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21.04.2025

Interview

Präsenz statt Pixel: Virtuelle Hauptversammlungen unter Druck

Robert Peres, Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre, spricht über die zunehmende Kritik an virtuellen Hauptversammlungen, prominente Gegenbewegungen und warum eine echte Mitbestimmung der Aktionäre gerade jetzt entscheidend ist.

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Robert Peres

Die Hauptversammlungssaison hat begonnen, in der aktuell vor virtuelle Hauptversammlungen zunehmend kritisiert werden – nicht nur von Kleinaktionären, sondern auch von institutionellen Investoren. Rechtsanwalt Robert Peres, Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre, erklärt, warum der Widerstand wächst, welche Folgen das für die HV-Saison 2025 haben könnte und welche Lösungen jetzt gefragt sind.

DB: Kürzlich sorgten Turbulenzen bei Siemens und Tui für Schlagzeilen, deren Vorstände es durch widerspenstige Aktionäre nicht geschafft hatten, die notwendige Dreiviertelmehrheit zur Durchführung künftiger weiterer Online-HVs zu erzielen. Könnten diese prominenten Beispiele nun Schule machen – und sind im Verlauf der HV-Saison 2025 weitere solcher Fälle zu erwarten?

Robert Peres: Die prominenten Beispiele von Siemens und TUI könnten durchaus Schule machen, indem sie Aktionäre sensibilisieren und mobilisieren. In der HV-Saison 2025 sind weitere Konflikte wahrscheinlich, vor allem bei Unternehmen, die auf virtuellen Formaten beharren, ohne die Aktionäre ausreichend einzubinden oder zu überzeugen. Vorstände von Aktiengesellschaften mögen Vorhersehbarkeit. Was sie nicht mögen: wenn ihre Anträge abgelehnt werden, bzw. wie im Fall der virtuellen Hauptversammlung, die 75-Prozent-Hürde nicht nehmen. Daher erwarte ich, dass immer mehr Unternehmen zukünftig das Risiko einer verlorenen Abstimmung vermeiden wollen, wenn es sich abzeichnet. Siemens hat wohl schon vorher damit gerechnet, denn man hatte bereits für die HV 2026 die Münchner Olympiahalle angemietet. Besonders einflussreiche Stimmrechtsberater wie ISS, die Siemens explizit zur Rückkehr zu Präsenz-HVs gedrängt hatten, verstärken diesen Trend. Wenn institutionelle Anleger und Kleinaktionäre sehen, dass solche Abstimmungen erfolgreich gekippt werden können, könnte auch dies eine Welle der Nachahmung auslösen.

DB: Auch unter den Investoren regt sich zunehmend deutlicher Widerstand gegen das Format der virtuellen Hauptversammlung – warum ist das der Fall?

Robert Peres: Besonders für kleinere Anleger ist die Hauptversammlung ein „Hochamt“. Einmal im Jahr kommt man Vorstand und Aufsichtsrat nah, kann Fragen stellen und sich untereinander austauschen. Sowas kann man nicht in den digitalen Raum verlegen. Wie wäre es denn, wenn der Bundestag nur noch virtuell tagen würde? Man würde zurecht von Demokratieverlust sprechen. Auch Investmentgesellschaften wie Union Investment und Deka sprechen sich grundsätzlich gegen digitale Aktionärstreffen aus. Ingo Speich von Deka Investments etwa nennt sie „blutleer“, da sie den lebendigen Austausch vermissen lassen – und da kann man nur zustimmen.

DB: Verständlich, dass das seit Sommer 2022 geltende Gesetz zur virtuellen Hauptversammlung aus Sicht von Aktionärsschützern ebenfalls in der Kritik steht …

Robert Peres: Genau. Vor der Pandemie war die Hauptversammlung in Präsenz der Standard, ja zwingend vorgeschrieben. Auf Wunsch der Unternehmen, insbesondere der Vorstandsebenen, hat der Gesetzgeber 2022 die virtuelle HV ermöglicht, sofern sie von den Eigentümern in die Satzung aufgenommen wird und in regelmäßigen Abständen, von zwei bis fünf Jahren, erneuert wird. Wie bereits erwähnt verhindert ein reines „Vorstands-TV“ die Interaktion und beraubt die Aktionäre vieler ihrer Mitwirkungsrechte. Dazu gehört beispielsweise das Frage- und Antragsrecht. Viele Unternehmen haben sich im Vorfeld die Fragen der Aktionäre einreichen lassen und diese dann schriftlich beantwortet und Rückfragen nur nach eigenem Ermessen in der virtuellen Veranstaltung gestattet. Das hat viele Investoren verärgert. Beispiel Deutsche Bank: nach viel Kritik ging das Geldhaus auf seine Kritiker zu und erlaubt nun, anders als in den beiden Jahren zuvor, das Stellen von jeder Frage in der Hauptversammlung. Eine Vorabeinreichung der Fragen ist nicht mehr nötig. Man sieht also, dass öffentliche Kritik durchaus zum Umdenken führt. Vielleicht führt das in den kommenden Jahren zu einer Abkehr der digitalen Treffen.

DB: Warum hat sich in den letzten Jahren die überwiegende Mehrheit der Unternehmen überhaupt gegen die Präsenzversammlung entschieden, die ja vor der Corona-Pandemie überall Standard war?

Robert Peres: Die Unternehmen – vertreten durch ihre Vorstände – eben keine Überraschungen. Die oft vorgebrachten Begründungen wie Nachhaltigkeit und Kostenersparnis sind Scheinargumente. In Wirklichkeit möchte man negative Schlagzeilen und öffentliche Kritik vermeiden. Zunächst sind die größeren Investoren den Weg mitgegangen. Die wichtigsten, also große institutionelle Anleger, Versicherungen, Banken und Fonds, haben sich üblicherweise im Vorfeld ihre Informationen vom Unternehmen gesichert und geglaubt, damit seien sie auf dem neuesten Stand. Was sie damit aber nicht mitbekommen, ist von woher der Wind im Streubesitz und bei den Stimmrechtsberatern weht. Dazu kommt, dass Situationen in Unternehmen sich rasch ändern können, weil die Marktdynamik heute so stark ist. Insofern ist eine Vorfeldverlagerung eigentlich nur im Interesse des Vorstandes, der glaubt, heikle Momente in der HV umgehen zu können. Aber nun möchte die institutionelle Seite wieder mehr und mehr zur Präsenzversammlung zurück, um auf aktuelle Strömungen reagieren zu können.

DB: Wo liegen Knackpunkte und rechtliche Fallstricke für Kleinanleger?

Robert Peres: Die Fallstricke für Kleinanleger liegen hauptsächlich im informatorischen Bereich. Durch die Einschränkung bei Fragen und Anträgen sind kleinere Anleger oft von einer echten Partizipation ausgeschlossen. Ich weiß, manche Hauptversammlungen sind zeitlich ausgeufert. Aber kann man nicht einmal im Jahr solche demokratischen Mechanismen durchhalten? Auch die immer wieder auftretenden technischen Übertragungsprobleme können nachteilig sein, denn diese werden dem Empfänger zugerechnet. Die virtuelle HV reduziert auch die Nutzung des Beschlussmängelrechts, das Anlegern die Möglichkeit gibt, fehlerhafte Beschlüsse anzufechten und Entscheidungen nachträglich gerichtlich zu kassieren. Insofern stellt die virtuelle HV eine drastische Rechtsverkürzung dar.

DB: Aber wie könnte die perfekte Lösung für Probleme bei der virtuellen Hauptversammlung für alle  aussehen?

Robert Peres: Der Goldstandard wäre die hybride Hauptversammlung. Diese gibt es erfolgreich im Ausland und bei uns praktisch nicht. Ich meine damit die Synthese der verpflichtenden Präsenzversammlung und der Online-Teilnahme mit allen Mitwirkungsmöglichkeiten. Im Vereins- und Genossenschaftsrecht in Deutschland hat der Gesetzgeber diese Möglichkeit geschaffen. Experten wie Professor Heribert Hirte haben mehrfach gefordert, der Gesetzgeber solle die hybride HV vorgeben. Damit kann sich der Anleger aussuchen, wie er teilnehmen möchte. Das ist heutzutage bei sehr vielen Konferenzen und Versammlungen mit großer Beteiligung problemlos möglich.

DB: Warum hat sich dann das Format einer hybriden HV bislang nicht durchsetzen können?

Robert Peres: Die hybride HV hat sich bisher nicht durchgesetzt, da sie nicht im Interesse des Managements ist. Sie schafft in den Augen der Unternehmen doppelten Aufwand mit höherem Risiko. Gleichwohl muss man doch feststellen, dass eine solche Governance-Frage im Sinne der Eigentümer zu lösen sein sollte. Insbesondere, wenn im Unternehmen wichtige Entscheidungen anstehen, man denke an eine Übernahme oder Kapitalerhöhung, sollten zwingend Präsenzveranstaltungen stattfinden. Für die neue Koalition gibt also definitiv Handlungsbedarf im Bereich des Rechtes der Aktiengesellschaften, denn der Status Quo ist nicht befriedigend.

DB: Herr Peres, vielen Dank für das Interview!


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro

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