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08.08.2024

Steuerboard

Als eine Person noch eine Person war und keine Quote – Eine grunderwerbsteuerliche Zeitreise

Am Beispiel mittelbarer Anteilsvereinigungen folgen Einblicke in eine rätselhafte Welt. Bleibt die Zukunft ein unerwünschtes Déjà-vu?

Nachhaltigkeitsbericht: Die Herausforderung erfolgreich meistern

RAin/Wirtschaftsjuristin Vanessa-Mercedes Völlkopf
ist Associate bei POELLATH in Berlin

Blick in die Vergangenheit

Zersplittert, ausgehöhlt und in der praktischen Anwendung eine Zumutung. Bereits in den 70er Jahren zeigt sich das Grunderwerbsteuerrecht als Scherbenhaufen. Einst war in der jungen Bundesrepublik nicht nur die Höhe des Steuersatzes Ländersache, sondern das gesamte materielle Grunderwerbsteuerrecht. Seit 1970 darf auch der Bund in dieses Rechtsgebiet regulierend eingreifen. Zehn Jahre später umfasst das Grunderwerbsteuerrecht 68 bundes- und landesrechtliche Gesetze und Verordnungen sowie 131 Einzelvorschriften. Durch übermäßige Befreiungsvorschriften sind rund 80 % der Grundstücksumsätze von der Besteuerung ausgenommen. Für die verbleibenden Fälle liegt der Steuersatz bei überwiegend 7 %. Die Umsetzung der zahlreichen Vorschriften bindet unverhältnismäßige Verwaltungsressourcen. Erste Verfahren zur Verfassungswidrigkeit laufen und die Rufe nach einer Reform werden immer lauter.

Und die Reform kommt. Im Januar 1983 tritt das heutige Grunderwerbsteuergesetz in Kraft – basierend auf seinem Vorgänger von 1940. Die Idee, neben dem Grundstückserwerb selbst auch die Vereinigung aller Anteile an einer grundbesitzenden Gesellschaft zu besteuern, fand sich bereits im Grunderwerbsteuergesetz des Deutschen Reichs und wurde im Zuge der Reform aufgegriffen (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 GrEStG). Seit der Jahrtausendwende umfasst die Vorschrift auch ausdrücklich mittelbare Anteilsvereinigungen. Zudem wurde die Beteiligungsschwelle von 100 % auf 95 % herabgesetzt.

„Anteil“ an einer Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH und AG) meint die Beteiligung an deren Kapital, sodass alle Beteiligungsquoten zwischen 0 % und 100 % möglich sind. Auf Personengesellschaften (z.B. OHG, KG und GmbH & Co. KG) lässt sich das nicht übertragen. Jeder Gesellschafter hält exakt einen Anteil an der Personengesellschaft. Diese sog. Pro-Kopf-Betrachtung führt dazu, dass selbst bei einem Kapitalkonto von 0 € des einen Gesellschafters und einem Kapitalkonto von 100 € des anderen Gesellschafters beide Gesellschafter genau einen Anteil an der Gesellschaft innehaben.

Das brachte den findigen Rechtsanwender schon früh auf die Idee, einen weiteren Gesellschafter an der grundbesitzenden Personengesellschaft zu beteiligen, der vermögensmäßig keinen oder allenfalls einen geringen Beitrag leistet. Der RETT-Blocker war geboren (RETT ist die englische Abkürzung für Grunderwerbsteuer: Real Estate Transfer Tax). Hat beispielsweise eine KG zwei Gesellschafter, A und B, und übertragen beide ihren Anteil auf C, werden die Anteile erstmals bei C vereinigt. Hat die KG nun aber zunächst drei Gesellschafter A, B und den RETT-Blocker X, führt die Übertragung der Anteile von A und B auf C nicht zu einer Anteilsvereinigung bei C; auch dann nicht, wenn X überhaupt nicht am Vermögen der KG beteiligt ist. C und X halten je einen Anteil, d.h. 50 %. Die maßgebliche Beteiligungsschwelle von 100 % bzw. später 95 % und inzwischen 90 % wird nicht erreicht. Darauf angelegten Strukturierungen tritt der Gesetzgeber entgegen, indem er 2013 einen neuen Tatbestand erschafft, der nicht auf den Anteil, sondern auf die wirtschaftliche Beteiligung abstellt. Die bisherige Vorschrift zur Anteilsvereinigung bleibt vorrangig erhalten. Die Pro-Kopf-Betrachtung auf Ebene des unmittelbar an einer Personengesellschaft beteiligten Gesellschafters wird beibehalten. Daran ändert im Übrigen auch die kürzliche Modernisierung des Personengesellschaftsrechts nichts (vgl. zum sog. MoPeG bspw. Löcherbach, DB Steuerboard vom 09.02.2024). Die zivilrechtlichen Neuregelungen finden im Grunderwerbsteuerrecht derzeit keine Anwendung.

Die Anteilsvereinigung ist allerdings nicht nur dann steuerbar, wenn sich die Anteile der grundbesitzenden Gesellschaft vereinigen. Auch mittelbare Anteilsvereinigungen sind betroffen. Finanzverwaltung und Rechtsprechung waren sich einig: Die Ermittlung der Höhe der Anteile sollten für mittelbar an der grundbesitzhaltenden Gesellschaft beteiligte Gesellschafter nach denselben Regeln erfolgen wie für unmittelbar beteiligte Gesellschafter. Dementsprechend wurde zwischen Kapital- und Personengesellschaften unterschieden.

Blick in die Gegenwart

Es ist 2017, als der Bundesfinanzhof entscheidet, eine Zeitreise sei nötig. Überraschend gibt er bekannt, nicht mehr an seiner Rechtsprechung festzuhalten: Bei Anteilsvereinigungen sollen für beteiligte Personengesellschaften nun doch die gleichen Regeln wie für Kapitalgesellschaften gelten, sodass die Kapitalbeteiligung maßgeblich ist (BFH vom 27.09.2017 – II R 41/15, BStBl. II 2018 S. 667 = DB 2018 S. 361). Aus der Pro-Kopf-Betrachtung wird eine Quotenbetrachtung – allerdings nur für mittelbar beteiligte Gesellschafter. Vertrauensschutz wird den Steuerpflichtigen ungeachtet der gegenteiligen Rechtsprechung und ausdrücklichen Auffassung der Finanzverwaltung nicht gewährt. Dadurch entfaltet die Entscheidung praktisch Rückwirkung. Hieran hält das Gericht weiterhin fest und bestätigt jüngst den fehlenden Vertrauensschutz (BFH vom 28.02.2024 – II R 7/22, DB1463920).

Im Streitfall erfolgte die fragliche Anteilsübertragung im Jahr 2012. Und obgleich Rechtsprechung und Finanzverwaltung diese Übertragung bis 2017 als nicht steuerbar einstuften, löste der Vorgang 2012 Grunderwerbsteuer aus. Doch damit nicht genug. Der BFH urteilt nun, dass auch im Jahr 2012 bereits eine Anzeigepflicht bestand, welcher der Steuerpflichtige nicht nachgekommen ist. Die Folge: Die sonst vierjährige Festsetzungsfrist verlängert sich faktisch auf sieben Jahre. Der Steueranspruch aus 2012 verjährte demnach erst mit Ablauf des Jahres 2019.

Führt man die Rechnung fort (Rechtsprechungsänderung 2017 + Verjährung nach 7 Jahren = 2024), muss man feststellen, dass einen die Vergangenheit nach wie vor einholen kann. Eine nicht fristgemäße oder nicht in jeder Hinsicht vollständige Grunderwerbsteueranzeige ist und bleibt das Damoklesschwert über jeder Strukturierung mit Grundstücksbezug. Neben der Verlängerung der Festsetzungsverjährung und dem Verlust des Steuererstattungsanspruchs bei Rückabwicklung (§ 16 Abs. 5 Satz 1 GrEStG) steht auch noch eine potenziell doppelte Grunderwerbsteuerbelastung im Raum (§ 16 Abs. 5 Satz 2 GrEStG; siehe hierzu auch Völlkopf, DB Steuerboard vom 12.09.2023).

Ob in der Vergangenheit bereits eine Anteilsvereinigung stattgefunden hat und auf welcher Beteiligungsebene diese erfolgt ist, kann sich auch auf die Beurteilung aktueller Strukturierungsmaßnahmen auswirken. Besonders dramatisch zeigen sich die Auswirkungen im Zusammenhang mit den Zurechnungserlassen (Gleichlautende Erlasse der Länder vom 16.10.2023, BStBl. I 2023 S. 1872 = DB 2023 S. 2856). Fallen bei einer steuerbaren Anteilsvereinigung der Abschluss des Kaufvertrages (Signing) und der Vollzug der Anteilsübertragung (Closing) auseinander, so ist das Grundstück nicht nur der grundbesitzhaltenden Gesellschaft selbst, sondern zusätzlich der Anteilserwerberin zuzurechnen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann ein späterer Gesellschafterwechsel sowohl für das reale Grundstück als auch für das fiktive Grundstück Grunderwerbsteuer auslösen (zu diesem Vexierspiel siehe Hötzel, Steuerboard vom 09.11.2023).

Blick in die Zukunft

Derzeit stehen wir dort, wo wir bereits zu Beginn der Zeitreise standen: Vor einem Scherbenhaufen. Die Reformrufe ertönen erneut. Der Arbeitskreis Grunderwerbsteuer hat 2023 ein Modernisierungsmodell für das Grunderwerbsteuerrecht entworfen und darin die Steuer für Anteilsübertragungen völlig neu strukturiert (Kurzfassung: Das-GrESt-Momo-auf-einem-Blick.pdf (steuerkreis-sachsen.de)). Die Ergebnisse wurden bereits im selben Jahr vom Bundesministerium der Finanzen in einen Diskussionsentwurf zur Novellierung des Grunderwerbsteuergesetzes aufgegriffen. Auch die (erneute) Ausweitung von Befreiungs-/Ermäßigungsvorschriften stand im Raum. So sollte insbesondere der Erwerb selbstgenutzter Immobilien begünstigt werden (nachdem dieser 1983 aus dem Begünstigungskatalog gestrichen wurde).

Anstatt die Ursachen für das Chaos zu bekämpfen, blieb es bisher bei minimalinvasiven Eingriffen. Das Grunderwerbsteuerrecht wurde nicht an das modernisierte Personengesellschaftsrecht angepasst, sondern das neue Gesellschaftsrecht für nicht anwendbar erklärt (§ 24 GrEStG). Eine Neustrukturierung der Grunderwerbsteuertatbestände für Gesellschafterwechsel ist derzeit ebenfalls wieder in weite Ferne gerückt. Stattdessen darf man sich bereits freuen, wenn das Jahressteuergesetz 2024 klarstellen wird, dass – entgegen der derzeitigen Verwaltungsauffassung – ein Grundstück im echten Leben auch lediglich ein Grundstück im Grunderwerbsteueruniversum ist. Und nicht etwa zwei. Immerhin sieht der aktuelle Regierungsentwurf eine dahingehende Ergänzung vor.

Derweil wird die Verwaltung mit umfangreichen Anzeigen überhäuft. Aus Angst vor doppelter Grunderwerbsteuerbelastung und möglichen Ordnungswidrigkeitenverfahren werden mitunter abwegigste Konstellationen gemeldet. „Höchstvorsorglich“, wie es so schön heißt. Eine Ressourcenverschwendung für alle Beteiligten.

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