Zweistufiger Substanztest vorgesehen
Zukünftig würde sodann zwingend in allen EU-Mitgliedstaaten ein zweistufiger Substanztest mit dem Ziel der Ermittlung substanzschwacher Gesellschaften durchgeführt werden. Für solche substanzschwachen Gesellschaften ergeben sich neue steuerliche Erklärungspflichten und ihnen werden Steuervergünstigungen aberkannt. Die neuen Regelungen sollen bis zum 30.06.2023 national umgesetzt und ab 2024 von den Mitgliedstaaten angewendet werden. Hierzu bedarf es freilich noch der Zustimmung aller Mitgliedstaaten.
1. Stufe des Substanztests
Nach dem Richtlinienentwurf werden in der ersten Stufe des Substanztests zunächst potentielle Mantelgesellschaften anhand folgender drei Eigenschaften identifiziert:
Betroffen ist (1.) jede Gesellschaft, deren Einkünfte zu mehr als 75% aus passivem Einkommen resultieren (Zinsen, Lizenzen, Dividenden, Anteilsveräußerungen, Immobilienerträge etc.). Die Gesellschaft muss (2.) grenzüberschreitend tätig sein – letzteres ist erfüllt, wenn die Buchwerte des im Ausland belegenen unbeweglichen sowie des nicht betrieblichen Zwecken dienenden beweglichen Vermögens (mit Ausnahme von Barmitteln, Anteilen oder Wertpapieren) in den beiden vorangegangenen Jahren mehr als 60% des Unternehmensvermögens ausgemacht haben oder wenn Einnahmen zu mindestens 60% aus grenzüberschreitenden Strukturen erzielt wurden. Rein inländische Strukturen werden demnach nicht erfasst. Für die etwaige Nichtanerkennung rein inländischer substanzschwacher Gesellschaften sind die Staaten nach nationalem Recht verantwortlich. Schließlich muss (3.) das Management der Gesellschaft betreffend Tagesgeschäft und Entscheidungsfindung in den vorangegangenen zwei Jahren ausgelagert worden sein („… outsourced the administration of day-to-day operations and the decision-making on significant functions …“).
Das dritte Kriterium ist sicherlich das Kernstück des Substanztests auf der ersten Stufe. Nach der Begründung im Richtlinienentwurf sollen substanzschwache Unternehmen dazu neigen, Dritte mit der Erbringung von Verwaltungs-, Management-, Korrespondenz- und rechtlichen Dienstleistungen zu beauftragen oder Verträge mit verbundenen Unternehmen über solche Dienstleistungen zu schließen. Die Auslagerung von lediglich Nebendienstleistungen (wie z.B. der Buchhaltung), während die Kerntätigkeiten beim Unternehmen verbleiben, reiche jedoch für sich genommen nicht aus, damit ein Unternehmen das Kriterium erfüllt. Sollte der Entwurf tatsächlich umgesetzt werden, wird spannend sein, wie das Kriterium zeitlich geprüft wird bei Inkrafttreten der Neuregelung am 01.01.2024. Es kann insofern also durchaus auf den bereits seit Anfang 2022 laufenden Zeitraum ankommen. Entsprechende Beweisvorsorge ist derzeit angezeigt.
Vom Anwendungsbereich dieses Substanztests auf der ersten Stufe werden von vornherein bestimmte Gesellschaften ausgenommen (z.B. börsennotierte Gesellschaften, bestimmte Holdingunternehmen, regulierte Finanzunternehmen, Gesellschaften mit mindestens fünf eigenen Mitarbeitern usw.).
2. Stufe des Substanztests
Gesellschaften, die alle drei Kriterien der 1. Stufe erfüllen, müssen sodann in ihren Steuererklärungen zusätzliche Angaben machen. Dies leitet über zur 2. Stufe des Substanztests. Durch die betroffene Gesellschaft sind bestimmte Voraussetzungen durch Angaben in der Steuererklärung nachzuweisen:
Die betroffene Gesellschaft muss im Ansässigkeitsstaat über eigene bzw. exklusive genutzte Flächen verfügen („… has own premises in the Member State, or premises for its exclusive use …“). Weiterhin muss die Gesellschaft über ein aktiv genutztes Bankkonto bei einer EU-Bank verfügen. Und schließlich sind bestimmte Merkmale zur Organisationsstruktur zu erfüllen. Konkret müssen Geschäftsführung bzw. Mitarbeiter der Gesellschaft selbst im Ansässigkeitsstaat des Unternehmens (oder in räumlicher Nähe) ansässig sein, über ausreichende Entscheidungsbefugnisse verfügen bzw. nicht zusätzlich bei einem verbundenen Unternehmen angestellt sein.
Sobald eine Gesellschaft nicht alle drei Kriterien erfüllt, wird vermutet, dass es sich um eine substanzschwache Gesellschaft handelt. Diese Vermutung ist u.a. widerlegbar, wenn der Nachweis erbracht wird, dass wirtschaftliche Gründe und nicht die Erlangung eines Steuervorteils für die Einschaltung der Gesellschaft ursächlich sind. Ein erfolgreich geführter Gegenbeweis kann für fünf Jahre anerkannt werden.
Rechtsfolgen
Sobald eine substanzschwache Gesellschaft vorliegt, weil die 1. Stufe des Substanztests in diese Kategorie hineinführt und die Gesellschaft sodann auf der 2. Stufe nicht alle drei Negativkriterien erfüllt und keinen Gegenbeweis erbringen kann, führt dies zu folgenden steuerlichen Konsequenzen:
- Die Ansässigkeit der Gesellschaft wird international steuerlich nicht anerkannt, d.h. soweit DBA oder EU-Richtlinien (Mutter-Tochter-Richtlinie etc.) eine steuerliche Ansässigkeit in einem EU-Mitgliedstaat voraussetzen, werden diese nicht angewendet.
- Der Staat, in dem sich das Vermögen der Gesellschaft befindet, besteuert dieses Vermögen so, als würde es von den Anteilseignern direkt gehalten. Im Ansässigkeitsstaat des Anteilseigners der substanzschwachen Gesellschaft wird der Anteilseigner so besteuert (nach nationalem Recht), als habe er das Einkommen der Gesellschaft selbst erzielt. Soweit der Anteilseigner nicht in einem EU-Mitgliedstaat ansässig ist, kommt im Mitgliedstaat der Einkunftsquelle ungeachtet von DBA oder Richtlinien dessen lokales Quellensteuerrecht auf die Zahlung zur Anwendung.
- Die Mitgliedstaaten stellen Ansässigkeitsbescheinigungen nicht mehr oder nur noch mit dem Hinweis aus, dass die betroffene Gesellschaft keinen Anspruch auf die Vorteile unter einem DBA oder einer Richtlinie hat.
- Die Informationen über die betroffenen Gesellschaften werden Gegenstand des automatischen Informationsaustauschs zwischen den EU-Finanzbehörden, unabhängig davon, ob eine Klassifikation als substanzschwache Gesellschaft besteht oder nicht. Gemäß dem Entwurf der Richtlinie soll den Mitgliedstaaten zudem die Möglichkeit eröffnet werden, in dem anderen betroffenen Mitgliedstaat eine Betriebsprüfung bei der Gesellschaft anzuregen.
Ausblick
Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form der aktuelle Entwurf zu einer finalen Richtlinie wird. Wenn dies der Fall sein sollte, wird es im weiteren Verlauf den Mitgliedstaaten obliegen, die unbestimmten Begriffe in der Richtlinie bei der Umsetzung in nationales Recht mit Leben zu füllen.
Wann genau ist zum Beispiel im Rahmen der 1. Stufe des Substanztests die Schwelle für eine schädliche Auslagerung von Tagesgeschäft und Entscheidungsfindung erreicht? Was bedeutet – auf der 2. Stufe des Tests – das Erfordernis von eigenen oder exklusiv genutzten Räumlichkeiten? Es wird hierbei beispielsweise zu berücksichtigen sein, dass das Tagesgeschäft und die Entscheidungsfindung bei Gesellschaften mit Kapitalanlagen naturgemäß langweilig sind und erst recht keiner eigenen Bürofläche bedürfen. Das muss aber noch lange nicht bedeuten, dass damit die Gesellschaft zugleich als missbräuchliche, substanzarme Gesellschaft tituliert wird. Managementaktivitäten und Büroflächen können aus Effizienzgründen gebündelt werden und es bleibt zu hoffen, dass die EU-Staaten bei der weiteren Diskussion zur Richtlinie bzw. spätestens bei deren Umsetzung mit entsprechendem Augenmaß vorgehen. Für grenzüberschreitende Aktivitäten sollten keine strengeren Maßstäbe vorherrschen als nach nationalem Recht.
Sollte es tatsächlich zur Umsetzung kommen, wird der geplante automatische Informationsaustausch bei substanzschwachen Gesellschaften perspektivisch dazu führen, dass die steuerliche Substanz in anderen Ländern (z.B. im Belegenheitsstaat des Vermögens oder im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter) gesucht und gefunden wird. Andererseits bietet ATAD 3 aber auch eine Chance: Wenn eine Gesellschaft nach Durchführung des Substanztests nicht als substanzschwach eingeordnet wird, dürfte damit auch (faktisch) die Anerkennung durch den Quellenstaat des Vermögens bzw. durch den Ansässigkeitsstaat des Anteilseigners einhergehen. Der Trend zu höherem Compliance-Aufwand allein zur Sicherstellung des steuerlichen Status quo bleibt ungebrochen – ob die Richtlinie aber tatsächlich auch zum Abbau von Briefkästen führt, darf bezweifelt werden.