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21.02.2020

Interview

Coronavirus: Rechtliche Auswirkungen für Unternehmen

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Der Betrieb

Das Coronavirus ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in deutschen Unternehmen angekommen. Plötzlich stehen arbeitsrechtliche Fragen, aber auch Probleme rund um Liefer- und Leistungsbedingungen im Raum. Was in China tätige Unternehmen beachten sollten, erklärt Thomas Weidlich, China-Experte und Partner bei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Köln.

DB: Herr Weidlich, wieso ist das Coronavirus überhaupt ein Thema für deutsche Unternehmen?  Weidlich: „China ist sehr eng mit dem Rest der Welt verbunden. Eine Schätzung der finanziellen Schäden fällt momentan noch schwer, aber Analysten rechnen mit einem Rückgang des chinesischen Wirtschaftswachstums irgendwo im Bereich von 1 – 2 %, d.h. 2020 könnte es nur ein Wachstum von weniger als 5 % geben. Auch viele ausländische Unternehmen sind stark von der Epidemie betroffen. Umfragen verschiedener Industrie- und Handelskammern zufolge erwarten mehr als die Hälfte der befragten deutschen Unternehmen Lieferengpässe oder Umsatzeinbußen. Weltweit sind Lieferketten in der Automobilindustrie, im Maschinenbau und vielen anderen Sektoren betroffen.“

DB: Welche konkreten Auswirkungen auf Liefer- und Leistungsbeziehungen sind denkbar?

Weidlich: „China ist nach Europa und den USA zudem der wichtigste Absatzmarkt für deutsche Exporte, deutsche Unternehmen werden die Folgen also deutlich spüren. Die Autoverkäufe in China sind im Januar bereits um 20 % eingebrochen, auch Fluggesellschaften und Logistikunternehmen gehen von Schäden in Milliardenhöhe aus. Firmen wie Volkswagen haben ihren Mitarbeitern bis zum 17. Februar Home Office verordnet, Geschäftsreisen stark eingeschränkt und den Produktionsstart in ihren chinesischen Werken auch über die staatlich verordneten Zwangsferien hinaus verschoben. Diese Unterbrechung der Produktion führt zu Lieferausfällen. Noch immer stehen viele Fabriken still oder sind von einem regulären Betriebsablauf noch weit entfernt, es fehlt häufig an Komponenten – entweder aufgrund der Produktionsausfälle oder logistischer Schwierigkeiten. Man kann schon jetzt sagen, dass die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus im In- und Ausland deutlich gravierender sein werden als durch SARS. Für die Weltwirtschaft gehen erste Analysen von einer Wirtschaftsdelle zwischen 0,5 und 2 % aus, je nachdem wie lange es bis zur Eindämmung des Virus noch dauern wird.“

DB: Und was für Rechtsfolgen für die Unternehmen hat das? Wie sieht es mit Schadensersatz aus?

Weidlich: „In der aktuellen Situation fragen sich viele Unternehmen, ob sie – oder ihr Vertragspartner – leisten müssen oder sich ggf. schadensersatzpflichtig machen. Maßgeblich sind zunächst die vertraglichen Vereinbarungen. Hier ist immer zu prüfen, welches Recht zwischen den Geschäftspartnern eigentlich gilt, deutsches oder chinesisches Recht. Wichtig ist in jedem Fall, ob der Vertrag eine Force Majeure-Klausel enthält und welchen genauen Inhalt diese hat. Anderenfalls kommen ggf. die gesetzlichen Regelungen zum Tragen.

Allgemein gilt: die höhere Gewalt oder Störung der Geschäftsgrundlage – in China heißt es: Änderung der objektiven Umstände – muss nach Abschluss des Vertrags, aber vor dem vertraglichen Erfüllungszeitpunkt (Lieferung, Fertigstellungstermin) eingetreten sein und noch anhalten.

Der Ausbruch des Coronavirus ist eine Epidemie und damit grundsätzlich ein Fall höherer Gewalt. Im deutschen und im chinesischen Recht wird höhere Gewalt als ein von außen kommendes Ereignis verstanden, das bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war sowie unvermeidbar und unüberwindbar ist. Epidemien zählen neben Krieg, Naturkatastrophen und dergleichen allgemein als Fälle höherer Gewalt. In China wurde durch den Beschluss des Staatsrats vom 24.01.2020 zudem klargestellt, dass es sich bei der Epidemie des neuartigen Coronavirus um höhere Gewalt handelt. Enthält ein Vertrag eine Force Majeure-Klausel, so ist allerdings zu prüfen, ob höhere Gewalt dort unter Umständen anders definiert wird, insbesondere ob eine abschließende Nennung von Fällen höherer Gewalt erfolgt. Auch wenn die Virus-Epidemie als Fall höherer Gewalt eingestuft wird, bedeutet dies nicht, dass sie die Ursache für jedwede Leistungsverweigerung wäre und sich jeder Schuldner darauf berufen könnte. Pauschale Antworten gibt es hier leider nicht. In jedem Fall ist der Vertragspartner rechtzeitig über die Situation zu informieren, um diesen vor Folgeschäden zu schützen. Das chinesische Recht verlangt zudem innerhalb einer angemessenen Frist die Vorlage eines Nachweises, wie z.B. eine Bescheinigung des chinesischen Außenhandelsverbands CCPIT.“

DB: Besteht nicht einfach die Möglichkeit zur Kündigung des Vertrags?

Weidlich: „Unternehmen sollten sehr vorsichtig sein, bevor sie einen Vertrag kündigen. Eine Nacherfüllung ist dann nicht mehr möglich und es kommt häufig zu einer schwierigen und möglicherweise unvorteilhaften Rückabwicklung. Oft sind auch beide Parteien von den Lieferschwierigkeiten betroffen, sodass es sinnvoll sein kann, gemeinsam eine konstruktive und praktikable Lösung zu finden.

Eine häufige Streitfrage in der Praxis ist, ob die vertragliche Ware oder Leistung nicht kurzfristig anderweitig am Markt beschafft werden kann. Hier stellen sich regelmäßig Fragen der Zumutbarkeit und wann infolge nicht vorhersehbarer Umstände ein so großes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht, dass dem Schuldner unter Berufung auf eine ‚Störung der Geschäftsgrundlage‘ ein Festhalten am Vertrag nicht mehr möglich ist. Die chinesischen Gerichte sind hier relativ großzügig und werden sich hinsichtlich des Coronavirus vermutlich auf die Ansichten des Obersten Volksgerichts (OVG) von 2003 betreffend SARS beziehen. Das OVG hatte damals Auslegungsrichtlinien zum Vorliegen von ‚höherer Gewalt‘ und ‚grundlegenden Veränderungen der Umstände‘ erlassen. Beobachter gehen davon aus, dass es auch dieses Mal solche Ansichten des OVG geben wird.“

DB: SARS und das Coronavirus lassen den Schluss zu, dass dies nicht die letzten Epidemien sind, mit denen sich auch die Wirtschaft auseinandersetzen muss. Haben Sie Tipps für die Formulierung von Klauseln, die ermöglichen, flexibel auf die sich ändernden, noch ungewissen Umstände zu reagieren?

Weidlich: „Wer heute einen Vertrag in Kenntnis der durch das Coronavirus ausgelösten Probleme abschließt, übernimmt im Zweifel das Risiko, den Vertrag dann auch erfüllen zu müssen. Eine Berufung auf höhere Gewalt wird dann regelmäßig nicht mehr möglich sein, falls dies im Vertrag nicht ausdrücklich ausbedungen wurde. Unternehmen sollten sich sorgfältig überlegen, ob Sie Leistungsversprechen vor dem Hintergrund der Epidemie auch tatsächlich einhalten können. Auf den Einzelfall zugeschnittene Klauseln, die es den Parteien ermöglichen, flexibel auf die sich ändernden und noch ungewissen Umstände zu reagieren, sind ratsam. Aus Lieferantensicht sollte man insbesondere an einen Mechanismus zur Verlängerung von Lieferfristen bei Änderung möglichst konkret bestimmter Annahmen und die ausdrückliche Aufnahme einer Höchstgrenze für Schadensersatz denken.“

DB: Blicken wir noch kurz ins Arbeitsrecht – auch dort gibt es ja gravierende Auswirkungen …

Weidlich: „Das Epizentrum der Epidemie liegt in Wuhan und auch andere Millionenstädte in der Provinz Hubei stehen vollständig unter Quarantäne. Auch in anderen Provinzen Chinas bestehen weiterhin einschränkende Reiseregeln. Zudem können viele Arbeitnehmer aufgrund der Reisebeschränkungen nach den Ferien zum Frühlingsfest nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren oder sind zur Prävention im Home Office. Auch in unserem Shanghaier Büro arbeiten die KollegInnen teilweise noch von zuhause.“

DB: Dürfen Arbeitgeber derzeit Dienstreisen nach China anordnen?

Weidlich: „Anders als in China hält das deutsche Recht hier keine speziellen Regelungen vor, aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ergeben sich aber doch bestimmte Pflichten. So muss der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen bei Dienstreisen beachten. Generell gilt, dass sich kein Arbeitnehmer einer Lebensgefahr aussetzen muss. Im Moment sollten am besten nur noch unvermeidliche Reisen nach China angeordnet werden und geprüft werden wie gefährlich die aktuelle Situation für entsandte Mitarbeiter vor Ort in China ist. Epidemien liegen wie andere Krisen grundsätzlich allerdings in der Risikosphäre des Arbeitgebers, der dann auch die Kosten für die Rückreise von Mitarbeitern zu tragen hat.“

DB: Was ist zu tun, wenn ein Arbeitnehmer die Arbeit verweigert, weil er eine Ansteckung im Betrieb durch chinesische Kollegen oder Dienstreisen generell befürchtet?

Weidlich: „Die Fürsorgepflicht des Arbeitsgebers verbietet es ihm, seine Arbeitnehmer in Gefahr zu bringen. Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die Provinz Hubei und rät von nicht notwendigen Reisen in das übrige Staatsgebiet der Volksrepublik China, mit Ausnahme von Hongkong und Macao, ab. Aufgrund dieser Reisewarnung sind einem Arbeitnehmer nicht zwingend notwendige Dienstreisen nach China aktuell wohl nicht zumutbar. Deutsche Arbeitnehmer können sich aber beispielsweise nicht weigern, den Arbeitsplatz aufzusuchen oder auf Veranstaltungen zu gehen, weil dort auch Chinesen anwesend sein könnten.  Falls sie dies trotzdem ohne begründete Sorge tun, kann eine Arbeitsverweigerung vorliegen. Allerdings kann meistens erst eine beharrliche Arbeitsverweigerung eine fristlose Kündigung rechtfertigen.“

DB: Und wenn es tatsächlich den Verdacht einer Infektion mit dem Coronavirus im Betrieb gibt, was ist dann zu tun?

Weidlich: „Ein begründeter Verdacht einer Infektion besteht laut Robert-Koch-Institut, wenn eine Person mit respiratorischen Symptomen Kontakt zu einem bestätigten Fall mit dem neuartigen Coronavirus hatte, oder wenn eine Person, bei der der Verdacht besteht, dass die unteren Atemwege betroffen sind, sich zuvor in Wuhan oder in einem anderen Risikogebiet aufgehalten hat. In diesen Fällen sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden, der dann eine Laboruntersuchung auf das neuartige Coronavirus veranlasst. Der Arzt ist bei einem begründeten Verdacht verpflichtet, umgehend das Gesundheitsamt zu informieren.

Der Arbeitgeber hat allgemein die Pflicht Maßnahmen zu ergreifen, um ein Infektionsrisiko anderer Mitarbeiter auszuschließen. In China gibt es derzeit eine Vielzahl nationaler und lokaler Regelungen zur Prävention, die ebenso wie die Quarantänevorgaben und Meldepflichten streng befolgt werden sollten.“

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.


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