Sachverhalt
Die beklagte Arbeitgeberin betrieb eine Gaststätte in München, bei welcher der klagende Arbeitnehmer als Kellner im Rahmen einer Aushilfstätigkeit beschäftigt war. Neben seinem Gehalt erhielt der Kläger ein arbeitstägliches Trinkgeld in Höhe von etwa 100 €. Die Beklagte zog dem Kläger pro Schicht ein Gläsergeld von pauschal 2 € ab. Ferner überließ die Beklagte dem Kläger Dienstkleidung gegen Zahlung einer Kaution von 95 €. Dabei fielen dem Kläger pro Arbeitstag Reinigungskosten i.H.v. 8 € an.
Im Sommer 2021 versuchte der Kläger gemeinsam mit weiteren Beschäftigten die Initiierung einer Betriebsratswahl. Nach dem Aushang der Einladung zur Wahlversammlung kam es zu erheblichen Repressalien durch die Beklagte: Zunächst entfernte deren Betriebsleiter den Kläger aus der betrieblichen WhatsApp-Gruppe, danach teilte sie den Kläger nicht mehr zu Diensten ein. Zwar bot der Kläger seine Arbeitsleistung explizit an, die Beklagte verweigerte aber zunächst die weitere Beschäftigung. Als sie den Kläger dann zu Diensten in der Küche einteilte, weigerte dieser sich, weil die Tätigkeit nicht vertragsgerecht sei. Überdies forderte er Gehaltsnachzahlungen.
Im April 2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis schließlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Nachdem über das Vermögen der beklagten Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, begehrte der Kläger neben seinem Kündigungsschutzantrag u.a. auch die Zahlung von ausstehendem Lohn, Annahmeverzugslohn nebst Ersatz für die Möglichkeit zu vergünstigten Speisen und Getränken und Schadensersatz zur Insolvenztabelle. Als Rechtfertigung für die Kündigung führte die Beklagte die Arbeitsverweigerung und ein unentschuldigtes Fehlen des Klägers an. Zudem verwies sie auf das junge Alter des Klägers, seine Kinderlosigkeit und die Form der geringfügigen Beschäftigung, weshalb er „nicht unbedingt auf die Einkünfte angewiesen“ sei. Der Kläger warf ihr daraufhin Altersdiskriminierung vor. Das ArbG entsprach nur dem Kündigungsschutzantrag. In der Berufung beim LAG beantragte er zusätzlich, die Beklagte zu einer schriftlichen Entschuldigung zu verurteilen.
Die Entscheidung
Das LAG München gab der Berufung des Klägers hingegen in weiten Umfängen statt (LAG München, Teilurteil vom 16.4.2025 und Schlussurteil vom 4.6.2025 – 11 Sa 456/23). Zunächst sei das Gläsergeld zu Unrecht vom Gehalt des Klägers abgezogen worden. Ein pauschaler Abzug sei mit den Grundsätzen der Arbeitnehmerhaftung nicht zu vereinbaren, sondern nur zulässig, wenn die Chance bestehe, auch eine höhere Vergütung zu erzielen. Weiter stehe dem Kläger Aufwendungsersatz für die Reinigung der Dienstkleidung gem. §§ 675, 670 BGB zu, da diese zwingend aus hygienischen Gründen getragen werden müsse.
Für die Jahre 2020 bis 2021 stehe dem Kläger ferner ein Annahmeverzugslohn von etwa 25.000 € brutto zu. Da die Arbeitszeitgestaltung durch Einteilung in Dienstpläne erfolgte, sei ein Angebot zur Erbringung der Arbeitsleistung von Seiten des Klägers entbehrlich gewesen. Neben dem Annahmeverzugslohn sei die fehlende Möglichkeit zur Inanspruchnahme von Sachbezügen wie vergünstigter Speisen und Getränke einzubeziehen. Hierin liege gleichermaßen eine Leistung mit Entgeltcharakter.
Vor allem stehe dem Kläger ein Schadensersatzanspruch i.H.v. ca. 65.000 € aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 20 Abs. 2 BetrVG zu. Die fehlende Einteilung zum Dienst seit seiner Initiative zur Errichtung eines Betriebsrates stelle eine Maßregelung i.S.d. § 612a BGB sowie eine Behinderung der Betriebsratswahl dar. Der Schaden erfasse zum einen den Verdienstausfall auf Basis des jeweils geltenden Mindestlohns, zum anderen entgangene Sachbezüge und Trinkgelder.
Zuletzt – und dies steht neben der Gesamtsumme der Zahlungsansprüche heraus – verpflichtete das LAG die Beklagte, sich beim Kläger schriftlich für ihre Äußerungen zu seinen persönlichen Lebensumständen im Zusammenhang mit der Kündigung zu entschuldigen. In Ermangelung einer grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits wurde die Revision nicht zugelassen.
Bewertung
Auf den ersten Blick fällt naturgemäß die Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes ins Auge, die bei genauerem Hingucken indes aufgrund der Vielzahl an geltend gemachten Ansprüchen gar nicht mehr so absurd erscheint. Kündigungsrechtlich war der Sachverhalt letztlich ebenfalls nicht wirklich spektakulär; ein besonderer Kündigungsschutz des Klägers als Vorfeldinitiator einer Betriebsratswahl nach § 15 Abs. 3b KSchG lag nicht vor, da dieser scheinbar die notwendige notarielle Erklärung nicht abgeben und keine ausreichenden Vorbereitungshandlungen unternommen hatte (siehe dazu jüngst den Aufsatz von Sura, DB 2024 S. 3032).
Die Verurteilung zur Abgabe einer schriftlichen Entschuldigung als Schadensersatz darf wiederum durchaus als Novum betrachtet werden. Zur Begründung kann sich das LAG auf die jüngste Rechtsprechung des EuGH stützen (Urteil vom 4.10.2024 – C-507/23 – Patērētāju tiesību aizsardzības centrs), nach der eine Entschuldigung als „immaterielle Naturalrestitution“ geeignet sein kann, Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu kompensieren. Nicht nur ein finanzieller Ausgleich, sondern auch symbolische Akte wie eine öffentliche oder schriftliche Entschuldigung können demnach zum Ausgleich eines immateriellen Schadens taugen. Zwar kann gemäß dem Gerichtshof eine intrinsische Entschuldigung wohl durchaus anspruchsmindernd berücksichtigt werden. Es darf jedoch bezweifelt werden, ob eine Entschuldigung nur aufgrund eines Urteils tatsächlich zur Naturalrestitution geeignet ist.
Überraschend erscheint, dass das LAG München die Revision nicht zugelassen hat. Zwar ist das Gericht nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung – insbesondere zur Frage des Annahmeverzugs – abgewichen. Die Zulassung der Revision lag allerdings nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG nahe: Zum einen war entscheidungserheblich und zur Rechtsfortbildung von grundsätzlicher Bedeutung, ob § 20 Abs. 2 BetrVG ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ist. Zum anderen ist höchstrichterlich nicht entschieden, ob eine – unfreiwillige –Entschuldigung als Mittel der Naturalrestitution in Betracht kommt.