Die betroffenen Beschäftigten waren über viele Jahre in der Produktionssparte eines inländischen Konzerns angestellt. Die Produktionssparte wurde zunächst im Rahmen eines (ersten) Betriebsüberganges i.S.d. § 613a BGB auf eine neue Konzerngesellschaft innerhalb des Konzerns und sodann im Rahmen eines zweiten Betriebsüberganges auf eine Tochtergesellschaft einer ausländischen Holding des inländischen Konzerns übertragen. In der Folgezeit firmierte die Tochtergesellschaft um und wurde im Rahmen eines Sharedeals an eine ausländische – konzernfremde – Gesellschaft übertragen.
Vielzahl von Kündigungen nach juristischer Sekunde
Aus einer zwischen den Beteiligten vor dem ersten Betriebsübergang getroffenen Vereinbarung ergibt sich, dass die Beschäftigten der Produktionssparte bei der Ausgliederung so zu behandeln sind, als wären sie noch bei der Konzerngesellschaft beschäftigt. Eine weitere spätere Vereinbarung sicherte den Beschäftigten zudem bei betriebsbedingter Kündigung entweder ein Rückkehrrecht zur deutschen Konzerngesellschaft oder eine Abfindung zu. Einige Jahre nach Abschluss des Sharedeals kam es zu einer Vielzahl von Kündigungen und zur Zahlung von Abfindungen (nun von der konzernfremden Gesellschaft). Aufgrund des vereinbarten „Rückkehrrechts“ kehrte ein Teil der Beschäftigten längerfristig zum deutschen Konzern zurück, während ein anderer Teil lediglich für eine juristische Sekunde angestellt wurde und sodann eine weitere Abfindung erhielt. Das Finanzamt unterwarf die seitens des ausländischen Konzerns aufgrund der betriebsbedingten Kündigung gezahlte erste Abfindung in allen Fällen dem tariflichen Einkommensteuersatz.
Mit ihren Klagen haben die Kläger/innen die ermäßigte Besteuerung gem. §§ 24, 34 EStG der ersten von der konzernfremden Gesellschaft gezahlten Abfindung geltend gemacht.
Kein Erfolg vor dem Finanzgericht
Das Niedersächsische Finanzgericht ist in seinen Urteilen vom 15.02.2024 (2 K 52/23, 2 K 72/23, 2 K 55/23, 2 K 71/23) zu der Auffassung gelangt, dass die streitige erste Abfindung nicht ermäßigt nach §§ 24, 34 EStG besteuert werden kann, und zwar sowohl für die Fälle, in denen die Beschäftigten langfristig in der deutschen Konzerngesellschaft verblieben sind, als auch in den Fällen, in denen eine zweite (im Übrigen unstreitig ermäßigt zu besteuernde) Abfindung gezahlt wurde. Nach Auffassung des 2. Senats steht die fehlende Beendigung des Einkünfteerzielungstatbestandes der Annahme außerordentlicher Einkünfte und damit einer ermäßigten Besteuerung entgegen.
Voraussetzung für die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG ist das Vorliegen außerordentlicher Einkünfte. Diese sind u.a. dann gegeben, wenn die streitige Abfindung eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG darstellt. Neben der Zahlung „als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen“ setzt die steuerrechtliche Qualifizierung einer Zahlung als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG die Beendigung des Einkünfteerzielungstatbestandes voraus, denn der Zweck der Regelung, wie er sich in Zusammenhang mit § 34 EStG ergibt, ist darauf gerichtet, die aus Anlass der Beendigung eines Einkünfteerzielungstatbestands zusammengeballt zugeflossenen Leistungen ermäßigt zu besteuern (BFH, Urteil vom 12. April 2000 – XI R 1/99, BFH/BV 2000 S. 1195).
Rechtsprechungsgrundsätze des BFH gelten auch hier
Eine Beendigung des bisherigen Dienstverhältnisses, die eine steuerfreie Abfindung im Sinne des früheren § 3 Nr. 9 EStG rechtfertigen könnte, liegt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht vor, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Konzerns oder anlässlich eines Betriebsübergangs im Sinne des § 613a BGB umgesetzt wird und sodann das Arbeitsverhältnis zwar formal mit einem neuen Arbeitgeber, aber im Übrigen im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird. Diese Rechtsprechungsgrundsätze wendet der BFH auch in solchen Fällen an, in denen eine Umsetzung nicht im Rahmen eines Konzerns oder eines Betriebsübergangs erfolgt, jedoch die beteiligten Unternehmen und der Arbeitnehmer dessen Rückkehr zum vorherigen Arbeitgeber im gegenseitigen Einvernehmen so ausgestaltet haben, dass das bestehende Arbeitsverhältnis im Wesentlichen unverändert mit dem anderen Arbeitgeber fortgesetzt werden konnte (BFH, Urteil vom 13.12.2005 – XI R 8/05, BFH/NV 2006 S. 1071, m.w.N.).
In den vom 2. Senat entschiedenen Fällen waren die Beschäftigten so gestellt, als ob sie innerhalb eines Konzerns bzw. einer Unternehmensgruppe gewechselt hätten. Zwar endete das Arbeitsverhältnis mit dem ausländischen Konzern durch die Kündigung im Streitjahr zivilrechtlich. Aufgrund der getroffenen Vereinbarungen waren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber so gestellt, als ob sie nicht aus dem ursprünglichen Konzern ausgeschieden seien. Nur deshalb konnte ihnen eine weitere Abfindung durch den inländischen Konzern gezahlt werden bzw. sie wurden weiter mit Arbeitslohn in unveränderter Höhe beschäftigt, auch wenn der inländische Konzern ggf. keinen Bedarf hatte. Sie mussten sich nicht auf die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz begeben, waren nach der Kündigung alle im ersten Schritt nicht der Gefahr eines Arbeitsplatzverlustes ausgesetzt und mussten nach Rückkehr zum inländischen Konzern keine Probezeit durchlaufen. Soweit sie nicht in den Konzern zurückkehren wollten, hatten sie Anspruch auf eine hohe weitere Abfindung, obwohl sie faktisch nicht mehr gearbeitet haben.
Ohne die konzernrechtlichen Regelungen hätte kein früherer Arbeitgeber für vor Jahren ausgeschiedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Abfindungen gezahlt. Weiterhin hätte ein konzernfremder Arbeitgeber niemanden zu einem früheren Gehalt angestellt, wenn kein entsprechender Arbeitsplatz vorhanden war. Insofern sind die vom 2. Senat entschiedenen Sachverhalte mit den üblichen Fällen einer betriebsbedingten Kündigung nicht vergleichbar. Nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise lebte die frühere Konzernzugehörigkeit wieder auf. Nur deshalb wurde eine weitere Abfindung gezahlt. Daher war der Einkünfteerzielungstatbestand wirtschaftlich betrachtet vorliegend nicht beendet und eine ermäßigte Besteuerung nicht gerechtfertigt.