Ökonomen, internationale Organisationen wie die OECD und ausländische Politiker kritisieren die weiterhin sehr großen Überschüsse in der deutschen Leistungsbilanz. Denn trotz des wirtschaftlichen Booms und geringer Arbeitslosigkeit rangiert Deutschland bei den Arbeitskosten nur im oberen Mittelfeld Westeuropas.
Die Arbeits- und Lohnstückkosten sind wichtige Faktoren, die das Verhältnis von Aus- und Einfuhren und das Wachstum von Exporten und Binnennachfrage beeinflussen. Durch eine stärkere Lohnentwicklung hat die Entwicklung der Arbeitskosten in Deutschland in den letzten Jahren angezogen. Allerdings sind damit die Effekte einer langen Schwächephase in den 2000er Jahren längst noch nicht ausgeglichen: Im gesamten Zeitraum von 2001 bis Ende 2017 verzeichnete die Bundesrepublik den drittgeringsten Anstieg bei den Arbeitskosten in der EU. Zu diesen Ergebnissen kommt der neue Arbeits- und Lohnstückkostenreport, den das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung vorstellt.
34,60 Euro pro Stunde
Trotz des wirtschaftlichen Booms und geringer Arbeitslosigkeit rangiert Deutschland bei den Arbeitskosten für die private Wirtschaft weiterhin im oberen Mittelfeld Westeuropas und rückt nur langsam vor: Ende 2017 lag die Bundesrepublik mit Arbeitskosten von 34,60 Euro pro Stunde an sechster Stelle unter den EU-Ländern, fast gleichauf mit Österreich (34,50 Euro). Im Jahr zuvor war die Bundesrepublik auf Position sieben. Höher liegen die Arbeitskosten in fünf Ländern: In Dänemark, Belgien, Schweden, Luxemburg und Frankreich müssen zwischen 43,60 und 36,60 Euro pro Stunde ausgegeben werden.
Wo gibt es weniger?
Etwas darunter folgen Irland, das 2017 Arbeitskosten von 29,80 Euro auswies, und Italien (27,30 Euro). Die Arbeitskosten in Großbritannien (25,20 Euro) sind in Euro gerechnet kräftig zurückgegangen. Das beruht aber auf dem drastischen Wertverfall des Pfunds. In einheimischer Währung stiegen sie um 2,8 % und damit so stark wie in Deutschland. In den übrigen südeuropäischen EU-Staaten betragen die Arbeitskosten zwischen 20,80 Euro (Spanien) und 13,20 Euro (Malta). Die „alten“ EU-Länder Griechenland und Portugal liegen mittlerweile deutlich hinter dem EU-Beitrittsland Slowenien mit 16,90 Euro. In Estland, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Kroatien, Polen, Ungarn, Lettland und Litauen betragen die Stundenwerte zwischen 12,20 und 8,20 Euro. In den meisten dieser Länder waren die Steigerungsraten mit gut 6 % bis 11 % im vergangenen Jahr überdurchschnittlich. Schlusslichter sind Rumänien und Bulgarien mit Arbeitskosten von 6,10 bzw. 4,90 Euro pro Stunde, allerdings bei Zuwächsen von rund 12 %. Insgesamt blieb das Ranking der Länder stabil, lediglich Finnland, das 2016 noch knapp vor Deutschland rangierte, fiel als einziges Euro-Land mit sinkenden Arbeitskosten deutlich zurück.
Zuwachs der deutschen Arbeitskosten zu niedrig
Mit nominal 2,8 % lag der Zuwachs der deutschen Arbeitskosten 2017 zwar erneut über dem Durchschnitt der EU (2,5 %) und des Euroraums (2,0 %). Trotzdem war der Anstieg im Gesamtzeitraum seit 2001 in Deutschland mit 2,1 % im Jahresmittel der drittniedrigste nach den Euro-Krisenländern Griechenland und Portugal. Ähnlich sieht es bei der für die internationale Wettbewerbsfähigkeit wichtigeren Lohnstückkostenentwicklung aus. Dementsprechend sind die Ungleichgewichte bei der Entwicklung von Binnennachfrage und Exporten längst noch nicht ausgeglichen: Während die Inlandsnachfrage in Deutschland seit der Jahrtausendwende real um 15 % zugelegt hat, expandierten die Ausfuhren um fast 120 %.
Deutsche Lohnnebenkosten unterdurchschnittlich
Erstmals hat das IMK auch untersucht, wie groß der Anteil der Lohnnebenkosten an den Arbeitskosten ist. In Deutschland betrug die Quote 2017 22,6 %. Das ist weniger als im Durchschnitt von EU (24 %) und Euroraum (25,9 %). Seit 2008 hat sich der Anteil der Lohnnebenkosten an den Arbeitskosten in Deutschland gesamtwirtschaftlich nur leicht um 0,6 % erhöht.
(Hans Böckler Stiftung, PM vom 09.07.2018 / Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro)