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19.08.2025

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Spannende EuGH-Vorlage des BFH – Kapitalertragsteuer im Drittstaatenkontext auf dem Prüfstand

Die aktuelle Vorlage des BFH (VIII R 21/22, DB 2025 S. 2064) an den EuGH zur Besteuerung von Dividenden an Drittstaatengesellschaften wirft zentrale Fragen des europäischen und deutschen Steuerrechts im internationalen Unternehmenskontext auf. Die Entscheidung könnte weitreichende Auswirkungen auf die steuerliche Behandlung von Dividendenzahlungen an außerhalb der EU ansässige Muttergesellschaften haben und potenziell erhebliche Rückerstattungsansprüche auslösen.

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StB Cindy Slominska, M.A. (Taxation),
ist Associate bei POELLATH in München

I.             Rechtliche Einordnung

Die Vorlage ist besonders relevant, da sie eine Fragestellung betrifft, die viele internationale Konzerne berührt: Ist es mit dem Unionsrecht vereinbar, dass Drittstaatengesellschaften auf der deutschen Kapitalertragsteuer „sitzenbleiben“, während inländische oder EU-/EWR-Gesellschaften diese erstattet oder angerechnet bekommen? Der EuGH soll hierzu Klarheit schaffen, denn die Grundfreiheiten des Unionsrechts, darunter die Kapitalverkehrs- und Niederlassungsfreiheit, sichern den freien wirtschaftlichen Austausch innerhalb der EU, wobei allein die Kapitalverkehrsfreiheit auch im Verhältnis zu Drittstaaten Anwendung findet.

II.            Sachverhalt

Klägerin ist eine in Japan ansässige Kapitalgesellschaft, die zwischen 2009 und 2011 sämtliche Anteile an einer deutschen GmbH hielt. Die deutsche Tochtergesellschaft schüttete in diesem Zeitraum Dividenden an die japanische Muttergesellschaft aus. Nach Art. 10 Abs. 2 DBA Deutschland–Japan durfte Deutschland eine Kapitalertragsteuer von 15% erheben, die auch einbehalten wurde.

Zum 01.04.2009 änderte Japan sein Steuerrecht: Dividenden aus ausländischen Tochtergesellschaften wurden zu 95% von der Besteuerung freigestellt. Dadurch konnte die japanische Muttergesellschaft die deutsche Kapitalertragsteuer nicht mehr auf ihre japanische Steuer anrechnen und blieb auf der deutschen Steuer sitzen.

Während inländische und EU-/EWR-Muttergesellschaften die deutsche Kapitalertragsteuer anrechnen oder erstatten lassen können, wurde der japanischen Gesellschaft dies verwehrt. Sie sah darin eine unionsrechtswidrige Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit und beantragte die Erstattung. Das FG lehnte dies ab und argumentierte, die Kapitalverkehrsfreiheit werde durch die vorrangige Niederlassungsfreiheit verdrängt, die Drittstaatengesellschaften nicht zustehe. Der BFH ließ die Revision zu und legte dem EuGH mehrere Fragen vor.

III.           Vorlagefragen

Der BFH legt mehrere offene Rechtsfragen vor, die sich im Kern um die Anwendbarkeit und Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit drehen. Insbesondere bestehen Zweifel, ob die im Streitfall erhobene deutsche Kapitalertragsteuer auf Dividenden mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Der BFH möchte vom EuGH im Wesentlichen wissen:

Greift die Kapitalverkehrsfreiheit oder wird sie durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt?
Liegt eine durch Deutschland verursachte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs vor, wenn eine Drittstaatengesellschaft die deutsche Kapitalertragsteuer aufgrund eigener nationaler Regelungen nicht anrechnen oder erstattet bekommen kann?
Falls ja: Kann diese Beschränkung durch legitime Ziele wie die Kohärenz des Steuersystems oder die Aufteilung der Besteuerungsrechte gerechtfertigt werden?
Dürfen nationale Vorschriften die Erstattung von besonderen Nachweispflichten abhängig machen?
Die Antwort des EuGH wird klären, ob Deutschland künftig verpflichtet sein könnte, Drittstaatengesellschaften in dieser Hinsicht wie EU-Gesellschaften zu behandeln.

IV.          Erläuterungen und Auffassung des BFH zu den Vorlagefragen

1.            Anwendungsbereich der Grundfreiheiten

Zentrale Frage ist, ob im vorliegenden Fall die Kapitalverkehrsfreiheit oder die Niederlassungsfreiheit anwendbar ist, denn nur die Kapitalverkehrsfreiheit gilt auch für Gesellschaften aus Drittstaaten.

Der BFH hält fest, dass die Beteiligung der Klägerin an der GmbH und die darauf erhobene deutsche Kapitalertragsteuer grundsätzlich in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fallen können. Nach der EuGH-Rechtsprechung kann eine schlechtere steuerliche Behandlung von Dividenden an ausländische Gesellschaften nämlich Investitionen behindern.

Allerdings könnte auch die Niederlassungsfreiheit einschlägig und ggf. vorrangig sein, wenn es sich um Beteiligungen handelt, die es erlauben, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Tochtergesellschaft auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen.

Der EuGH hat beschrieben, dass bei neutralen Steuerregelungen in der Regel die Kapitalverkehrsfreiheit maßgeblich ist. Dies ist der Fall, wenn das Gesetz nicht zwischen Beteiligungen, die einen sicheren Einfluss vermitteln, und kleinen Beteiligungen unterscheidet, was im vorliegenden Fall zutreffen dürfte.

Allerdings kommt es auch immer auf den genauen Kontext an: Im konkreten Fall ist eine Mindestbeteiligung von 25% erforderlich, damit Japan die Dividenden steuerlich zu 95% freistellt. Nur aufgrund der Voraussetzung einer Mindestbeteiligung von 25% kann die deutsche Kapitalertragsteuer nicht angerechnet werden und wird zur endgültigen Belastung.

Der BFH hält daher die Niederlassungsfreiheit für vorrangig anwendbar und sieht die Kapitalverkehrsfreiheit als verdrängt an. Nach seiner Auffassung, gestützt auf frühere EuGH-Rechtsprechung, könnte eine Beteiligung von 25% einen sicheren Einfluss auf die Tochtergesellschaft vermitteln, was den Vorrang der Niederlassungsfreiheit begründen kann. Bei geringeren Beteiligungen (unter 25%) stellt sich die Situation nämlich anders dar: In diesen Fällen könnte Japan die deutsche Steuer vollständig anrechnen, sodass keine endgültige steuerliche Belastung entsteht. Ausschlaggebend ist somit, dass die Anrechnung der deutschen Steuer nur in den Fällen ins Leere geht, in denen eine Einflussbeteiligung vorliegt.

Ein weiterer wichtiger Punkt für den BFH ist, dass die Klägerin eine vollständige Entlastung von der Kapitalertragsteuer anstrebt. Im Ergebnis begehrt sie damit eine entsprechende Behandlung wie innerhalb der EU. Solche vollständigen Steuerbefreiungen innerhalb der EU beruhen jedoch auf der Niederlassungsfreiheit. Sie ermöglichen den freien „Marktzugang“ für Unternehmen, die sich in einem anderen EU-Staat niederlassen. Aus Sicht des BFH fällt dieser Anspruch daher nicht mehr in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit.

2.            Hat Deutschland die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit verursacht?

Wenn die Kapitalverkehrsfreiheit anwendbar sein sollte, könnte die grenzüberschreitende Besteuerung von Dividenden eine Beschränkung darstellen. Denn gebietsansässige Muttergesellschaften erhalten bei Dividenden von inländischen Tochtergesellschaften steuerliche Begünstigungen, die Drittstaaten-Muttergesellschaften nicht in gleicher Weise zustehen. Eine solche unterschiedliche Behandlung könnte eine Beschränkung der auch im Verhältnis zu Drittstaaten geltenden Kapitalverkehrsfreiheit darstellen, sofern sie nicht durch ein DBA ausgeglichen wird.

Der BFH hat jedoch Zweifel, ob Deutschland diese Beschränkung verursacht. Denn sie beruht auf einer Änderung der japanischen und nicht der deutschen Rechtslage: Erst seit dem 01.04.2009 gilt in Japan unter bestimmten Voraussetzungen eine Steuerbefreiung von 95% der Dividenden, wodurch die Anrechnung der deutschen Quellensteuer in Japan faktisch entfällt, obwohl die Anrechnungsmöglichkeit nach dem DBA grundsätzlich vorgesehen ist. Für die Klägerin entsteht dadurch eine definitiv höhere Steuerbelastung als bei einer inländischen Muttergesellschaft. Der EuGH hat bislang nicht zu derartigen Drittstaatenfällen entschieden, weshalb eine Vorabentscheidung erforderlich ist.

3.            Rechtfertigungsmöglichkeiten

Die Vorlagefragen des BFH betreffen außerdem die Rechtfertigung etwaiger Beschränkungen der Grundfreiheiten. Als Rechtfertigungsgründe kommen die Kohärenz des Steuersystems oder die Aufteilung der Besteuerungsrechte in Betracht.

Aus Sicht des BFH ist die definitive Erhebung der Kapitalertragsteuer Bestandteil der zwischenstaatlichen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse gemäß Art. 10 DBA Japan. Eine vollständige Entlastung in Deutschland würde zudem zu einer einseitigen Begünstigung führen, da Japan seinerseits keine vergleichbare Entlastung für deutsche Muttergesellschaften gewährt.

Des Weiteren hält der BFH eine nicht durch ein DBA ausgeglichene Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit für zulässig, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, was hier der Fall sein könnte. In Betracht kommt insbesondere die Sicherstellung der einmaligen Vollbesteuerung. In Deutschland wird dies erreicht, indem Dividenden an inländische Muttergesellschaften zu 95% steuerfrei gestellt werden, sodass durch die Kombination aus Körperschaftsteuer auf Gesellschaftsebene und Besteuerung des letzten Anteilseigners eine einmalige Vollbesteuerung sichergestellt wird.

Die definitive Kapitalertragsteuer auf Dividenden an eine japanische Muttergesellschaft stelle eine solche Einmalbesteuerung sicher und sei daher eine legitime Ausübung des deutschen Besteuerungsrechts. Anders als im EU-Binnenmarkt bestehe gegenüber Japan keine Pflicht zu einseitigen Steuererleichterungen; die Verteilung der Besteuerungsrechte zwischen beiden Staaten sei laut BFH somit gerechtfertigt und verhältnismäßig.

4.            Anforderungen an Erstattungsnachweise

Ein weiterer Aspekt betrifft die Frage, ob Deutschland die Erstattung, falls sie unionsrechtlich geboten ist, von zusätzlichen Nachweisen abhängig machen darf. Dies könnte in der Praxis zu erheblichen Hürden führen. Der BFH hält dies für zulässig, verweist jedoch auf die EuGH-Rechtsprechung, in der Nachweispflichten gegenüber EU-Gesellschaften abgelehnt wurden. Ob dies auch für Drittstaatengesellschaften gilt, ist bislang nicht abschließend geklärt.

V.           Fazit und Ausblick

Die Entscheidung des EuGH wird über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung für viele internationale Unternehmensgruppen haben. Sollte der EuGH eine unionsrechtswidrige Beschränkung feststellen, könnte dies den Weg für Rückerstattungen eröffnen, insbesondere für Muttergesellschaften aus Drittstaaten, die Dividenden aus Deutschland beziehen. Die finanzielle Tragweite für den Fiskus könnte erheblich sein. Es ist jedoch zu betonen, dass sich der BFH in seiner Vorlage deutlich dagegen ausgesprochen hat. Wie der EuGH letztlich entscheidet, bleibt mit Spannung abzuwarten.

Für Unternehmensgruppen mit internationalen Beteiligungsstrukturen empfiehlt es sich, den Fortgang des Verfahrens genau zu beobachten und mögliche Erstattungsansprüche frühzeitig zu prüfen. Sollte der EuGH zugunsten der Klägerin entscheiden, könnte schnelles Handeln erforderlich sein, um Verjährungsfristen zu wahren.

Offen bleibt auch, ob der EuGH Deutschland dazu verpflichten würde, Drittstaatengesellschaften in jedem Fall gleichzustellen, oder ob er die Möglichkeit offenlässt, strengere Nachweispflichten zu verlangen. Sollte Letzteres der Fall sein, könnte die praktische Durchsetzung von Erstattungsansprüchen weiterhin herausfordernd bleiben.

Zudem bleibt mit Spannung abzuwarten, ob der EuGH dazu Stellung nehmen wird, wie in Fällen zu verfahren ist, in denen der Drittstaat eine vollständige Steuerbefreiung für Dividendeneinkünfte entweder an keine Mindestbeteiligung oder an eine Mindestbeteiligung von unter 25% knüpft.

Abschließend lässt sich festhalten, dass auch im umgekehrten Fall, wenn eine deutsche Muttergesellschaft Dividenden aus einer Tochtergesellschaft in Japan erhält, keine vollständige Freistellung von der Quellensteuer erfolgt. Dies gilt sowohl nach dem geltenden DBA als auch im Hinblick auf unionsrechtliche Vorgaben oder nationale Regelungen des jeweiligen Drittstaates. Eine einseitige Beseitigung der Steuerbelastung ohne eine spiegelbildliche Regelung für die Gegenrichtung würde zu einer asymmetrischen Begünstigung führen, die schwer zu rechtfertigen wäre.

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