§ 4 Abs. 4 des Entgelttransparenzgesetzes aus dem Jahre 2017 schreibt vor, dass Entgeltsysteme als Ganzes und auch die einzelnen Entgeltbestandteile so ausgestaltet sein müssen, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist. Dazu muss das Entgeltsystem die Art der zu verrichtenden Tätigkeit objektiv berücksichtigen, auf für weibliche und männliche Beschäftigte gemeinsamen Kriterien beruhen, die einzelnen Differenzierungskriterien diskriminierungsfrei gewichten sowie insgesamt durchschaubar sein. Für tarifvertragliche Entgeltregelungen gilt nach § 4 Abs. 5 eine Angemessenheitsvermutung. Tätigkeiten, die aufgrund dieser Regelungen unterschiedlichen Entgeltgruppen zugewiesen sind, werden als nicht gleichwertig angesehen, sofern die Regelungen nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen.
Nach Art. 4 Abs. 4 Entg-TranspRL sind Entgeltstrukturen so beschaffen, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler und mit den Arbeitnehmervertretern vereinbarter Kriterien, sofern es solche Vertreter gibt, beurteilt werden kann, ob sich die Arbeitnehmer im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden. Diese Kriterien dürfen weder in unmittelbarem noch in mittelbarem Zusammenhang mit dem Geschlecht der Arbeitnehmer stehen. Sie umfassen Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen und gegebenenfalls etwaige weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind. Sie werden auf objektive, geschlechtsneutrale Weise angewandt, wobei jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen wird. Insbesondere dürfen relevante soziale Kompetenzen dabei nicht unterbewertet werden.
Daraus folgt eindeutig, dass die in Deutschland bisher angenommene Privilegierung von Tarifverträgen nicht richtlinienkonform ist. Zwar mag es bei gleicher Arbeit noch zulässig sein, mit Verweis auf die gleiche Eingruppierung die Angemessenheit und Diskriminierungsfreiheit zu begründen. Mit Blick auf gleichwertige Arbeit lässt sich aber die These von der strukturellen Diskriminierungsfreiheit tarifvertraglicher Entgeltregelungen nicht aufrechterhalten. Die Bewertung gleichwertiger Arbeit, die durchaus unterschiedlich oder verschiedenartig sein kann, kann nicht mit Verweis auf die unterschiedliche Eingruppierung legitimiert werden. § 4 Abs. 5 EntgTranspG wird sich nicht aufrechterhalten lassen.
Neu ist auch die Entgelttransparenz vor der Beschäftigung. Nach Art. 4 Entg-TranspRL haben Stellenbewerber das Recht, vom künftigen Arbeitgeber Informationen über das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhende Einstiegsentgelt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne sowie gegebenenfalls die einschlägigen Bestimmungen des Tarifvertrags, den der Arbeitgeber in Bezug auf diese Stelle anwendet, zu erhalten. Diese Informationen sind in einer Weise bereitzustellen, dass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden wie beispielsweise in einer veröffentlichten Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise. Durch diesen Anspruch soll die bestehende Informationsasymmetrie überwunden werden, ohne gleichzeitig die Verhandlungsmacht der Parteien in irgendeiner Weise einzuschränken, um ein Gehalt auch außerhalb der angegebenen Spanne auszuhandeln.
Bisher noch nicht vertieft erörtert wurde die Frage, ob auch die objektiven geschlechtsneutralen Kriterien von dem Auskunftsanspruch erfasst sind, also dem Stellenbewerber spätestens vor dem Vorstellungsgespräch mitzuteilen sind. Aus dem Umkehrschluss zu Art. 6 Entg-TranspRL, wonach Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern Informationen zu den Kriterien zur Verfügung stellen, könnte geschlossen werden, dass das für Stellenbewerber nicht gilt. Nimmt man allerdings das Ziel einer fundierten und transparenten Entgeltverhandlung ernst, könnte man auch zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen.
Nach Art. 6 Entg-TranspRL stellen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern Informationen in leicht zugänglicher Weise zur Verfügung, welche Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung verwendet werden. Diese Kriterien müssen objektiv und geschlechtsneutral sein. Die Entgeltentwicklung bezieht sich auf den Prozess des Übergangs eines Arbeitnehmers zu einer höheren Entgelthöhe. Kriterien für die Entgeltentwicklung können unter anderem individuelle Leistung, Kompetenzentwicklung und Dienstalter sein.
Neu ist die Pflicht eines jeden Arbeitgebers, unabhängig von der Zahl der Arbeitnehmer diese Informationen anlasslos zur Verfügung zu stellen. Es besteht also eine Initiativpflicht des Arbeitgebers. Der nationale Gesetzgeber kann Arbeitgeber mit weniger als 50 Beschäftigten von einer dieser Verpflichtungen ausnehmen.
Insgesamt wird die Umsetzung der Entg-TranspRL keine weitergehenden Pflichten des Arbeitgebers zur methodischen Entgelt- und Arbeitsbewertung mit sich bringen. Allerdings führen einige Neuregelungen dazu, die objektiven und diskriminierungsfreien Entgeltkriterien in ihrer Bedeutung zu verstärken. Dazu gehören die Transparenzanforderungen vor der Beschäftigung und die generelle Verpflichtung, alle Arbeitnehmer nicht nur auf Anforderung über die Entgeltkriterien einschließlich der Kriterien für die Entgeltentwicklung zu informieren. Die in Deutschland bisher geltende Privilegierung von Tarifverträgen ist nicht richtlinienkonform.