1. Bürokratieabbau
Teil 1: Erleichterung von Formerfordernissen
Plan: Geplant ist der Abbau von Schriftformerfordernissen im Arbeitsrecht, etwa für Befristungen. Zudem sieht der Koalitionsvertrag auch eine generelle Reform der Formvorschriften der §§ 126 ff. BGB vor.
Einordnung: Das Vorhaben ist zu begrüßen, da das Schriftformerfordernis die Digitalisierung und die Beschleunigung von HR-Prozessen erheblich hemmt – vor allem für Arbeitgeber, deren Zentralfunktionen im Ausland angesiedelt sind. Der organisatorische Aufwand wird hier deutlich reduziert. Auch wenn der Koalitionsvertrag insoweit nicht konkret wird, dürfte – wegen der Nennung von § 14 Abs. 4 TzBfG – damit zu rechnen sein, dass Befristungen zukünftig in Textform (z. B. per E-Mail) vereinbart werden können. Mit einer Lockerung des Schriftformerfordernisses etwa für Kündigungen dürfte indes nicht zu rechnen sein.
Teil 2: Bestellung von Betriebsbeauftragten
Plan: Bis Ende des Jahres 2025 soll für kleinere und mittlere Unternehmen die Verpflichtung zur Bestellung von Betriebsbeauftragten abgeschafft und der Schulungs- Weiterbildungs- und Dokumentationsaufwand signifikant reduziert werden.
Einordnung: Die Abschaffung von Betriebsbeauftragten wird sich wohl nicht substanziell auf die Bestellung von Datenschutzbeauftragten auswirken, weil die DSGVO diese zwingend vorsieht. Mit einer Abschaffung der Verankerung im BDSG stünde aber etwa der Sonderkündigungsschutz auf dem Prüfstand.
2. Mindestlohn
Plan: Die Koalitionsparteien halten einen Mindestlohn von 15 € im Jahr 2026 für erreichbar. Die Mindestlohnkommission werde sich an der „Tarifentwicklung“ sowie an „60% des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten“ orientieren.
Einordnung: Die Politisierung der Mindestlohndebatte durch Nennung eines „Zielwerts“ für das Jahr 2026 ist bedenklich, weil sie die unabhängige Position der Mindestlohnkommission schwächt. Der Mindestlohn sollte der Entwicklung der tariflich vereinbarten Löhne folgen und gerade nicht selbst als Lohntreiber fungieren. Zudem erscheint die Orientierung an dem 60%-Wert aus der Mindestlohnrichtlinie äußerst fragwürdig. Der Generalanwalt hat die Richtlinie jüngst als nichtig eingestuft. Hier ist ein EuGH-Verfahren anhängig, dessen Ausgang noch abzuwarten bleibt.
3. Arbeitszeit
Teil 1: Elektronische Arbeitszeiterfassung
Plan: Der Koalitionsvertrag deklariert, dass die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten „unbürokratisch“ geregelt werden soll und plant „angemessene Übergangsregelungen“ für kleine und mittlere Unternehmen.
Einordnung: Für größere Unternehmen ist demnach keine Übergangslösung vorgesehen. Die Regelung einer elektronischen Zeiterfassung ruft den Betriebsrat auf den Plan (s. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Offen ist, ob das System zur Arbeitszeiterfassung frei gewählt werden kann oder die Pflicht an Dritte delegiert werden kann. Entsprechende Forderungen der CDU/CSU fanden keinen Eingang in den Koalitionsvertrag.
Teil 2: Wöchentliche Höchstarbeitszeit
Plan: Die täglichen Höchstarbeitszeiten sollen durch wöchentliche Höchstarbeitszeiten ersetzt werden können. Hierzu soll ein Dialog mit den Sozialpartnern durchgeführt werden.
Einordnung: Die Arbeitszeitrichtlinie begrenzt die wöchentliche Höchstarbeitszeit (mit einigen Ausnahmen) auf 48-Stunden pro 7-Tage-Zeitraum. Mittelbar ist die tägliche Höchstarbeitszeit durch eine tägliche Ruhezeit von 11 Stunden vorgegeben. Eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ermöglicht einen flexibleren Zuschnitt der Arbeitszeit und ist damit grundsätzlich zu begrüßen. Unklar ist, ob wöchentliche Höchstarbeitszeiten etwa – wie von der SPD gefordert – nur auf Basis von Tarifverträgen gelten können.
Teil 3: Vertrauensarbeitszeit
Plan: Vertrauensarbeitszeit soll „im Einklang mit der Arbeitszeitrichtlinie“ weiter ohne Arbeitszeiterfassung möglich sein.
Einordnung: Dies ist zu begrüßen, weil auf diese Weise in bestimmten Arbeitsbereichen die gebotene Flexibilität gewahrt wird. Es bleibt abzuwarten, in welchen Grenzen die Vertrauensarbeitszeit möglich sein wird. Gibt es eine freie Wahlmöglichkeit? Wird die Vertrauensarbeitszeit in bestimmten Beschäftigungssektoren ausgeschlossen sein?
4. Zuschläge für Mehrarbeit
Plan: Zuschläge für Mehrarbeit über die Vollzeitarbeit hinaus sollen künftig steuerfrei sein. Vollzeitarbeit entspricht bei tariflichen Regelungen einer Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, im Übrigen mindestens 40 Stunden.
Einordnung: Interessant wird sein, wie dies ohne eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten umgesetzt werden kann (vgl. BAG vom 05.12.2024 – 8 AZR 370/20, DB 2025 S. 1016). Zu erwarten ist jedenfalls, dass der Gesetzgeber hier Querverbindungen zur Arbeitszeiterfassung herstellen wird, um Missbrauch vorzubeugen. In der Praxis könnten sich neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, etwa durch eine Anhebung von Mehrarbeitszuschlägen anstelle der Anpassung der Grundvergütung. Dieser Weg könnte gerade bei Gutverdienern, deren Überstunden bislang oft nicht vergütet werden, Anwendung finden.
5. Entgelttransparenz
Plan: Die Entgelttransparenz-RL soll umgesetzt werden. Konkrete Rahmenbedingungen legt der Koalitionsvertrag nicht fest. Stattdessen soll eine Kommission bis Ende 2025 Vorschläge für eine bürokratiearme Umsetzung entwickeln.
Einordnung: Eine bürokratiearme Umsetzung ist zu begrüßen. Der angedachte Zeitplan ist jedoch ambitioniert: Bis Juni 2026 muss die Richtlinie umgesetzt sein. Der konkrete Inhalt ist durch die Richtlinie jedenfalls vorgezeichnet: Hiernach erhalten Arbeitnehmer weitgehende Informationsrechte, die Arbeitgeber innerhalb von 2 Monaten erfüllen müssen und unabhängig von der Betriebsgröße gelten. Zudem werden sanktionsbewehrte Reporting-Pflichten jedenfalls für Arbeitgeber mit mehr als 100 Arbeitnehmern begründet werden (müssen). Daneben sieht die Richtlinie erhebliche Beweiserleichterungen für Arbeitnehmer vor, deren Auswirkung auf kollektivrechtliche Regelung unklar ist.
6. Betriebliche Mitbestimmung und Digitalisierung
Plan: Die Mitbestimmung soll weiterentwickelt werden. Konkreter wird der Koalitionsvertrag nicht. Im Übrigen soll digitalisiert werden, etwa durch die Ermöglichung von Online-Betriebsratssitzungen, Online-Betriebsversammlungen sowie Online-Betriebsratswahlen.
Einordnung: Was unter „Weiterentwicklung“ zu verstehen ist, bleibt völlig offen. Eine Ausweitung der Mitbestimmung, wie von der SPD gefordert, findet sich nicht im Koalitionsvertrag. Es ist nicht auszuschließen, dass die Aussage zur Weiterentwicklung im direkten Kontext zur Ermöglichung der genannten Online-Formate zu lesen ist. Die Digitalisierung der Betriebsratsarbeit ist begrüßenswert und dürfte vor allem Kosten auf Arbeitgeberseite senken.
7. Tarifrecht und Umgang mit Gewerkschaften
Teil 1: Bundestariftreuegesetz
Plan: Geplant ist die Schaffung eines Bundestariftreuegesetzes. Während der letzte „Ampel“-Entwurf den relevanten Schwellenwert auf 25.000 € taxierte, sieht der Koalitionsvertrag nun 50.000 € (für Startups in den ersten vier Jahren bei 100.000 €) vor. Das Vorhaben soll mit einem absoluten Minimum an Bürokratie, Nachweispflichten und Kontrollen umgesetzt werden.
Einordnung: Der Koalitionsvertrag lässt jedwede Details dazu vermissen, ob echte Tarifbindung erforderlich ist oder die Anwendung branchenspezifischer Tarifverträge – wie im früheren „Ampel“-Entwurf vorgesehen – genügt. Ebenso offen ist, welche Anforderungen an die „Tariftreue“ im Falle von konkurrierenden Gewerkschaften gestellt werden und wie dies mit § 4a TVG in Einklang zu bringen sein wird. Die höheren Schwellenwerte wirken zunächst wie eine Lockerung, relativieren sich aber im Vergleich zur ursprünglichen CDU-Forderung (250.000 €). Positiv ist das Ziel einer möglichst bürokratiearmen Umsetzung.
Teil 2: Digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften
Plan: Ein digitales Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb, welches dem analogen Zugangsrecht gleichgestellt ist, soll eingeführt werden.
Einordnung: Hierbei dürfte es sich um eine Reaktion auf die Entscheidung des BAG vom 28.01.2025 (1 AZR 33/24) handeln, die ein digitales Zugangsrecht bislang verneint. Was genau dieses vorsehen wird, ist offen. Denkbare Maßnahmen wie die Verpflichtung von Arbeitgebern zur Herausgabe dienstlicher E-Mail-Adressen der Mitarbeitenden oder zur Programmierung eines Links im Intranet, der auf die Homepage der Gewerkschaft verbindet, sind datenschutzrechtlich wohl unzulässig und damit rechtlich angreifbar.
Teil 3: Steuerliche Anreize zur Gewerkschaftsmitgliedschaft
Plan: Geplant ist die Schaffung steuerlicher Anreize für Gewerkschaftsmitgliedschaften.
Einordnung: Diese Maßnahme könnte womöglich tatsächlich zur Erhöhung der Tarifbindung beitragen. Jedenfalls wird – auch insoweit – auf staatliche Intervention, hier in Form der Anreizschaffung, gesetzt, statt auf die Eigenverantwortung der Tarifpartner, ihre Attraktivität zu steigern.
8. Arbeiten nach Renteneintritt
Plan: Nach Erreichen des Renteneintrittsalters soll bei freiwilligem Weiterarbeiten ein monatlicher Verdienst bis zu 2.000 € steuerfrei bleiben. Zudem soll das Vorbeschäftigungsverbot aufgehoben werden, um befristetes Weiterarbeiten zu ermöglichen.
Einordnung: Dieses Vorhaben dürfte geeignet sein, ältere Arbeitnehmer zur (ggf. teilzeitreduzierten) Fortsetzung ihrer Tätigkeit zu incentivieren und so den Fachkräftemangel zu lindern. Für Arbeitgeber ist die Maßnahme auch deshalb zu begrüßen, weil wertvolles Know-How erhalten bleibt.