbengemeinschaft gibt es im Streitfall nicht.
II. Zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke
Grundstücke im Inland oder in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat, die zu Wohnzwecken vermietet werden, sind bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs nur mit 90% ihres Werts anzusetzen (§ 13d Abs. 1 und 3 ErbStG). Analog zum Betriebsvermögen wird die Begünstigung auf denjenigen Erwerber übertragen, der das Grundstück im Rahmen der Nachlassteilung erhält. Der Begünstigungstransfer für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke entspricht dem Begünstigungstransfer für Betriebsvermögen, weshalb der BFH nur feststellt, dass auch bei dieser Begünstigung keine Frist für die Nachlassteilung gilt.
III. Familienheim
Der Erwerb des Grundstücks, das der Erblasser bis zu seinem Tode genutzt hat (Familienheim), ist – sofern weitere Voraussetzungen erfüllt sind, beispielsweise darf die Wohnfläche bei dem Erwerb der Kinder 200 m² nicht übersteigen – von der Erbschaftsteuer befreit. Analog zu den beiden anderen Begünstigungen ist ein Begünstigungstransfer möglich, wenn ein Miterbe den auf ihn entfallenden Anteil des Familienheims auf einen anderen Miterben überträgt. Zwingende Voraussetzung der Begünstigung ist, dass der Erwerber den Willen hat, das Familienheim selbst zu nutzen, und unmittelbar nach dem Erwerb in das Familienheim einzieht. Für die Konstellation des Begünstigungstransfers stellt der BFH klar, dass es nicht erforderlich ist, dass jeder der Miterben, der einen Anteil am Familienheim erwirbt, den Willen hat, das Familienheim selbst zu nutzen und unmittelbar einzieht. Das ergibt sich aus dem Regelungszweck des Begünstigungstransfers, der darin zu sehen ist, dass es einem der Miterben ermöglicht werden soll, das Familienheim begünstigt zu erwerben und zu nutzen. Würde man verlangen, dass alle Miterben den Willen haben müssen, das Gebäude zu eigenen Wohnzwecken zu nutzen, würde das dem Regelungszweck widersprechen.
Maßgeblich für den Begünstigungstransfer ist nur, dass der erwerbende Miterbe das Familienheim zeitnah für eigene Wohnzwecke nutzt. Ob die Nachlassteilung innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall erfolgt, spielt dagegen keine Rolle. Der innere Zusammenhang zwischen dem Erbfall und der Teilung des Nachlasses besteht bereits durch die Nutzung des Familienheims durch den erwerbenden Miterben bereits vor der späteren Teilung des Nachlasses.
C. Folgen für die Praxis
Der BFH hat die Sechs-Monats-Frist, an der die Finanzverwaltung seit Jahren festhält, verworfen. Eine Nachlassteilung kann nunmehr auch deutlich später erfolgen. Für die Praxis vereinfacht das die Erbauseinandersetzung, denn häufig ist es – insbesondere bei umfangreicheren Nachlässen – kaum möglich, innerhalb von sechs Monaten den Umfang des Nachlasses zu ermitteln, alle Nachlassgegenstände zu bewerten und über eine sachgerechte Teilung des Nachlasses zu entscheiden. Bisher waren die Erben gezwungen, eine schnelle Entscheidung zu treffen, um den Begünstigungstransfer nicht zu verlieren. Diese Situation wird durch das Urteil entschärft. Der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und der Teilung gilt aber weiterhin als Indiz dafür, dass keine neue Willensbildung der Erbengemeinschaft vorliegt. Es ist deshalb zu empfehlen, den von Anfang an bestehenden Willen zur Teilung und die Schwierigkeiten, die zur zeitlichen Verschiebung der Teilung geführt haben, sorgfältig zu dokumentieren, beispielsweise im Erbteilungsvertrag. Insbesondere bei der Begünstigung für das Familienheim sollte zeitnah entschieden werden, welcher Miterbe das Familienheim erhalten soll, um einen unmittelbaren Einzug sicherzustellen.