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01.11.2021

Interview

EU-Taxonomie: Deutlich mehr als nur ein Transparenzinstrument

Die Europäische Kommission hat kürzlich den European Green Deal vorgestellt. Das Ziel: Klimaneutralität bis 2050. Um die Ausrichtung und Finanzierung des Green Deal zu unterstützen, sollen Finanzströme in ökologisch nachhaltige Aktivitäten umgeleitet werden. Hierzu wurde die ‚EU Sustainable Finance Taxonomie‘ entwickelt, ein Klassifizierungssystem zur Definition „ökologisch nachhaltiger“ Geschäftsaktivitäten.
Dr. Matthias Schmidt, Senior Manager im Bereich Sustainability Assurance bei Deloitte Legal und Dr. Lothar Rieth, Leiter Nachhaltigkeit bei EnBW, erklären, welche neuen Berichtspflichten mit der EU-Taxonomie einhergehen und berichten über die gemeinsame Fallstudie mit EnBW.

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Der Betrieb

DB: Wie kam es zur EU Sustainable Finance Taxonomie und welche Ziele verfolgt die EU genau?

Rieth: Die Weltgemeinschaft hat sich durch das Pariser Klimaabkommen im Jahr 2015 verpflichtet, die Erderwärmung im 21. Jahrhundert auf deutlich unter zwei Grad, nach Möglichkeit auf nicht mehr als 1,5 Grad, zu begrenzen. Zu diesem Zweck soll der weltweite CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 bis 95 % verringert werden, was einer weitgehenden Dekarbonisierung der Weltwirtschaft entspräche.

Die Erreichung dieser Klimaziele – aber auch weiterer Nachhaltigkeitsziele – wird auf EU-Ebene durch den European Green Deal und den ‚EU Action Plan on Financing Sustainable Growth‘ intensiv verfolgt: Im Jahr 2050 soll Europa klimaneutral sein. Neben einer Vielzahl an Einzelmaßnahmen sollen insbesondere die Treibhausgasemissionen bis 2030 – vorbehaltlich der finalen Einigung zwischen Europäischem Parlament und EU-Kommission – um mindestens 55 % gegenüber 1990 gesenkt werden.

Zur Finanzierung sollen die Mittel von insgesamt 1,8 Bio. Euro aus dem EU-Haushalt 2021-2027 und dem EU-Konjunkturprogramm ‚Next Generation EU‘ zu ca. 30 % zur Begrenzung des Klimawandels fließen. Das mit 672,5 Mrd. Euro größte Programm unter den EU-Konjunkturhilfen hat eine verpflichtende Quote für Klimamaßnahmen von 37 %. Zusätzlich sollen private Kapitalströme von 180 bis 290 Mrd. Euro pro Jahr in nachhaltige Investitionen bzw. Verwendungen umgeleitet werden. In der Taxonomie-Verordnung werden die folgenden sechs Umweltziele verfolgt:

  1. Klimaschutz
  2. Anpassung an den Klimawandel
  3. Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen
  4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung
  6. Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme

DB: Welche neuen Berichtspflichten bringt die EU-Taxonomie mit sich, und für wen sind diese besonders relevant?

Schmidt: Unternehmen, die zur nichtfinanziellen Berichterstattung verpflichtet sind, müssen erstmals gemäß EU-Taxonomie für das Jahr 2021 Angaben zu ‚ökologisch nachhaltigen‘ Umsatzerlösen, Investitionen (Capex) und Betriebsaufwendungen (Opex) machen. Geschäftsaktivitäten sind „ökologisch nachhaltig“ im Sinne der Taxonomie-Verordnung, wenn sie

  1. einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz bzw. zur Anpassung an den Klimawandel leisten (Substantial Contribution) – nachgewiesen durch Einhaltung bestimmter Kriterien (Technical Screening Criteria), die nicht Bestandteil der EU-Taxonomie-Verordnung sind, sondern in nachgeordneten delegierten Rechtsakten vorgelegt werden,
  2. die Erreichung der vier weiteren EU-Umweltziele nicht erheblich beeinträchtigen (Do No Significant Harm, DNSH, ebenfalls konkretisiert in den nachgeordneten delegierten Rechtsakten) und
  3. Mindestschutz für Arbeitssicherheit und Menschenrechte einhalten (minimum safeguards, Mindestschutz).

 

DB: Durch die Berichtspflicht werden also erstmals finanzielle und nichtfinanzielle Informationen zwingend miteinander verknüpft. Welche Vorteile bringt das?

Schmidt: Die neuen Taxonomie-Berichtspflichten über ‚ökologisch nachhaltige‘ Umsatzerlöse, Capex und Opex sind durch die erstmals zwingende Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Finanzberichterstattung geeignet, die Aussagekraft und Vergleichbarkeit der Berichterstattung zu erhöhen. Sie werden relevant für den Kapitalmarkt sein, als Grundlage für Investitionsentscheidungen, aber auch zur Erfüllung eigener Berichtspflichten von Investoren.

In erster Linie sollen diese Angaben institutionelle Investoren befähigen, private Geldströme in ‘ökologisch nachhaltige‘ Verwendungen umzulenken. Ferner soll auch Greenwashing durch diese Investoren vermieden werden, z.B. wenn Finanzprodukte als „nachhaltig“ beworben werden, ohne dass dies dem tatsächlichen Investmentansatz vollumfänglich entspricht. Bei solchen Produkten werden Investoren künftig den Umfang der ökologischen Nachhaltigkeit i.S.d. EU-Taxonomie angeben müssen.

DB: Ab wann gelten die neuen Vorgaben?

Schmidt: Der Anteil der nach der EU-Taxonomie als ‚ökologisch nachhaltig‘ anzusehenden Umsatzerlöse, Investitionsausgaben (Capital Expenditures – Capex) und Betriebsausgaben (Operational Expenditures – Opex) nach Art. 8 Abs. 2 Taxonomie-VO ist nach Auffassung der EU-Kommission erstmals für Geschäftsjahre anzugeben, für die die entsprechende Berichterstattung am oder nach dem 01.01.2022 aufgestellt wird (Art. 27 Abs. 2 lit. a Taxonomie-VO).

Für das Jahr 2021 sind die entsprechenden Angaben für Aktivitäten zu machen, die wesentlich zum Klimaschutz bzw. zur Anpassung an den Klimawandel beitragen, siehe Umweltziele 1 und 2. Für das Jahr 2022 sind die entsprechenden Angaben auch für wesentliche Beiträge zu den vier weiteren EU-Umweltzielen zu machen.

DB: Welche Faktoren sind für die erfolgreiche Umsetzung der Taxonomie aus Ihrer Sicht entscheidend?

Rieth: Das Projekt zur Umsetzung der Taxonomie umfasst seitens der Unternehmen eine fachliche und systemseitige Komponente: Erstens die Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit von Aktivitäten, u. a. die Identifikation relevanter Aktivitäten, die Beurteilung von deren Taxonomie-Konformität, Einholung von Nachweisen etc. und zweitens die Überführung der Nachhaltigkeitsbewertung in Finanzkennzahlen, u. a. die Bestandsaufnahme von Systemen und Prozessen für die jeweilige interne Datenerhebung der Taxonomie-konformen Kennzahlen je Geschäftsaktivität.

DB: Mit wie viel Vorlaufzeit bei der Umsetzung rechnen Sie?

Schmidt: Die ordnungsgemäße Umsetzung erfordert ausreichend Zeit und die Einbeziehung von unternehmensinternen Expert:innen über die Nachhaltigkeitsabteilung hinaus. Insbesondere die für die unternehmensinterne Erfassung von Umsatzerlösen, Capex und Opex zuständige Abteilung – in der Regel das Controlling oder Rechnungswesen – sollte einbezogen werden. Es sollten durchaus sechs Monate eingeplant werden, ggf. zuzüglich Puffer, da die Analyse der Taxonomie-Konformität zusätzlich zum Tagesgeschäft durchgeführt werden muss und das Projektteam auf die Zuarbeit einer Vielzahl von Fachexperten aus den Unternehmensabteilungen angewiesen ist.

DB: Worum geht es in Ihrer Fallstudie mit EnBW?

Rieth: Die Verkündung des EU Green Deal hat dem Gesamtthema Sustainable Finance und der Arbeit der Technical Expert Group on Sustainable Finance (TEG) einen weiteren Schub verliehen. Die EnBW war über ihren CFO, Thomas Kusterer, an der Arbeit der TEG beteiligt. Die EnBW unterstützt mit ihrer Strategie EnBW 2025 und ihrem Klimaneutralitätsansatz das Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Nettoemissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und damit klimaneutral zu werden.

Es entspricht dem Selbstverständnis der EnBW, sich für eine transparente integrierte und auch effiziente Berichterstattung einzusetzen. Daher haben wir uns freiwillig für eine frühzeitige Umsetzung der EU-Taxonomie entschieden, um diesen Prozess mit zu gestalten. Seit 2018 gibt die EnBW ‚Grüne Anleihen‘ aus. Mit diesen beschaffen wir die benötigten finanziellen Mittel für die in der Unternehmensstrategie angestrebte nachhaltige Transformation am Kapitalmarkt. Der geplanten ‚EU Green Bond Standard‘ (GBS) wird hier weitere Impulse liefern.

DB: Was sind für EnBW dabei die größten aber auch spannendsten Herausforderungen?

Rieth: Die komplexe Lebenszyklusanalyse der CO2-Intensität je Anlage, geprüft durch einen externen Dritten. Zum Teil auch in der Praxis ungebräuchliche Kriterien wie beispielsweise die Leistungsdichte bei Wasserkraftwerken. Aber auch insgesamt die fehlende Abdeckung aller Aktivitäten des EnBW-Portfolios durch die EU-Taxonomie-Verordnung und den dazugehörigen delegierten Rechtsakt bergen etliche Herausforderungen.

DB: Die Erhebung der relevanten Taxonomie-konformen EnBW-Geschäftsaktivitäten findet in zwei Phasen statt. Welche sind das, und worin liegen die Vorteile bei diesem Vorgehen?

Rieth: Es gilt insgesamt auf Basis der bestehenden Systeme Prozesssicherheit zu gewinnen. Einerseits bei der Bewertung der Aktivitäten des eigenen Portfolios, und andererseits die nachvollziehbare und mit bestehenden Definitionen und Konzepte im Einklang stehende Übersetzung dieser Analyse in Finanzkennzahlen: in Umsatzerlöse, Opex, Capex und in unserem Fall auch in Ebitda. Wir haben diese Pilotierung durchgeführt, um zu zeigen, dass die Anforderungen grundsätzlich darstellbar sind, aber auch gleichzeitig auf Optimierungspotenziale bei beiden Teilschritten aufzuzeigen.

DB: Wie könnte die EU-Taxonomie vor dem Hintergrund der von der EU verfolgten Ziele sinnvoll inhaltlich und methodisch weiterentwickelt werden?

Rieth: Die Anforderungen bezüglich der Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) sollten angepasst werden, da Fälle denkbar sind, in denen zulässigerweise keine UVP stattgefunden hat, aber dennoch nachgewiesen werden kann, dass keine erhebliche Beeinträchtigung der EU-Umweltziele droht. Die aktuell vorgesehenen Grenzwerte von 100 g CO2e/kWh können Fehlanreize setzen, sodass Investitionen in Aktivitäten – beispielsweise in Gaskraftwerke –, die für den Übergang in eine dekarbonisierte Wirtschaft unerlässlich sind, erschwert werden.

Um eine realistische Umsetzung durch Unternehmen zu ermöglichen, sollten, soweit möglich, Standardreferenzwerte für Lebenszyklusemissionen vorgesehen werden, statt einer Pflicht zur Analyse einzelner Anlagen.  Eine Einbeziehung von Übergangs- bzw. Transitionsaktivitäten mit ambitionierten, aber realistischen Grenzwerten würde helfen, diesen notwendigen Dekarbonisierungspfad signifikant auch kurz- und mittelfristig zu beschleunigen. Auch ist für die erfolgreiche Umsetzung der Taxonomie entscheidend, dass bei der Festlegung der technischen Kriterien und Schwellenwerte darauf geachtet wird, was heute technisch möglich und wirtschaftlich machbar ist.

DB: Welche Aspekte sind bei der Weiterentwicklung der EU-Taxonomie zu berücksichtigen, damit diese möglichst rasch Akzeptanz bei Unternehmen und bei den eigentlichen Nutzern, den Finanzmarktakteuren erfährt?

Schmidt: Zur abschließenden Einschätzung der praktischen Berichterstattung, Prüfung und Nutzung der Taxonomie-Angaben kommt es entscheidend auf den angekündigten delegierten Rechtsakt zur Konkretisierung der Berichtspflichten an. Die derzeit vorliegenden Überlegungen sehen eine nicht gerechtfertigte Granularität der Angaben vor – mit Angaben je Aktivität, Umweltziel und vielem mehr.

DB: Vielen Dank Ihnen beiden für die Einblick und das spannende Interview!


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro

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