15.08.2024

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Satzungsdurchbrechung ist Satzungsverletzung

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Prof. Dr. Ulrich Noack

Der Geschäftsführer wird durch Beschluss der Gesellschafterversammlung abberufen – jedoch ist dafür laut Satzung der Aufsichtsrat allein zuständig. Der II. Zivilsenat urteilt: Dieser Beschluss ist anfechtbar, denn die Satzung ist hier verletzt worden (BGH, Urteil vom 16.07.2024 – II ZR 71/23, DB 2024 S. 1875; der Fall hat auch wegen seiner sportpolitischen Bedeutung [Martin Kind vs. Hannover 96 GmbH] einigen Wirbel ausgelöst). Da es sich um einen Fremd-Geschäftsführer handelte, hat dieser allerdings keine Anfechtungsbefugnis. Der Beschluss ist bestandskräftig, der Geschäftsführer wirksam abberufen.

Wieso gelangt ein solcher vermeintlich klarer Fall bis zum Revisionsgericht? Eine Vorinstanz (LG Hannover, Urteil vom 16.08.2022 – 32 O 116/22, NZG 2023 S. 68; das Berufungsgericht [OLG Celle, Beschluss vom 08.09.2022 – 9 U 72/22, NZG 2023 S. 71] ging darauf nicht ein, sondern sah eine Nichtigkeit entsprechend § 241 AktG, was der BGH im ersten Teil seines Urteils verwarf) sah darin eine „zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung“ mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit. Das Phänomen Satzungsdurchbrechung (eine Rechtsfigur ist das nicht; Selentin, NZG 2020 S. 292 [293]) hat wieder einmal für Verwirrung gesorgt, vor allem weil das Wort „zustandsbegründend“ auftaucht. Der (faktische) Zustand, den der satzungsverletzende Beschluss herbeigeführt hat, dürfte darin zu sehen sein, dass der Geschäftsführer nicht mehr amtiert.

Der BGH erkennt dagegen: „Die Beendigung des Organverhältnisses ist kein satzungswidriger Zustand“ (Rn. 46). Und noch deutlicher: Der kompetenzwidrige Abberufungsbeschluss „begründet keinen von der Satzung abweichenden rechtlichen Zustand“ (BGH vom 16.07.2024, a.a.O., Rn. 44, 46, Hervorhebung durch Verf.). Genau darum geht es. Der „rechtliche Zustand“ kann nur als reguläre Satzungsänderung etabliert werden, also mit qualifizierter Mehrheit, Beurkundung und Handelsregistereintragung. Eine Schattenordnung per Beschlusslage, die neben der Satzung existiert, darf es nicht geben (Noack, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 53 Rn. 45). Ansonsten würde der Rechtsverkehr, der auf die Registerpublizität der Satzung vertraut, in die Irre geführt (BeckOGK/Born, GmbHG, § 53 Rn. 65; BGH vom 16.07.2024, a.a.O., Rn. 47 f). Beispiel: Der Gesellschafterbeschluss sieht vor, dass die Abberufung von Geschäftsführern auch durch die Gesellschafterversammlung erfolgen kann (und nicht, wie im Ausgangsfall, laut Satzung vom Aufsichtsrat). Eine solche Regelung (sic!) ist allein als Satzungsänderung möglich. Die unterbliebene Anfechtung führte dann zu keiner Bestandskraft, der Beschluss ist und bleibt nichtig (genauer: nichtig bei fehlender Beurkundung, unwirksam bei fehlender Registereintragung).

Vorliegend wurde allerdings nicht eine Regel in Konkurrenz zur Satzung beschlossen, sondern eine Maßnahme in Widerspruch zur Satzung. Dieser Maßnahmebeschluss (Abberufung) wäre auf Anfechtungsklage hin für nichtig zu erklären. Wird nicht fristgerecht von Anfechtungsbefugten geklagt, bleibt der unangefochtene Beschluss bei Bestand. Der damit einhergehende faktische Zustand ist nicht von Belang; Maßnahme und Folgen dürfen nicht vermengt werden (Born, a.a.O., § 53 Rn. 72 a.E.; bereits Zöllner, in: FS Priester, 2007, S. 879 [888]). Jeder Akt äußert Wirkungen in die Zukunft, weshalb die Abgrenzung so nicht gelingen kann. Überzeugend hat der II. Zivilsenat daher auf den rechtlichen Zustand abgestellt, also die vom Beschluss gewollte normative Ordnung in Abweichung von der Satzung.

Hat mithin das Phänomen der Satzungsdurchbrechung außer Verwirrung noch etwas zu bedeuten? Im Fall regelsetzender satzungswidriger Gesellschafterbeschlüsse sollte man davon absehen, von Satzungsdurchbrechung zu sprechen: nichtig ist nichtig. Im Fall maßnahmentreffender satzungsverletzender Gesellschafterbeschlüsse kann man allerdings fragen, ob die Anfechtung stets durchgeht. Hier wird es – über den Fall des BGH hinaus – interessant: Wenn die Maßnahme durch einen geänderten Satzungstext gedeckt wäre, insbesondere die 3/4-Mehrheit erreicht ist, soll dann dennoch der Beschluss im Anfechtungsprozess kassiert werden? (Insoweit unklar Born, a.a.O., § 53 Rn. 69 einerseits [punktuelle Satzungsdurchbrechung dann „zulässig“], Rn. 70 andererseits [Anfechtbarkeit wegen Satzungsverletzung]). Die Minderheit müsste eine mit qualifizierter Mehrheit durchgesetzte Satzungsänderung akzeptieren, Dritte wären nicht betroffen, die Registerpublizität wegen der Einzelmaßnahme unbeeinträchtigt. Es sprechen gute Gründe dafür, hier das eigentliche Anwendungsfeld der ominösen Satzungsdurchbrechung zu finden (eingehend Leuschner, ZHR 180 [2016] S. 422 [453]; Pöschke, Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in GmbH und AG, 2020, S. 251 ff.). Die Problematik wird sich dann dahin verlagern, dass nicht durch eine Kette von Einzelmaßnahmen der Effekt einer regelnden Satzungsänderung erzielt wird (Selentin, NZG 2020 S. 292 [295 f.]; Noack, GmbHR 1994 S. 349 [354]). Beispiel: Die qualifizierte Mehrheit nimmt immer wieder in Anspruch, Geschäftsführer zu bestellen bzw. abzuberufen, obwohl der Aufsichtsrat gemäß der Satzung dafür zuständig ist.

Fazit: Der BGH hat erstmals klar ausgesprochen, dass es auf den rechtlichen Zustand ankommt, also auf die Regelung, welche der Gesellschafterbeschluss beabsichtigt. Der faktische Zustand, der sich infolge einer Satzungsverletzung ergibt, ist insoweit irrelevant. Das ist zu begrüßen, die Praxis kann sich daran gut orientieren. Nach dieser Rechtsprechung ist also in Übereinstimmung mit neueren Ansätzen in der Literatur (Zöllner, in: FS Priester, 2007, S. 879 ff.) zu fragen: Trifft der fragliche Beschluss eine Maßnahme oder beinhaltet er eine Regel? Im ersten Fall ist die Rechtsfolge grundsätzlich die Anfechtbarkeit, im zweiten Fall ist die Rechtsfolge stets die Nichtigkeit. Ob eine Einzelfallmaßnahme vorliegt oder eine abweichende Regelung intendiert ist, dürfte keine großen Abgrenzungsschwierigkeiten bereiten (zur revisionsrichterlichen Kontrolle BFH, Urteil vom 28.09.2022 – VIII R 20/20, DStR 2022 S. 2606, Rn. 24; anders Selentin, Satzungsdurchbrechungen, 2019, S. 57 f.).


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