Das BAG bestätigte jedoch nunmehr, dass das unionsrechtliche Stechuhr-Urteil keine Auswirkungen auf die nach deutschem Prozessrecht entwickelten Grundsätze der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess habe und sorgte somit für Aufatmen unter den Arbeitgebern.
Bedeutung der Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten
Nicht selten kommt es zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über die Vergütung von Überstunden zum Streit. Neben den einzelnen rechtlichen Fragen, die sich bei der Feststellung des Anspruchs auf Vergütung stellen können, gibt es im Streitfall erfahrungsgemäß Schwierigkeiten bei der substantiierten Darlegung des Sachverhalts und der entsprechenden Beweisführung. Es spielt daher für Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine entscheidende Rolle, welche Anforderungen an die Darlegung des Sachverhalts an welche Partei gestellt werden und zu wessen Lasten ein nicht substantiierter und/oder nicht bewiesener Sachverhalt gereicht werden wird. Vor dem Hintergrund dieser Bedeutung verwundert es nicht, dass die Frage der Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten im Überstundenvergütungsprozess bereits Gegenstand mehrerer höchstrichterlicher Entscheidungen war und die Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts hierbei mittlerweile als gefestigt angesehen werden können (vgl. BAG, Urt. v. 16.5.2012, Az.: 5 AZR 347/11). Nach der Rechtsprechung des BAG obliegt es insbesondere zunächst dem Arbeitnehmer konkret darzulegen, dass er seine Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet und der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat.
Arbeitsgericht Emden stellte Grundsätze des BAG in Frage
Mit Teilurteil vom 9. November 2020 (2 Ca 399/18) stellte das Arbeitsgericht Emden diese Grundsätze in Frage, in dem es entschied, dass das Stechuhr-Urteil und die sich daraus ergebende Verpflichtung, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, zu einer Modifizierung der zuvor dargestellten Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess führe. In dem streitgegenständlichen Prozess hatte der Arbeitgeber ein Zeiterfassungssystem, welches Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufzeichnete. Der Arbeitnehmer hatte behauptet, die gesamte aufgezeichnete Zeit ohne Pausen gearbeitet zu haben, woraus sich insgesamt 348 zu vergütende Überstunden ergaben. Der Arbeitgeber hat diesen Vortrag bestritten. Das Arbeitsgericht Emden entschied, dass es für eine schlüssige Begründung der Klage durch den Arbeitnehmer ausreichend sei, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Hingegen müsse der Arbeitnehmer vorliegend nicht die positive Kenntnis des Arbeitgebers von den Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung darlegen. Dies gelte immer dann, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung durch die Einführung eines den Vorgaben der EuGH Rechtsprechung entsprechenden Zeiterfassungssystems hätte verschaffen können. Der Arbeitgeber müsse daher die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger darlegen.
BAG bestätigt bisherige Rechtsprechung
Dieser Auffassung folgte das BAG in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2022 nicht und wies die Revision zurück. Zur Begründung führt das BAG aus, dass die Arbeitszeitrichtlinie und das hierauf ergangene Urteil des EuGH sich auf die Regelung der Arbeitszeitgestaltung beschränke, um den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Auf die Arbeitszeitvergütung, wozu die Überstundenvergütung zähle, fände die Richtlinie jedoch gerade keine Anwendung. Folglich könne die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit keine Auswirkungen auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess begründen. Es verbleibe daher bei der Darlegungslast des Klägers, wobei offengelassen werden könne, ob Pausen gemacht wurden, da schon nicht hinreichend konkret dargelegt worden sei, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten.
Fazit
Selbst wenn das BAG seine bisherigen Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast bestätigt hat, zeigt diese Entscheidung erneut, dass das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung nicht an Relevanz verloren hat. Als Arbeitgeber sollte die Umsetzung des Stechuhr-Urteils in das nationale Recht nicht abgewartet werden. Vielmehr ist dringend zu empfehlen, schon vor der Transformation ins deutsche Recht die Einführung eines den Vorgaben der EuGH Rechtsprechung entsprechendes Zeiterfassungssystem umzusetzen. Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass unter Umständen auch bald Betriebsräte vermehrt von Arbeitgebern die Einführung eines solchen Systems verlangen werden. Das LAG Hamm hat mit Urteil vom 27. Juli 2021 (7 TaBV 79/20) – abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BAG – insofern entschieden, dass dem Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht zur Einführung des Systems zusteht. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob sich das BAG in der anhängigen Revision (1 ABR 22/21) der Auffassung des LAG Hamm anschließt. Eine Entscheidung des BAG wird im September 2022 erwartet.