Hintergrund
In der Transaktionspraxis stellt sich regelmäßig heraus, dass die Wertvorstellungen zwischen Käufer und Verkäufer (deutlich) auseinanderliegen. Im Rahmen von Kaufpreisverhandlungen bieten Earn-out-Klauseln die Möglichkeit, Kaufpreisrisiken zwischen Käufer und Verkäufer aufzuteilen und somit bestehende Informationsasymmetrien zwischen Käufer und Verkäufer zu überwinden. Durch die Vereinbarung einer Earn-out-Klausel wird geregelt, dass ein Kaufpreisteil erst dann gezahlt wird, wenn die Zielgesellschaft bestimmte Ziele erreicht hat. Grundsätzlich erhält der Verkäufer zum Closing einen reduzierten fixen Kaufpreis und erhält bei Erreichen bestimmter unternehmensbezogener Kennzahlen (z.B. Gewinn- oder Umsatzgrößen) innerhalb eines festgelegten Zeitraums einen zusätzlichen variablen Kaufpreis. Der fixe und der variable Kaufpreisbestandteil bilden zusammen den Gesamtkaufpreis.
Besteuerung von nachträglichen Kaufpreiszahlungen
Laut ständiger Rechtsprechung des BFH entsteht ein Veräußerungsgewinn grundsätzlich stichtagsbezogen im Veräußerungszeitpunkt, d.h. mit Übergang des wirtschaftlichen Eigentums. Dies gilt unabhängig davon, ob der vereinbarte Kaufpreis sofort fällig, in Raten zahlbar oder langfristig gestundet ist und wann der Verkaufserlös dem Veräußerer tatsächlich zufließt. Nachträgliche Veränderungen des Veräußerungspreises wirken grundsätzlich auf den Veräußerungszeitpunkt zurück, wenn die Kaufpreisanpassungen bereits im ursprünglichen Kaufvertrag angelegt sind. Abweichend von diesem Grundsatz ist ausnahmsweise bei gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisbestandteilen auf die Realisation des Veräußerungsentgelts abzustellen. In diesem Fall kommt eine stichtagsbezogene Betrachtung (d.h. Rückwirkung auf den Veräußerungszeitpunkt) nicht in Betracht, da es sich bei gewinn- oder umsatzabhängigen Kaufpreisbestandteilen um aufschiebend bedingte Kaufpreisansprüche handelt, bei denen zum Veräußerungszeitpunkt weder feststeht, ob später eine Kaufpreisforderung entsteht, noch, wie hoch diese Kaufpreisforderung sein wird.
Ob eine nachträgliche Kaufpreiszahlung bzw. eine Earn-out-Zahlung rückwirkend im Zeitpunkt des Veräußerungszeitpunkts oder nachträglich im Zeitpunkt des Zuflusses zu versteuern ist, spielt im Zusammenhang mit der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften eher eine untergeordnete Rolle, auch wenn die Realisierung und Versteuerung der Earn-out-Zahlung in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen dennoch eine Rolle spielen kann (z.B. hinsichtlich der Verrechnung von Verlusten/Verlustvorträgen). Eine Earn-out-Zahlung im Zusammenhang mit der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften unterliegt unabhängig vom Realisationszeitpunkt einer begünstigten Besteuerung (Steuersatz von bis zu ca. 28,5% bei Veräußerung durch natürliche Personen, Steuersatz von ca. 1,5% bei Veräußerung durch Kapitalgesellschaften, vgl. BFH, Urteil vom 19.12.2018 – I R 71/16). Im Zusammenhang mit der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen ist es jedoch von großer Bedeutung, ob die Earn-out-Zahlungen auf den Veräußerungszeitpunkt zurückwirken oder ob diese als nachträgliche Betriebseinahmen im Zeitpunkt des Zuflusses zu versteuern sind. Ein Verkäufer möchte regelmäßig den Veräußerungsgewinn mit dem sogenannten „halben Steuersatz“ versteuern (§ 34 Abs. 3 EStG, vorausgesetzt, die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen sind erfüllt), was eine „Zusammenballung“ des Veräußerungsgewinns und damit eine Rückwirkung der Earn-out-Zahlungen auf den Veräußerungszeitpunkt gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfordert. Nachfolgend wird das hierzu kürzlich veröffentlichte BFH-Urteil dargestellt (Urteil vom 09.11.2023 – IV R 9/21).
BFH: Earn-out-Zahlungen im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils
Die Klägerin war eine Personengesellschaft, an der eine weitere Personengesellschaft als alleinige Kommanditistin beteiligt war, die sämtliche Anteile der Komplementär-GmbH der Klägerin hielt. Die Kommanditistin veräußerte sämtliche Anteile an der Klägerin sowie sämtliche Anteile an der Komplementär-GmbH gegen einen festen Kaufpreis und einen zusätzlichen Kaufpreis in Form eines variablen Entgelts (Earn-out). Der variable Kaufpreisbestandteil wurde in Abhängigkeit der zukünftig erzielen Rohmarge im Kaufvertrag vereinbart. Aufgrund positiver wirtschaftlicher Entwicklung der Klägerin kam es in den Folgejahren zu weiteren Kaufpreiszahlungen, die von der Kommanditistin als laufende Einkünfte erfasst wurden. Das Finanzamt vertrat hingegen die Auffassung, dass die nachträglichen Kaufpreiszahlungen gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rückwirkend im Zeitpunkt der Übertragung der Anteile an der Klägerin auf Ebene der Kommanditistin zu erfassen sind.
Der BFH hat entschieden, dass die nachträglichen Kaufpreiszahlungen nicht auf den Veräußerungszeitpunkt zurückwirken, da es sich um gewinnabhängige Kaufpreisforderungen handele, deren Entstehen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss seien. Vielmehr seien die gewinnabhängigen Kaufpreisforderungen im Zeitpunkt des Zuflusses als nachträgliche Betriebseinnahmen (§ 24 Nr. 2 EStG) zu versteuern. Der IV. Senat folgt somit der Rechtsprechung des I. Senats im Zusammenhang mit der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften (BFH, Urteil vom 19.12.2018 – I R 71/16), dass gewinn- oder umsatzabhängige Kaufpreisforderungen im Allgemeinen und Earn-out-Zahlungen im Besonderen grundsätzlich gleichbehandelt werden. Die dem Grunde als auch der Höhe nach unsicheren Earn-out-Zahlungen rechtfertigen es, von der stichtagsbezogenen Ermittlung des Veräußerungsgewinns abzusehen und eine Besteuerung erst im Zeitpunkt des Zuflusses vorzunehmen.
Beraterhinweis
Im Zuge der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen ist in Fällen von gewinn- oder umsatzabhängigen Earn-outs, die sowohl dem Grund als auch der Höhe nach ungewiss sind, davon auszugehen, dass der Verkäufer die begünstigende Besteuerung gemäß § 34 Abs. 3 EStG („halber Steuersatz“) aufgrund der Besteuerung der Earn-out-Zahlungen im Zeitpunkt des Zuflusses nicht in Anspruch nehmen kann. Der BFH hat im Urteil zwar keine Stellung zur Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG bezogen, allerdings ist aufgrund der nachträglichen Besteuerung der Earn-out-Zahlungen eine für die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG erforderliche Zusammenballung des gesamten Kaufpreises in diesen Fällen nicht gegeben. Ob dennoch wenigstens der fixe Kaufpreisbestandteil unter die Begünstigung des § 34 Abs. 3 EStG fällt, ist ungeklärt, jedoch aufgrund der fehlenden Zusammenballung unwahrscheinlich.
In der Praxis spielt erfahrungsgemäß der Fall eines gewinn- oder umsatzabhängigen Earn-outs, der sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss ist, eher eine untergeordnete Rolle. Praxisrelevanter sind insbesondere Earn-out-Klauseln, bei denen der Earn-out dem Grunde nach, nicht jedoch der Höhe nach ungewiss ist (bspw. ein zusätzlicher fixer Earn-out bei Erreichung einer gewissen EBITDA-Grenze). Diese Frage, wie eine bereits betragsmäße festgelegte Earn-out-Zahlung, deren Entstehen gewinn- oder umsatzabhängig ist, steuerlich zu behandeln ist, hat der BFH leider ausdrücklich offengelassen. Somit besteht weiterhin Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Besteuerung einer gewinn- oder umsatzabhängigen Earn-out-Zahlung, die abweichend vom Urteilssachverhalt nur dem Grunde, aber nicht der Höhe nach ungewiss ist. Falls in derartigen Konstellationen eine rückwirkende Besteuerung des Veräußerungsgewinns erfolgt (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO), ist eine Zusammenballung des gesamten Kaufpreises grundsätzlich gegeben, sodass der Verkäufer von der Begünstigung des § 34 Abs. 3 EStG profitieren könnte.
Um in derartigen Fällen dennoch aufseiten des Verkäufers in den Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3 EStG zu kommen, könnte ein sogenannter negativer Earn-out strukturiert werden. In diesem Fall wird im Rahmen der Earn-out-Klausel ein Festkaufpreis vereinbart, der sich verringert, wenn zukünftig gewisse (gewinn- und umsatzabhängige) Ziele nicht erreicht werden. Eine derartige nachträgliche Minderung eines im Kaufvertrag festgelegten Kaufpreises steht der Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings ist an dieser Stelle zu betonen, dass leider auch dieser Fall bisher nicht ausdrücklich durch die Rechtsprechung geklärt wurde.