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19.06.2024

Steuerboard

Freibetrag bei Übertragung von Vermögen auf eine Familienstiftung

Die Familienstiftung gewinnt als Instrument der Unternehmens- und Vermögensnachfolge zunehmend an praktischer Bedeutung. In seinem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 28.02.2024 (II R 25/21) befasst sich der BFH im Rahmen der Schenkungsteuer mit der Frage, auf welche berechtigte Person für die Bestimmung der anwendbaren Steuerklasse und des Freibetrages bei der Errichtung einer sog. Familienstiftung abzustellen ist. Er bestätigt die Vorinstanz (Niedersächsisches FG, Gerichtsbescheid vom 24.06.2021 – 3 K 5/21), indem er urteilt, dass es sich bei dem „entferntest Berechtigten“ gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG um denjenigen handelt, der nach der Stiftungssatzung potenziell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten kann. Unerheblich sei dabei, ob die Person zum Zeitpunkt des Stiftungsgeschäfts schon geboren ist, jemals geboren wird und tatsächlich finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen wird.

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RA/StB Dr. Martin Liebernickel
ist Partner bei POELLATH in Frankfurt/M.

Karl Stille
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei POELLATH in Berlin

Steuerlicher Hintergrund

Die Übertragung von Vermögen auf eine Stiftung zwecks Stiftungserrichtung (sog. Erstausstattung) unterliegt der Schenkungsteuer (§ 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG). In diesem Fall ist gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG der Besteuerung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde „entferntest Berechtigten“ zu dem Schenker zugrunde zu legen, sofern die Stiftung wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter Familien im Inland (Familienstiftung) errichtet ist. Konkret ist dieses Verwandtschaftsverhältnis demnach für die bei der Erstausstattung der sog. Familienstiftung einschlägige Steuerklasse (§ 15 Abs. 1 ErbStG) und damit für die anwendbaren Freibeträge (§ 16 Abs. 1 ErbStG) relevant. Da Freibeträge den steuerpflichtigen Erwerb mindern und von 20.000 € bis 500.000 € reichen, haben sie Einfluss auf die Steuerbelastung bei Errichtung einer Familienstiftung. Entscheidender ist in der Praxis allerdings, in welchem Umfang die Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG zur Anwendung kommen.

Die Auslegung des Begriffs des „entferntest Berechtigten“ war Kern der vorliegenden Entscheidung.

Entscheidung des BFH

Sachverhalt

Die Klägerin errichtete eine Familienstiftung und stattete sie dazu mit Vermögen aus. Im Stiftungsgeschäft und in der Stiftungssatzung wurde als Zweck dieser Stiftung a) die angemessene Versorgung der Klägerin und ihres Ehemannes, b) die angemessene finanzielle Unterstützung ihrer Tochter sowie c) die angemessene finanzielle Unterstützung weiterer Abkömmlinge des Stammes des Stifters, jedoch erst nach Wegfall der vorherigen Generation, festgelegt.

Das beklagte Finanzamt sah die „weiteren Abkömmlinge“ als „entferntest Berechtigte“ an, ordnete dementsprechend den Erwerb der Steuerklasse I zu (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG) und brachte den für „übrige Personen der Steuerklasse I“ geltenden Freibetrag i.H.v. 100.000 € zum Abzug (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG).

Nach dem Niedersächsischen FG habe das beklagte Finanzamt den Begriff des „entferntest Berechtigten“ zu Recht dahingehend verstanden, dass er wie vorliegend auch eine mögliche Urenkelgeneration umfasst, die nach dem Satzungszweck potenziell begünstigt sein soll.

Ansicht der Klägerin

Die Klägerin beanstandete im Wesentlichen, dass nicht zwischen „Berechtigtem“ und „Begünstigtem“ unterschieden wurde. Eventuelle Kinder der Tochter, die noch nicht geboren wurden, seien zwar Begünstigte, aber erst nach dem Tod der Tochter bezugsberechtigt.

Ferner sei unter Zugrundelegung der Ansicht des Finanzamts die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG überflüssig, da nach ihr im Rahmen der Steuerklasse I stets nur ein Freibetrag i.H.v. 100.000 € gewährt werde. Daher sei als „entferntest Berechtigter“ nach der Stiftungssatzung ihre Tochter anzusehen, sodass ein Freibetrag i.H.v. 400.000 € zu gewähren sei (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG).

Ansicht des BFH

Potenzielle Begünstigung genügt
Nach Ansicht des BFH sind als „entferntest Berechtigte“ tatsächlich die möglichen Urenkel anzusehen, da diese nach der Stiftungssatzung potenziell Vermögensvorteile erlangen können. Für die Bestimmung des „entferntest Berechtigten“ ist es unerheblich, dass eine Urenkelgeneration bei Errichtung der Stiftung noch nicht geboren ist. Ebenso wenig komme es darauf an, ob mögliche Urenkel tatsächlich jemals finanzielle Unterstützung aus der Stiftung erhalten haben. Vielmehr sei mit dem Begriff derjenige gemeint, der nach der Stiftungssatzung potenziell Vermögensvorteile aus der Stiftung erhalten soll.

Die von der Klägerin geforderte Unterscheidung zwischen „Berechtigtem“ als sofort Anspruchsberechtigtem und „Begünstigtem“, der erst später anspruchsberechtigt sein soll, gebe § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht her. Dazu verweist der BFH auf ein Urteil des RFH vom 13.12.1926 (V e A 141/25, RFHE 20 S. 173), in welchem zu einer nahezu wortgleichen Norm der „entferntest Berechtigte“ ebenfalls als die Person, die nach der Satzung Vermögensvorteile aller Art aus der Stiftung erlangen kann, definiert wurde. Eine Unterscheidung zwischen „sofort“ oder „später Berechtigtem/Begünstigtem“ sei damals ebenfalls nicht getroffen worden. Daher sei bei der Bestimmung des „entferntest Berechtigten“ nicht darauf abzustellen, ob die Person einen klagbaren Anspruch auf den Vermögensvorteil aus der Stiftung habe.

Gestaltungsfreiheit der Stiftungssatzung
Das Gesetz ordne für die Bestimmung des „entferntest Berechtigten“ die Maßgeblichkeit der Stiftungsurkunde explizit an („nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten“, § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG). Insofern habe es der Stifter durch entsprechende Gestaltung der Stiftungsurkunde selbst in der Hand, einen erbschaftsteuerlich günstigen Kreis von potenziell Begünstigten festzulegen. Die Höhe des zu gewährenden Freibetrags bei der Besteuerung des Vermögensübergangs auf eine Familienstiftung könne daher unterschiedlich ausfallen und hänge davon ab, ob die Stiftungssatzung als potenziell Begünstigte beispielsweise Kinder (Freibetrag von 400.000 €), Enkel (Freibetrag von 200.000 €) oder Urenkel (Freibetrag von 100.000 €) festlegt.

Würde das Errichtungsprivileg des § 15 Abs. 2 Satz 1 ErbStG nicht existieren, wäre auf die erwerbende Familienstiftung als juristische Person mit der Folge abzustellen, dass die ungünstige Steuerklasse III und lediglich ein Freibetrag von 20.000 € zu gewähren sei.

Eine Überprivilegierung läge laut BFH hingegen vor, würde man im Zeitpunkt der Übertragung des Vermögens auf die Familienstiftung die Steuerklasse und den Freibetrag danach anwenden, ob die Abkömmlinge bereits geboren seien, obwohl diese nach ihrer Geburt finanzielle Vorteile aus der Stiftung erlangen.

Bedeutung für die Praxis und Ausblick

Mit seinem Urteil bestätigt der BFH nicht nur das vorinstanzliche Urteil, sondern auch die Ansicht der Finanzverwaltung (R E 15.2 Abs. 1 Satz 2 ErbStR 2019), nach der auf den nach der Satzung möglichen „entferntest Berechtigten“ für die Bestimmung der Steuerklasse abzustellen ist, auch wenn dieser im Zeitpunkt der Errichtung der Familienstiftung noch nicht unmittelbar bezugsberechtigt ist, sondern dies erst in der Generationenfolge wird.

Daher sollte in der Stiftungssatzung auf unklare Formulierungen hinsichtlich des Stiftungszwecks wie „die Unterstützung der Familie des Stifters“ oder „die nächsten Angehörigen des Stifters“ verzichtet werden. 

Sollten zu einem späteren Zeitpunkt Familienmitglieder in den Kreis der Destinatäre aufgenommen werden, die einer ungünstigeren Steuerklasse zuzuordnen sind (z.B. Neffen und Nichten), so sieht die Finanzverwaltung darin eine Änderung des Stiftungscharakters der Familienstiftung. Die Folge davon ist, dass steuerlich eine neue Familienstiftung entsteht, deren Errichtung jetzt mit der ungünstigeren Steuerklasse erfolgt (§ 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG; R E 1.2 Abs. 4 Satz 2 und 3 ErbStR 2019). Die Begünstigungsregime für Unternehmensvermögen (§§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG) finden dabei Anwendung (vgl. R E 13a.22 Satz 3 ErbStR 2019). Die steuerliche Aufhebung der bisherigen Stiftung wird dagegen nicht gesondert besteuert. Diese Änderung des Stiftungscharakters kann auch gezielt dazu genutzt werden, eine beispielsweise erst in einigen Jahren anfallende Ersatzerbschaftsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG) wirtschaftlich vorzuziehen, etwa weil de lege ferenda Verschärfungen bei den eben genannten Begünstigungsregeln drohen. Weitere Folge ist, dass die 30-Jahres-Frist für die Entstehung der Ersatzerbschaftsteuer bei der bisherigen Stiftung endet und bei der neuen Stiftung neu zu laufen beginnt (R E 1.2 Abs. 4 Satz 7 ErbStR 2019).

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