Gesetzgeber wird aktiv
Als Reaktion hierauf und um weitere nachteilige Auswirkungen für die betriebliche Mitbestimmung zu verhindern, hatte das BMAS im Frühsommer 2023 eine namhafte Kommission unter dem Vorsitz von Herrn Prof. Dr. Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts, eingesetzt und mit der Ausarbeitung eines Gesetzesvorschlags zur Reform der Betriebsratsvergütung beauftragt. Die Kommission arbeitete schnell und präsentierte ihre Vorschläge für die Gesetzänderung samt umfangreicher Erläuterungen bereits im September 2023 unter anderem Vertretern der Bundesregierung.
Gesetzesänderung vom Bundeskabinett kurzfristig verabschiedet
Kurze Zeit später, am 01. November 2023, hat das Bundeskabinett das „Zweites Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes“ beschlossen, das vor allem gesetzliche Klarstellungen der aktuellen Rechtslage unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung enthält. Bereits Anfang 2024 soll das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein. Es ist davon auszugehen, dass die Neuregelungen keine großen Unterschiede zu den im Folgenden dargestellten Neuregelungen aufweisen werden.
Die Neuregelungen im Überblick
Die mit den Vorschlägen der Kommission nahezu identische Gesetzesänderung beinhaltet folgende Ergänzungen der §§ 37 Abs. 4 und 78 BetrVG:
In § 37 Abs. 4 BetrVG wird klargestellt, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung der mit dem Betriebsrat vergleichbaren Arbeitnehmer*innen die Übernahme des Betriebsratsamts ist. Eine Neubestimmung der Vergleichsgruppe nach der Amtsübernahme kann bei Vorliegen eines sachlichen Grundes geboten sein.
Die Betriebsparteien können Betriebsvereinbarungen zum Verfahren bei der Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer*innen abschließen wie auch konkrete Vergleichspersonen in Textform einvernehmlich festlegen. Diese Vereinbarungen sind – soweit sie sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen halten – nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar. Hiermit soll den Betriebsparteien ein Spielraum bei den Festlegungen und ein Anreiz für die Schaffung transparenter, einvernehmlicher Regelungen eröffnet werden.
Eine Ergänzung des Benachteiligungs- und Begünstigungsverbots in § 78 Satz 2 BetrVG regelt nunmehr, dass eine über die der Vergleichsgruppe nach § 37 Abs. 4 BetrVG hinausgehende Vergütung angemessen ist, wenn das Betriebsratsmitglied die dafür erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt ist.
Die Gesetzesbegründung: Aktuelle Rechtslage und Tipps für die Praxis
Für die Praxis wohl noch wertvoller als die Gesetzesänderung ist die sich über beinahe acht Seiten erstreckende umfangreiche Gesetzesbegründung. In der Begründung sind neben einer Zusammenfassung der aktuellen Rechtslage unter Bezugnahme auf diverse gerichtliche Entscheidungen einige hilfreiche Hinweise für die praktische Handhabung und Bemessung der Vergütung von Betriebsräten enthalten. Zunächst erfolgt eine kurze Zusammenfassung der Grundsätze der Betriebsratsvergütung:
Betriebsräte führen danach ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt und dürfen aufgrund ihrer Betriebsratstätigkeit weder benachteiligt noch begünstigt werden, § 78 Satz 2 BetrVG. Dies gilt für die berufliche Entwicklung einschließlich der sich daraus ergebenden Vergütung. Nach § 37 Abs. 4 BetrVG darf ihr Arbeitsentgelt nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer*innen mit betriebsüblicher Entwicklung. Insoweit erfolgt eine erfreuliche Klarstellung dahingehend, dass § 37 Abs. 4 BetrVG lediglich den Anspruch eines Amtsträgers auf die Mindestvergütung regelt und nicht zugleich auch eine Begrenzung der Vergütung nach oben darstellt. Der Anspruch auf ein höheres Entgelt bei einer „Sonderkarriere“ aus § 611a BGB i.V.m. § 78 Satz 2 BetrVG steht demnach gleichwertig neben dem Anspruch auf die Mindestvergütung. Dem vielfach aus der Entscheidung des BGH gezogenen Schluss, nach dem nur ausnahmsweise eine über die Mindestvergütung hinausgehende Vergütung von Betriebsratsmitgliedern zulässig sein soll, wird damit eine klare Absage erteilt.
Bestimmung der Vergleichsgruppe
Für die in der Praxis – insbesondere bei langjährigen Betriebsratsmitgliedern – regelmäßig schwierige Auswahl der Vergleichspersonen nach § 37 Abs. 4 BetrVG sind in der Gesetzesbegründung ebenfalls folgende relevante Hinweise enthalten:
Eine grobe Fehlerhaftigkeit der einvernehmlichen Festlegungen der Betriebsparteien zu Verfahren und Vergleichspersonen ist anzunehmen, wenn von den Vergleichbarkeitsmerkmalen (im Wesentlichen gleiche Tätigkeit und gleiche Qualifikation) wesentlich abgewichen wird. Dies ist der Fall, wenn sachwidrige weitere Kriterien benannt, wesentliche Kriterien nicht berücksichtigt oder sie untereinander falsch gewichtet werden.
Fehlen im Betrieb Vergleichspersonen, können vergleichbare Arbeitnehmer*innen eines anderen Betriebs herangezogen werden. Fehlen auch diese, ist auf die betriebsübliche Entwicklung der nächstvergleichbaren Arbeitnehmergruppen abzustellen. Die Gruppe der ausgewählten Vergleichspersonen muss hinreichend groß sein, um repräsentativ zu sein. Die bislang übliche Auswahl von zwei bis drei Vergleichspersonen könnte somit im Falle des Vorhandenseins einer Vielzahl vergleichbarer Arbeitnehmer*innen nicht ausreichend sein.
Allerdings gilt es zu berücksichtigen: Wurden Verfahren und Vergleichsgruppen in zulässiger Weise bestimmt, sind Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied daran gebunden, auch wenn ein Vergleich mit sämtlichen vergleichbaren Arbeitnehmern zu einem anderen Ergebnis, das heißt einer niedrigeren oder höheren Vergütung, führen würde.
Weiter wird Klarheit mit Blick auf die bislang ungeklärte Frage der Zulässigkeit einer Neubestimmung der Vergleichsgruppe geschaffen. Ein nach der Amtsübernahme liegender Zeitpunkt kann für die Neubestimmung vergleichbarer Arbeitnehmer*innen maßgeblich sein, wenn eine Änderung der tatsächlichen Umstände dies als geboten erscheinen lässt. Eine tatsächliche Änderung der Umstände könnte z.B. bei einer einvernehmlichen Änderung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit vorliegen.
Beförderung und Berücksichtigung während der Betriebsratstätigkeit erworbener Qualifikationen
Der berufliche Aufstieg eines Betriebsratsmitglieds ist – auch im Falle einer vollständigen Freistellung – nicht begünstigend, wenn die Beförderung an die Besetzung einer konkreten freien Stelle anknüpft:
Eine Begünstigung scheidet aus, wenn das Betriebsratsmitglied die für die Gewährung des Entgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt ist. Die Eingruppierung des Betriebsratsmitglieds bezogen auf eine konkrete Stelle muss plausibel und nachvollziehbar sein. Personalauswahlentscheidungen in der Privatwirtschaft müssen nicht anhand objektiv feststellbarer Kriterien erfolgen, sondern auch auf einer legitimen subjektiven Einschätzung beruhen.
Es muss immer ein tatsächlicher Bedarf an der Besetzung einer Stelle vorliegen. Im Falle der Beförderung von vollständig freigestellten Betriebsratsmitgliedern ist daher regelmäßig eine doppelte Besetzung der Stelle erforderlich. Eine (fiktive) Beförderung auf eine besetzte Stelle stellt daher regelmäßig eine Begünstigung des Betriebsratsmitglieds dar.
Die im Laufe der und durch die Betriebsratstätigkeit erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sind zu berücksichtigen, soweit sie für die konkrete Stelle karriere- und vergütungsrelevant und Ergebnis eines individuellen persönlichen Lernprozesses sind. Ein Verhandeln des Betriebsratsmitglieds mit Vorständen und Managern „auf Augenhöhe“ darf nicht berücksichtigt werden, weil darin eine unzulässige Anknüpfung an die Betriebsratstätigkeit läge.
Fazit für die Beförderung und damit ein höheres Gehalt
Das betriebsübliche Verfahren bei der Stellenbesetzung ist unbedingt einzuhalten. Eine Beförderung auf eine besetzte Stelle stellt eine Begünstigung eines Betriebsratsmitglieds dar, unabhängig davon, ob das Mitglied freigestellt ist oder nicht.