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15.11.2021

Interview

Unternehmenssteuern: „Viele Detailprobleme der neuen Weltsteuerordnung sind noch ungeklärt“

Die Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben sich auf eine globale Reform der Unternehmenssteuer geeinigt. Steuerrechtsexperte und Rechtsanwalt Dr. Klaus-Jörg Dehne, Head of Quality Recht und Steuern bei Baker Tilly, beleuchtet die Hintergründe der Mindeststeuer für Großkonzerne. Er erklärt, welche Stolpersteine auf dem Weg zu mehr Steuergerechtigkeit überwunden werden müssen und welche weitreichenden Folgen die globale Mindeststeuer auch für deutsche Unternehmen haben wird.

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Der Betrieb

DB: Herr Dr. Dehne, welche Hintergründe hat denn diese historische Einigung?

Dehne: Formale Grundlage ist das OECD/G 20-BEPS Projekt, das im Abschlussbericht aus 2015 in Bezug auf die Begrenzung der Gewinnverlagerungsmöglichkeiten der IP-basierten Digitalunternehmen zu keinem Konsens kam. Mit den seitdem eingetretenen massiven Veränderungen, wie Einführung von GILTI und BEAT in den USA, von „Digital Service Taxes“ in einigen Ländern und dem Beschluss der EU, solche Steuern notfalls mangels globaler Lösung einzuführen, wuchs der Druck auf die Politik zu einem Globalkonsens, um einer „Zersplitterung“ durch unilaterale Alleingänge entgegenzuwirken. Auf der Grundlage zweier sog. „Blueprints“ aus Oktober 2020 konnte in 2021 eine politische Einigung erzielt werden, nachdem sich die Blockadehaltung der USA durch die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen und die Aufgabe des „Ringfencing auf die Digitalindustrie“ aufgelöst hatte.

DB: Ist dies tatsächlich der Weg zu mehr Steuergerechtigkeit?

Dehne: Aus Sicht der beteiligten Staaten ist es ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit, wenn das Level Playing Field für Steueroasenländer und für multinationale Unternehmen durch eine Mindeststeuer und neue Globalallokationsregeln für die Gewinne eingeschränkt wird.

Aus Sicht der Unternehmen könnten damit zwar Wettbewerbsverzerrungen verringert werden. Man muss demgegenüber aber die absehbare Konfliktträchtigkeit der neuen „Globalkonzepte“ und die enormen administrativen Befolgungskosten sehen, die dies wesentlich konterkarieren.  Viele wichtige Detailprobleme der neuen „Weltsteuerordnung“ befinden sich derzeit noch in der Diskussion, sodass man die weitere Entwicklung und konkrete Umsetzung noch abwarten muss, um eine Bewertung vornehmen und verlässliche Empfehlungen für die betroffenen Unternehmen abgeben zu können.

DB: Welche Säulen hat das neue globale Steuersystem?

Dehne: Die erste Säule – „Pillar One“ – beinhaltet ein neues System der Zuordnung von Besteuerungsrechten, das losgelöst von den physischen Anknüpfungspunkten einer klassischen Betriebsstätte arbeitet und allein auf Umsätzen mit Endverbrauchern und Nutzern oberhalb einer Umsatzschwelle von 1 Million Euro (bei kleineren Staaten 250.000 Euro) beruht. Im Ergebnis soll dies zu einem höheren Besteuerungsrecht der Marktstaaten führen, in dem diesen Staaten ein Teil des Globalgewinns (Amount A = 25 % des einer Marge vor Steuern von 10 % übersteigenden Gewinns) zugeordnet und nach einem noch nicht endgültig festgelegten Umsatzschlüssel auf diese allokiert wird. Diese neue Globallösung tritt neben die klassischen DBA-Mechanismen des an die Transaktion anknüpfenden Fremdvergleichs und soll durch ein multilaterales Abkommen eingeführt werden, in dem sich die Staaten zudem verpflichten, unilaterale Digitalsteuern nicht einzuführen bzw. aufzuheben.

Die zweite Säule – „Pillar Two“ – ist die eigentliche Mindeststeuer, die mit 15 % festgesetzt und in Bezug auf jedes Land („Jurisdictional Blending“) erhoben werden soll, in dem im jeweiligen Veranlagungsjahr die effektive (nicht nominale!) Steuerquote darunter liegt. Die Mindeststeuer besteht aus mehreren Komponenten: aus einer Top-Up Tax, die auf Basis einer „Income Inclusion Rule“ (auf Ebene der obersten Konzerngesellschaft) oder einer „Undertaxed Payment Rule“ (auf Ebene der Gesellschaft, die Zahlungen an ein niedrig besteuertes Unternehmen leistet) eine Hochschleusung auf das Mindeststeuerniveau sicherstellen soll; zudem einer erhöhten Quellensteuer auf gewinnverlagerungsverdächtige und niedrig besteuerte Zahlungen und einer begleitenden durch ein multilaterales Instrument einzuführenden Subject to Tax Rule („STTR“).

DB: Welche Unternehmen werden der Mindeststeuer unterliegen?

Dehne: „Pillar One“ unterliegen grundsätzlich alle multinationalen Unternehmensgruppen – nach der Einigung vom 14.10.2021 unabhängig von Branchenzugehörigkeit oder Aktivität –, soweit diese einen Gesamtumsatz von mehr als 20 Milliarden Euro pro Jahr und eine Profitabilität vor Steuern von mindestens 10 % erzielen. Der Anwendungsbereich kann sich nicht nur auf die gesamte Unternehmensgruppe sondern auch auf Unternehmenssegmente beziehen, die für sich genommen die oben genannten Umsatzschwellen überschreiten. Nach mehr als sieben Jahren soll die Umsatzschwelle auf 10 Milliarden Euro abgesenkt werden.

Der Mindestbesteuerung („Pillar Two“) sollen alle multinationalen Unternehmensgruppen unterliegen, deren Gesamtumsatz 750 Millionen Euro pro Jahr überschreiten.

Ausgenommen von der Mindestbesteuerung sollen nach aktuellem Informationsstand im Wesentlichen die regulierte Finanzindustrie, die Rohstoffindustrie, Schifffahrtsunternehmen, Investitionsfonds, Pensionsvermögen, Wohlfahrtsfonds, öffentliche Unternehmen, gemeinnützige und internationale Organisationen sein.

DB: Wie soll die Bemessungsgrundlage aussehen? Sind Ausnahmen vorgesehen?

Dehne: Das Inclusive Framework* hat entschieden, dass bei einem multilateralen Konzept die jeweilige nationale steuerliche Bemessungsgrundlage ausscheidet, stattdessen einheitlich auf international akzeptierte Rechnungslegungsstandards, wie IFRS oder US-GAAP, abzustellen ist. Damit diese Rechnungsgrundlagen der Besteuerung zugrunde gelegt werden können, sind umfangreiche Anpassungen notwendig. So ist für die Mindestbesteuerung nach Pillar Two eine Bereinigung von „permanenten Differenzen“ zwischen den Rechnungslegungsstandards und der steuerlichen Bemessungsgrundlage vorgesehen, wie sie sich etwa aus Intra Group Dividenden, aus Anteilsverkäufen oder dem sog. Push Down-Accounting nach Akquisitionen ergeben. Ferner sollen die sog. „Timing differences“ eliminiert werden, die etwa aus steuerlichen Sonderabschreibungen oder steuerlichen Verlustvorträgen entstehen. Die Schwierigkeiten liegen im Detail. So entstehen bei konzerninternen Reorganisationen bislang ungelöste Probleme, weil der Begriff der Reorganisation global noch nicht einheitlich definiert ist und es wegen der unterschiedlichen nationalen Regeln für die Steuerneutralität zu einer Mindestbesteuerung ohne Liquiditätszufluss kommen kann.

Für die Mindeststeuer („Pillar Two“) wurden substanzbasierte Ausnahmen gefordert. Gewährt wurde aber nur ein „Carve Out” für solche Gewinne, die sich aufgrund einer formelbasierten Berechnung aus einer Lohn- und einer Assetkomponente (ohne immaterielle Wirtschaftsgüter!) ergeben. Weitere Vereinfachungsoptionen gibt es beispielsweise durch optionale Country by Country Safe harbor rules und „de minimis Profit-Rules“.

DB: Sind bei der notwendigen internationalen Kooperation sowohl auf Ebene der Finanzverwaltung als auch auf Ebene des Konzerns (MNE’s) nicht schon Streitigkeiten vorprogrammiert?

Dehne: Den existierenden Regeln des internationalen Steuerrechts wird eine weitere multilaterale Komplexitätsebene „aufgepropft“. Zunehmende Streitigkeiten durch die Vielzahl der beteiligten Staaten und Rechtssubjekte sind damit vorprogrammiert. Dies gilt zunächst einmal für die Gewinnallokationsregeln. Verlangt nur ein Staat nach einer Betriebsprüfung mehr, müssen sich – da die Allokation nicht an der Transaktion, sondern am Globalgewinn ansetzt – automatisch die Bemessungsgrundlagen in allen anderen Staaten, die von der Allokation betroffen sind, verringern und zudem muss eine Überschneidung mit den existierenden Fremdvergleichsregeln verhindert werden, um eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu vermeiden. Es wird vorgeschlagen, dass für die gesamte Gruppe nur ein Unternehmen auftreten und für die beteiligten Staaten ebenfalls nur ein Land benannt werden soll („One-Stop-Shop“).  Zudem wird von der OECD ein multilateraler Vertrag mit bindenden und neuartigen Streitlösungsmechanismen vorgeschlagen. Allerdings sind die äußerst komplexen Probleme in den OECD-Berichten zwar angesprochen, aber noch nicht gelöst worden.

Bei Pillar Two besteht zum anderen das Problem darin, dass die Staaten die vorgeschlagenen Konkurrenzregeln, die eine Mehrfachbesteuerung vermeiden sollen, präzise umsetzen müssen. So gibt es z.B. Kollisionen mit der Mindeststeuer, die nach den Income Inclusion Rules und die nach den „Undertaxed payment Rules“ erhoben werden sollen, und nationalen Steuern, wie zum Beispiel der deutschen Hinzurechnungssteuer oder GILTI- und BEAT-Taxes in den USA. Das Inclusive Framework ist bei den Kollisionsregeln sehr ins Detail gegangen und scheint diese auch weitgehend gelöst zu haben. Da diese Regeln aber einen hohen Detaillierungsgrad aufweisen und es schließlich 136 Staaten sind, die dem Konzept zugestimmt haben, muss jeder Staat die Vorschläge aber technisch präzise umsetzen. Es bräuchte eigentlich ein multilaterales Kontrollinstrument für das jeweilige nationale Gesetz, mit dem die Umsetzungstreue des jeweiligen Gesetzgebers kontrolliert werden darf. Ein diesbezüglicher Vorschlag ist bislang den OECD-Beschlüssen nicht zu entnehmen, denn multilateral soll nur die STTR eingeführt werden.

DB: Welchen Rat haben Sie für die konzernweite Dokumentation, damit möglichst wenige Reibungspunkte mit den Behörden entstehen?

Dehne: Bei der Mindestbesteuerung sollte der Prozess zwar international koordiniert aber letztlich konzernweit Top-down gesteuert werden. Ausgehend von einer Betroffenheitsanalyse, in der die effektiv niedrig besteuerten Gesellschaften unter Berücksichtigung der „Carve Outs“ identifiziert werden, sollten in einem zweiten Schritt die Kollisionsregeln berücksichtigt werden und damit im Konzern die Gesellschaften definiert werden, die erhöhte Quellensteuern, eine UTPR-Tax oder eine IIR Top Up Tax zu zahlen haben. Dies bedingt die Analyse der Transaktions- und Zahlungsströme. Sodann müssen die „Covered Taxes“ pro legal entity ermittelt werden. Der Prozess und die Dokumentation bauen damit auf den „Carve Out“-Regeln und den Konkurrenzregeln auf. Die Dokumentation für die globale Gewinnaufteilung gem. Pillar One ist ungleich komplexer.

DB: Letzte Frage: Wie wird eigentlich der deutsche Fiskus von dieser Reform profitieren?

Dehne: Auf den deutschen Fiskus wird Druck durch Pillar One ausgelöst, da Deutschland als Exportnation Steuersubstrat an die Marktstaaten abgeben muss. Da nach den letzten Beschlüssen die Begrenzung auf Digitalunternehmen fallen gelassen wurde, sind deutsche Konzerne betroffen und der Druck hat sich vergrößert.

Der Gewinn durch die Mindeststeuer durch Pillar Two dürfte begrenzt sein. Es sind solche Fälle auszuscheiden, die unter das AStG fallen, des Weiteren ist der Routinegewinn nach der Loan/Asset Ratio nicht zu erfassen und es sind erhöhte Quellensteuern auf die Top Up Tax anzurechnen. Etliche Niedrigsteuerländer werden sich dem Druck beugen und die effektive Steuer auf 15 % erhöhen. Es ist schwer vorstellbar, dass die verbleibende Mindeststeuer die Nachteile durch Pillar One ausgleichen kann.

DB: Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

 

*Inclusive Framework = Oberste technische und politische Instanz für die Behandlung der Empfehlungen des BEPS-Projekts und die Fortführung der diesbezüglichen Arbeiten. Ihm gehören inzwischen fast 140 Staaten und Gebiete an.


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

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