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12.09.2025

Rechtsboard

„Urlaub wurde in natura gewährt“ – besser tatsächlich unter Palmen als nur auf dem Papier

In Erfurt (und Luxemburg) meint man es ernst, wenn es um die Sicherung von Urlaubsansprüchen geht. Mit seinem jüngsten Urteil vom 03.06.2025 (9 AZR 104/24) zur Wirksamkeit von Tatsachenvergleichen fügt das BAG seiner Rechtsprechung zum Urlaubsrecht eine weitere Nuance hinzu, mit der es erneut die hohe Bedeutung und den besonderen Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs betont und einer bislang gängigen Praxis zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen weitgehend den Riegel vorschiebt. In diesem Sinne birgt die Entscheidung aus Erfurt zwar keine wesentlichen neuen Erkenntnisse, dient aber dem Rechtsanwender als weitere Mahnung, selbst vermeintliche Standardfloskeln nicht einfach unhinterfragt zu verwenden, sondern sich bei jedem Vergleichsschluss von neuem kritisch mit der Rechtslage auseinanderzusetzen.

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RAin Michaela Massig
ist Senior Associate bei Allen Overy Shearman Sterling LLP in Frankfurt/M.

Der Sachverhalt

Der Kläger war seit Jahresbeginn 2023 durchgehend arbeitsunfähig. Im gerichtlichen Vergleich wurde das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2023 beendet, eine Abfindung gezahlt und festgehalten, „Urlaubsansprüche [seien] in natura gewährt”. Obwohl die Klägerseite noch vor und während des Vergleichsschlusses auf die Unwirksamkeit eines Urlaubsverzichts hingewiesen hatte, nahm sie das Angebot an. Nach der Beendigung verlangte der Arbeitnehmer die Abgeltung von sieben Urlaubstagen. Die Beklagte hielt die Urlaubsansprüche aufgrund des Vergleichs für erledigt. Jedenfalls müsse sich der Kläger den Einwand treuwidrigen Verhaltens nach § 242 BGB entgegenhalten lassen.

Die Entscheidung

Das BAG hat – wie die Vorinstanzen – dem Anspruch des Klägers auf Abgeltung seines nicht erfüllten Teilurlaubs aus 2023 gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG entsprochen. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei auch nicht durch den Vergleich erloschen. Die Regelung, wonach der Urlaub „in natura gewährt“ worden sei, stelle einen unzulässigen Ausschluss des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG dar und sei daher gemäß § 134 BGB nichtig. Der gesetzliche Schutzzweck würde unterlaufen, wenn Urlaubs- oder Abgeltungsansprüche während des bestehenden Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung ausgeschlossen werden könnten.

Ein entgeltlicher oder gar unentgeltlicher Verzicht auf gesetzlichen Mindesturlaub während des laufenden Arbeitsverhältnisses – sei es durch Erlassvertrag oder negatives Schuldanerkenntnis – sei nach § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) ausgeschlossen. Das gelte auch, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits feststehe, aber noch nicht rechtlich vollzogen sei. Erst nach rechtlicher Beendigung könne über den Abgeltungsanspruch wirksam verfügt werden.

Zulässig bleibe hingegen ein Vergleich über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Urlaubs- oder Abgeltungsanspruchs. Ein solcher setze jedoch zwingend tatsächliche Unsicherheiten über die Anspruchsvoraussetzungen voraus. Davon konnte indes keine Rede sein: Der Kläger war beim Vergleichsschluss im gesamten Jahr 2023 arbeitsunfähig erkrankt. Es stand bereits fest, dass er bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gesunden würde, sodass keine Zweifel am Bestehen des Urlaubsanspruchs aufkommen konnten. Ein Tatsachenvergleich war daher ausgeschlossen.

Auch der Einwand treuwidrigen Verhaltens nach § 242 BGB griff nicht. Die Rechtsordnung sanktioniere widersprüchliches Verhalten nur, wenn ein schutzwürdiges Vertrauen geschaffen wurde. Da der Kläger bereits vor und während des Vergleichs auf die Unwirksamkeit hingewiesen hatte, konnte die Arbeitgeberin kein schutzwürdiges Vertrauen entwickeln.

Konsequenzen für die Praxis

Die Regelung, wonach Urlaub „in natura gewährt“ werde, gehört zum Standardrepertoire des Arbeitsrechtlers und findet sich in einer unüberschaubaren Anzahl an Vergleichen. In den wenigsten Fällen dürfte dabei über die Frage der Urlaubsabgeltung ernsthafte Unklarkeit bestanden haben.

Mit dem Urteil erschwert das BAG daher nun eine gängige Praxis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Urlaubsansprüche vermeintlich unkompliziert durch einen Tatsachenvergleich zu erledigen.

Der rechtliche Rahmen ist abgesteckt:

Ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub ist – anders als beim vertraglichen Mehrurlaub – auch im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs unzulässig. Wird der Vergleich vor dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses geschlossen, bleibt der Mindesturlaubsanspruch bestehen. Erst nach Beendigung kann – dann allerdings über den auf Zahlung gerichteten Abgeltungsanspruch – wirksam verfügt werden.

Was folgt also für den Rechtsanwender?

Zuallererst – und über die vorliegende Konstellation hinaus: Kein blindes Vertrauen auf „althergebrachte Formulierungen“, sondern stets kritisches Hinterfragen.

Ein „Weiter so!” verbietet sich: Das Risiko, dass sich Arbeitnehmer künftig auf die Unwirksamkeit des Tatsachenvergleichs berufen könnten, ist aufgrund des vorliegenden Urteils ganz enorm. Ernsthafte Unsicherheit über den tatsächlichen Urlaubsanspruch dürfte in der Praxis äußerst selten vorkommen.

Was also tun?

  • Urlaub tatsächlich in natura gewähren: Soweit möglich, sollte stets der Versuch unternommen werden, noch offene Urlaubsansprüche tatsächlich zu gewähren, etwa im Wege einer unwiderruflichen Freistellung.
  • Das richtige Timing: Eine Abgeltung des Resturlaubs ist zulässig – aber ausschließlich nach rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Womöglich kann der Abschluss des Vergleichs zeitlich so gesteuert werden, dass die Beendigung bereits eingetreten ist.
  • Differenzieren: Die strengen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Mindesturlaub. Ansprüche auf vertraglichen Mehrurlaub können hingegen ohne weiteres im Vergleichswege abgegolten werden.
  • Einpreisen: Hilft alles nichts, bleibt nur, den Urlaub im Vergleich auch tatsächlich ausdrücklich in Geld abzugelten. Die Abfindung kann entsprechend gemindert werden. Die bloße Anrechnung auf die Abfindung verbietet sich, zum Leidwesen des Arbeitnehmers: Die Urlaubsabgeltung ist – anders als die Abfindungszahlung – sozialversicherungspflichtig.
  • Sorgfältig dokumentieren: Stets ist klar zu dokumentieren, ob und in welchem Umfang Urlaub tatsächlich genommen wurde. Nur so lässt sich eine spätere Urlaubsabgeltung vermeiden.

Für Arbeitgeber heißt das: Wer beim Mindesturlaub keine Sorgfalt aufwendet und auf Standardformulierungen setzt, riskiert nicht nur ein Déjà-vu vor Gericht, sondern auch unnötige Kosten.

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