Hintergrund
Im Rahmen von Umstrukturierungen bei Personengesellschaften spielt § 6 Abs. 5 EStG eine wichtige Rolle, da unter bestimmten Voraussetzungen einzelne Wirtschaftsgüter ohne Aufdeckung von stillen Reserven von einem Betriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen steuerneutral überführt bzw. übertragen werden können. Gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG ist bei einer Überführung eines einzelnen Wirtschaftsguts von einem Betriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen zwingend der Buchwert anzusetzen, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 1 bis 3 EStG erweitern den Anwendungsbereich auf Übertragungen im Rahmen von Mitunternehmerschaften. Nach einer Übertragung sind allerdings zwei Sperrfristen zu beachten. Erstens ist grundsätzlich nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung der Teilwert anzusetzen, wenn das übertragene Wirtschaftsgut innerhalb von drei Jahren veräußert oder entnommen wird. Zweitens ist gemäß § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG rückwirkend auf den Zeitpunkt der Übertragung der Teilwert anzusetzen, soweit innerhalb von sieben Jahren nach der Übertragung der Anteil einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse an dem übertragenen Wirtschaftsgut aus einem anderen Grund unmittelbar oder mittelbar begründet oder erhöht wird.
BFH: Veräußerung eines Mitunternehmeranteils fällt nicht unter § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG
Sowohl der vierte (BFH vom 15.07.2021 – IV R 36/18) als auch der sechste Senat (BFH vom 18.08.2021 – XI R 20/19, XI R 43/20) des BFH haben in ihren Urteilen klargestellt, dass eine Veräußerung eines Mitunternehmeranteils nicht unter § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG zu subsumieren sei. Wird im Anschluss einer Übertragung eines Wirtschaftsguts auf eine Mitunternehmerschaft der Anteil an dieser Mitunternehmerschaft veräußert, führt dies somit nicht zur Verletzung der dreijährigen Sperrfrist. Obwohl der Anteil an einer Personengesellschaft steuerrechtlich die Zusammenfassung aller Anteile an den Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögen verkörpere, spreche laut BFH der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG eindeutig von einer Veräußerung (oder Entnahme) des übertragenen Wirtschaftsguts. Somit führe eine Veräußerung eines Mitunternehmeranteils trotz des für Mitunternehmerschaften geltenden Transparenzprinzips nicht zu einem Sperrfristverstoß.
JStG 2022: Keine Einfügung eines § 6 Abs. 5 Satz 4a EStG
Im Rahmen seiner Stellungnahme zum Entwurf des JStG 2022 schlug der Bundesrat die Einfügung eines neuen § 6 Abs. 5 Satz 4a EStG vor. Dieser lautete:
„Dasselbe gilt, wenn das übertragene Wirtschaftsgut anteilig Bestandteil der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils ist.“
Damit wäre eine Rechtsgrundlage für das Vorliegen eines Sperrfristverstoßes gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG geschaffen worden, falls ein (Teil-)Mitunternehmeranteil innerhalb von drei Jahren nach einer Übertragung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG veräußert wird. Laut Bundesrat werde damit erreicht, dass Gestaltungen vermieden werden, mit denen durch eine Veräußerung eines (Teil-)Mitunternehmeranteils stille Reserven in Einzelwirtschaftsgütern ohne Sperrfristverletzung übertragen werden können. Zudem werde auch der Gleichklang mit der bei Einbringungen einschlägigen siebenjährigen Sperrfrist des § 22 UmwStG wiederhergestellt, da auch im Rahmen dieser Vorschrift ein Sperrfristverstoß vorliege, wenn die erhaltenen Anteile Teil einer (Teil-)Mitunternehmeranteilsveräußerung sind.
In der finalen Fassung des JStG 2022 ist ein neuer Satz 4a nicht enthalten. Somit sollte zukünftig – entsprechend der aktuellen BFH-Rechtsprechung – eine Veräußerung eines Mitunternehmeranteils im Anschluss an eine Übertragung gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG nicht zu einem Sperrfristverstoß gemäß § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG führen.
BFH: Teleologische Reduktion des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG
Der BFH hat in allen drei Urteilen (BFH vom 15.07.2021 – IV R 36/18; vom 18.08.2021 – XI R 20/19, XI R 43/20) den Wortlaut der siebenjährigen Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ausgehend vom Sinn und Zweck der Norm einschränkend ausgelegt. Eine Einschränkung des Wortlauts im Wege einer teleologischen Reduktion wird nach ständiger Rechtsprechung dann zugelassen, wenn eine allein wortlautgemäße Auslegung zu sinnwidrigen Ergebnissen führt und der Schluss gerechtfertigt ist, dass der gesetzgeberische Wille planwidrig umgesetzt wurde. Während der vierte Senat auf die Verlagerung von stillen Reserven aus dem Einkommensteuer- in das Körperschaftsteuer-Regime abstellt, hat der sechste Senat festgestellt, dass kein Sperrfristverstoß im Fall einer entgeltlichen Veräußerung unter Aufdeckung der stillen Reserven in den zuvor übertragenden Wirtschaftsgütern vorliege.
IV Senat: Kein Sperrfristverstoß ohne Steuerregimewechsel
Der vierte Senat hat mit Urteil vom 15.072021 entschieden, dass der Zweck der Körperschaftsteuerklausel in § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG darin bestehe, eine steuerneutrale Übertragung von stillen Reserven von dem Einkommensteuer- in das Körperschafsteuer-Regime entweder zum Zeitpunkt der Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG oder in den darauffolgenden sieben Jahren zu verhindern. Ein Besteuerungsregime-Wechsel sei einerseits mit einer Statusänderung auf Ebene der Mitunternehmerschaft aufgrund des günstigeren Körperschaftsteuersatzes und andererseits mit einer Statusänderung auf Ebene des Gesellschafters aufgrund einer durch das Teileinkünfteverfahren begünstigten Besteuerung im Veräußerungsfall verbunden. Dabei verneint der vierte Senat die Subjektbezogenheit der Statusänderung, er zielt somit allein auf einen Steuerregimewechsel und nicht auf das konkrete Körperschaftsubjekt ab. Im Ergebnis stellt der vierte Senat fest, dass die Körperschaftsteuerklausel eine steuerneutrale Übertragung lediglich dann verhindert, wenn stille Reserven vorher im Einkommensteuerregime verhaftet waren und somit eine Statusänderung durch Begründung oder Erhöhung eines Anteils einer Körperschaft möglich ist.
VI Senat: Kein Sperrfristverstoß bei vollentgeltlicher Veräußerung
Der sechste Senat hat in den beiden Urteilen vom 18.08.2021 zur Sperrfristverletzung im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Veräußerung im Anschluss an eine steuerneutrale Übertragung entschieden. Nach Ansicht des VI. Senats ist der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG ausgehend vom Sinn und Zweck dahingehend einschränkend auszulegen, dass kein Sperrfristverstoß vorliegt, wenn innerhalb von sieben Jahren nachträglich ein Anteil einer Körperschaft an einem steuerneutral übertragenen Wirtschaftsgut aufgrund eines vollentgeltlichen Beteiligungserwerbs begründet wird. Somit zielt der VI. Senat im Vergleich zum IV. Senat nicht ausdrücklich auf eine Verlagerung von stillen Reserven aus dem Einkommensteuer- in das Körperschaftsteuerregime ab. Vielmehr ist der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG dann teleologisch zu reduzieren, wenn es im Rahmen einer Anteilsübertragung nicht zu einer Verlagerung von stillen Reserven in den zuvor steuerneutral übertragenen Wirtschaftsgütern kommt.
JStG 2022: Keine Einfügung eines § 6 Abs. 5 Sätze 7 und 8 EStG
Um die grundsätzlich erfreuliche Rechtsprechung des BFH zurückzudrehen, schlug der Bundesrat im Rahmen seiner Stellungnahme zum Entwurf des JStG 2022 die Einfügung von zwei ergänzenden Sätzen (§ 6 Abs. 5 Sätze 7 und 8 EStG) vor. Folgende Sätze sollten neu eingefügt werden:
„Eine unmittelbare oder mittelbare Begründung und Erhöhung eines Anteils einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse an dem übertragenen Wirtschaftsgut gemäß Satz 6 und 7 liegt auch vor, wenn dieser Anteil an die Stelle eines unmittelbaren oder mittelbaren Anteils einer anderen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse tritt. Satz 7 gilt auch, wenn innerhalb von sieben Jahren nach der Übertragung des Wirtschaftsguts der Anteil einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse an dem übertragenen Wirtschaftsgut durch entgeltliche Übertragung unmittelbar oder mittelbar begründet oder erhöht wird.“
Der Bundesrat begründet seinen Vorschlag mit einer infolge der BFH-Rechtsprechung bestehenden „Gefahr“ von mehraktigen Gestaltungen, mit denen einzelne Wirtschaftsgüter von einem Körperschaftsteuersubjekt auf ein anderes Körperschaftsteuersubjekt übertragen werden. Im Gegensatz zum BFH zielt der Bundesrat somit ausdrücklich auf die Subjektbezogenheit ab und beschränkt die Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nicht auf den Zweck des Verhinderns eines Steuerregimewechsels.
Zur Freude der Steuerpflichtigen sind die vom Bundesrat vorgeschlagenen Sätze 7 und 8 nicht in der finalen Fassung des JStG 2022 enthalten. Im Ergebnis wird damit die Rechtsprechung des BFH zur teleologischen Reduktion des § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG nicht durch die Einfügung von zwei ergänzenden Sätzen torpediert. Demnach sollten auch zukünftig nicht jegliche Begründungen oder Erhöhungen von Anteilen einer Körperschaft im Anschluss an eine steuerneutrale Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist zur rückwirkenden Aufdeckung der stillen Reserven führen. Es kommt gemäß der BFH-Rechtsprechung weiterhin darauf an, ob eine Statusänderung aufgrund eines Wechsels des Besteuerungsregimes von der Einkommen- zur Körperschaftsteuer bzw. ob eine vollentgeltliche Übertragung unter Aufdeckung von stillen Reserven vorliegt.
Auswirkungen auf die Beratungspraxis
In der Vergangenheit stellte die Körperschaftsteuerklausel häufig ein Hindernis im Rahmen von Umstrukturierungen dar. Im Anschluss an eine steuerneutrale Übertragung nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG musste sichergestellt werden, dass in den folgenden sieben Jahren eine Beteiligung einer anderen Körperschaft an dem zu Buchwerten übertragenen Wirtschaftsgut vermieden wird. Die jüngste BFH-Rechtsprechung ist daher aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen und nahm ein wenig Druck von der Körperschaftsteuerklausel des § 6 Abs. 5 EStG. Entgegen den ausdrücklichen Empfehlungen des Bundesrats wurde die aktuelle BFH-Rechtsprechung zu § 6 Abs. 5 EStG nicht gesetzlich zurückgedreht. Im Ergebnis wurde der üblichen Praxis der gesetzlichen Rücknahme von BFH-Entscheidungen nicht gefolgt, sodass die aus Sicht der Steuerpflichtigen erfreuliche Rechtsprechung weiterhin gilt und die Körperschafsteuerklausel somit etwas an Brisanz verliert.