Trotzdem werden Lehrkräfte an Musikschulen oder Volkshochschulen noch immer zu großen Teilen als Honorarkräfte, d.h. selbstständig und nicht im Rahmen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, angestellt. Da die meisten Honorarverträge befristet abgeschlossen sind, stellt sich für viele Bildungseinrichtungen – aber auch für die betreffenden Lehrer*innen – mit dem Ende der Sommerferien und dem Beginn des neuen Semesters die Frage, ob eine Fortsetzung der Tätigkeit auf Honorarbasis möglich und/oder sinnvoll ist. Aus diesem aktuellen Anlass soll der vorliegende Beitrag den Inhalt und die Hintergründe des sog. „Herrenberg-Urteils“ darstellen und dabei auch die sich hieraus ergebenden Auswirkungen für die Vertragspraxis beleuchten.
Hintergrund: Gefahr der „Scheinselbstständigkeit“
Die Frage, ob eine Tätigkeit auf selbstständiger Basis oder im Rahmen eines unselbstständigen Beschäftigungsverhältnisses erbracht wird, hat für die Vertragsparteien durchaus wichtige rechtliche, aber auch finanzielle Konsequenzen. Im Unterschied zu einer unselbstständigen Beschäftigung müssen bei einer selbstständigen Tätigkeit insb. keine Lohnsteuer und keine Sozialversicherungsbeiträge – bestehend aus den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen – abgeführt werden.
Für Auftragnehmer begründet die Aussicht darauf, „mehr netto für brutto rauszubekommen“, oftmals den Willen, auf selbstständiger Basis beschäftigt zu werden. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass das „Mehr an Netto“ für eine ausreichende freiwillige Eigenvorsorge verwendet werden sollte – schließlich besteht kein Schutz über die gesetzlichen Sozialversicherungen. Mit Blick auf die „gesparten“ Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung sind Auftraggeber gleichzeitig oftmals bereit, „Freien“ ein höheres Grundgehalt zu zahlen als vergleichbaren „Festen“.
Neben diesen sozialrechtlichen Aspekten gibt es aber auch wichtige arbeitsrechtliche Unterschiede. Da der arbeitsrechtliche „Arbeitnehmerbegriff“ und der sozialversicherungsrechtliche „Beschäftigtenbegriff“ in weiten Teilen deckungsgleich sind, sind „Selbstständige“ im sozialversicherungsrechtlichen Sinne regelmäßig auch keine Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne. Aus diesem Grund gelten grundlegende Arbeitnehmervorschriften nicht, wie etwa das KSchG und insb. auch das TzBfG. Letzteres schreibt vor, dass im Grundsatz jede Befristung eines Arbeitsverhältnisses eines Sachgrundes bedarf. Die freien Dienstverträge von Selbstständigen können indessen ohne sachlichen Grund beliebig oft befristet werden. Aus diesem Grund bietet eine Anstellung auf „selbstständiger Basis“ für Auftraggeber eine größere Flexibilität, was natürlich – dies darf nicht vergessen werden – mit einer entsprechenden Unsicherheit auf Auftragnehmerseite korreliert.
Eine Tätigkeit auf selbstständiger Basis ist vor diesem Hintergrund oftmals von beiden Seiten ausdrücklich gewollt. Das Problem besteht indessen darin, dass über den „Status selbstständig / unselbstständig“ nicht disponiert werden kann. Haben die Parteien eine selbstständige Tätigkeit vereinbart, aber liegt tatsächlich eine abhängige Beschäftigung vor, handelt es sich um eine sog. „Scheinselbstständigkeit“. Scheinselbstständigkeit hat weitreichende Konsequenzen, insb. für den Auftraggeber:
- Volle Haftung des vermeintlichen Auftraggebers für die rückwirkende Nachzahlung der Lohnsteuer (bis zu 4 Jahre, bei Vorsatz 30 Jahre)
- Volle Haftung des vermeintlichen Auftraggebers für die rückwirkende Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) zzgl. Säumniszuschläge (bis zu 4 Jahre, bei Vorsatz 30 Jahre)
- Bei Vorsatz: Bußgelder und strafrechtliche Risiken
- Volle Arbeitnehmerrechte für den vermeintlichen Auftragnehmer (bezahlter Urlaubsanspruch, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz usw.)
Diese „Gefahren der Scheinselbstständigkeit“ machen das Thema so brisant.
Das „Herrenberg-Urteil“ des BSG
In dem Urteil vom 28.06.2022 befasste sich das BSG mit dem konkreten Status einer Lehrerin, die an der Musikschule Herrenberg als Honorarkraft tätig war. Die DRV hatte per Bescheid festgestellt, dass die Lehrerin abhängig beschäftigt ist. Die Stadt als Trägerin der Musikschule hatte diesen Bescheid angegriffen und bis zum BSG geklagt. Das BSG hat die Rechtsauffassung der DRV bestätigt und dabei wichtige Grundsätze aufgestellt bzw. bestätigt:
- Die rechtliche Abgrenzung einer Person – als selbstständig oder beschäftigt – unterliegt nicht der Privatautonomie der Parteien; es kommt also nicht darauf an, was die Parteien vereinbart haben, sondern auf die tatsächlichen Umstände.
- Die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG gebietet es nicht, von den allgemein zur Abgrenzung von Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit entwickelten Merkmalen abzuweichen.
- Lehrkräfte können grds. abhängig beschäftigt werden, aber auch einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen, wobei maßgeblich für eine abhängige Beschäftigung folgende Indizien sprechen:
- Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung
- Festlegung auf bestimmte Unterrichtszeiten
- Zuweisung von Unterrichtsräumen
- Zuweisung von Stundenplänen und/oder Lehrplänen
- Zuweisung von Schülern/Kursen/Klassen
- Pflicht zur Meldung von Unterrichtsausfall aufgrund von Erkrankung oder anderer Gründe
- Teilnahmepflicht an Gesamtlehrer- und Fachbereichskonferenzen
- Einbindung in die schulische Gesamtorganisation durch Bereitstellung und Pflege der Instrumente und Unterrichtsmaterialen sowie der Aufteilung, Reinigung und gegebenenfalls der Anmietung der Räume durch die Schule
- Die (vertraglichen) Beziehungen zu den Schülern werden ausschließlich durch die Schule unterhalten, welche die Schüler den Lehrern zuteilt.
Einordnung und Ausblick
Die vorliegend geschilderten Abgrenzungskriterien lassen sich abstrahieren und auch auf andere strittige Statusverhältnisse im Bereich „Lehrkräfte“ übertragen. Ob damit das „Aus für Honorarkräfte an Volkshoch- und Musikschulen“ besiegelt wurde, kann man in dieser Pauschalität zwar nicht sagen, weil jedes Beschäftigungsverhältnis individuell bewertet werden muss. Letztlich hat eine Gesamtabwägung stattzufinden, in der geprüft werden muss, ob bei wertender Betrachtung mehr für oder gegen eine selbstständige Tätigkeit spricht.
Grds. wird man aber schon sagen müssen, dass die Beschäftigung in den meisten Volkshochschulen und Musikschulen nach ähnlichen Prinzipien und in einer ähnlichen Organisation erfolgt wie im „Herrenberg-Urteil“. Ein „weiter so“ kann es daher sicher nicht geben. Schuleinrichtungen müssen die bisherige Praxis von Zeithonorarverträgen auf den Prüfstand stellen, um sich gegen die Risiken einer Scheinselbstständigkeit abzusichern.