FG Hessen vom 25.05.2021 – 10 K 707/20
Leistungen einer ausländischen Stiftung an seine inländischen Begünstigten unterliegen nach den gesetzlichen Vorschriften als Einkünfte aus Kapitalvermögen der Einkommensteuer, wenn diese Leistungen „Gewinnausschüttungen“ einer Kapitalgesellschaft „wirtschaftlich vergleichbar sind“ (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 i.V.m. Satz 1 EStG). Seit Jahren herrscht Streit darüber, wann Leistungen einer Stiftung in diesem Sinne dividendenähnlich sind. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine wirtschaftliche Vergleichbarkeit mit einer Dividende jedenfalls dann anzunehmen, wenn der inländische Leistungsempfänger unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen kann (BFH vom 03.11.2010 – I R 98/09, DB 2011 S. 451), etwa weil er Mitglied des Stiftungsbeirates ist und dadurch die Ausschüttungspolitik der Stiftung mitgestaltet.
Mit sog. Gerichtsbescheid vom 25.05.2021 hat das Finanzgericht Hessen entschieden, dass über die bisherige Rechtsprechung des BFH hinaus grundsätzlich jegliche Stiftungsleistungen an inländische Destinatäre unabhängig von einer etwaigen Einflussnahmemöglichkeit des Empfängers wirtschaftlich vergleichbar mit Gewinnausschüttungen sind. Nach Ansicht des FG Hessen sollen nur solche Leistungen ausnahmsweise nicht der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG unterliegen, denen im weitesten Sinne eine Gegenleistung des Empfängers gegenübersteht. In der Sache folgt das FG Hessen damit der Haltung der Finanzverwaltung, die dem (vom Gesetzgeber nachträglich ergänzten) Kriterium der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit einer Gewinnausschüttung bereits bislang keine einschränkende Qualität beigemessen hat (BMF vom 27.06.2006 – IV B 7 – S 2252 – 4/06, DB 2006 S. 1464).
Die Empfänger von Leistungen ausländischer Stiftungen müssen somit davon ausgehen, dass von ihnen empfangene Leistungen bestenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen nicht der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG unterliegen.
Als ein solcher Ausnahmefall dürfte bei Stiftungen meist nur die Auskehrung von Leistungen aus der Vermögenssubstanz der Stiftung in Frage kommen. Nach zwei finanzgerichtlichen Entscheidungen aus dem Jahr 2019 (FG Münster vom 16.01.2019 – 9 K 1107/17 F, DStRE 2019 S. 755; FG Rheinland-Pfalz vom 31.07.2019 – 1 K 1505/15, DStRE 2019 S. 1384) ist für deutsche Familienstiftungen ein steuerliches Einlagekonto festzustellen. Folge hiervon ist, dass Auszahlungen aus diesem Einlagekonto nicht der Einkommensteuer unterliegen. Unabhängig davon, dass die Finanzverwaltung diese Urteile nicht anerkennt (vgl. LfSt Niedersachsen vom 26.09.2019 – S 2836 – 1 – St 241, DB 2019 S. 2268), existiert bislang keine entsprechende Entscheidung für eine ausländische Stiftung. Dabei dürfte die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV) für ausländische Stiftungen genauso gelten wie für ausländische Kapitalgesellschaften. Im Hinblick auf den in der Praxis erforderlichen Nachweis der „Einlagenrückgewähr“ bestehen jedoch leider größte Unsicherheiten. Fälle, in denen die Finanzverwaltung die ertragsteuerneutrale Substanzrückzahlung einer ausländischen Stiftung anerkannt hat, sind vermutlich deshalb bislang öffentlich nicht bekannt.
Ein ganz anderer – im Interesse der Rechtssicherheit positiver – Befund für die Besteuerung von Stiftungsleistungen ergibt sich indes aus dem Tatbestand des Gerichtsbescheids des FG Hessen vom 25.05.2021: Die Finanzverwaltung hatte die Leistungen der ausländischen Familienstiftung im Streitfall zunächst als freigebige Zuwendungen behandelt und der Schenkungsteuer unterworfen. Mit Urteil vom 03.07.2019 (II R 6/16, DB 2019 S. 2616) hatte der BFH allerdings zum einen festgestellt, dass Zuwendungen einer ausländischen Stiftung nur dann nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG steuerbar sind, wenn sie eindeutig gegen den Satzungszweck verstoßen. Zum anderen hatte der BFH entschieden, dass eine Besteuerung der Leistungen ausländischer Stiftungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 Hs. 2 ErbStG nur in Betracht kommt, wenn die Begünstigten als sog. „Zwischenberechtigte“ über einen rechtlich verfestigten Titel am Vermögen der Stiftung verfügen. Nicht schenkungsteuerpflichtig auf die erhaltenen Leistungen ist demnach, wer keine Ansprüche gegenüber der Stiftung hat. Die Finanzverwaltung hat dieses Urteil mit Verfügung vom 05.03.2020 anerkannt (LfSt Bayern vom 05.03.2020 – S 3806.2.1 – 104/42 St 34, DStR 2020 S. 599). Im Entscheidungsfall des FG Hessen wurde der Schenkungsteuerbescheid demgemäß wieder aufgehoben. In den meisten Fällen droht den Empfängern von Leistungen ausländischer Stiftungen somit in Deutschland keine Mehrfachbelastung mit Einkommensteuer und Schenkungsteuer mehr.
FG Köln vom 24.02.2021 – 4 K 1184/18
Das FG Köln hat sich am 24.02.2021 sowohl mit der Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG als auch mit der Einkommensbesteuerung von Leistungen einer liechtensteinischen Stiftung an eine deutsche Begünstigte auseinandergesetzt. Besonderheit des Sachverhalts war der Umstand, dass die mit dem Stifter in der Nebenlinie verwandte inländische Begünstigte laut der ursprünglichen Stiftungssatzung „zu einem Viertel“ der Erträge als Begünstigte eingesetzt war. Nach dem Tod des Stifters errichtete ein Dienstleistungsunternehmen in Liechtenstein eine neue Stiftung zugunsten der inländischen Begünstigten sowie einer anderen Verwandten des Stifters. Die neue Stiftung erhielt von der alten Stiftung zwei Wertpapierdepots. Die Erträge des einen Depots sollten der inländischen Begünstigten „allein auf Lebenszeit“ zustehen; aus den Erträgen des anderen Depots sollte die andere Verwandte monatlich 1.030 € erhalten. Nach dem Ableben der inländischen Begünstigten sollte das Vermögen der neuen Stiftung im Wesentlichen an eine gemeinnützige Stiftung fallen. Die Finanzbehörde rechnete sämtliche Erträge des der inländischen Begünstigten zugewiesenen Wertpapierdepots dieser gemäß § 15 AStG für Zwecke der Einkommensbesteuerung zu.
Nach Ansicht des FG Köln war die Zurechnungsbesteuerung tatbestandlich nicht anwendbar. Zwar war der Stifter der alten Stiftung nach Ansicht des Gerichts auch als Stifter der neuen Stiftung anzusehen, obwohl diese erst nach seinem Tod von einem Dienstleistungsunternehmen errichtet worden war. Maßgeblich für das Gericht war hierfür der Umstand, dass mit der Satzung der neuen Stiftung der ursprüngliche und unwiderrufliche Stifterwille im Grunde fortgeführt wurde. Die Zuwendungsbesteuerung sei jedoch nicht anwendbar, da es sich bei der neuen Stiftung nicht um eine „Familienstiftung“ im Sinne von § 15 Abs. 2 AStG gehandelt habe. Ausweislich der Satzung der alten Stiftung sei die inländische Begünstigte nur „zu einem Viertel“ begünstigt gewesen und die andere Verwandte des Stifters gar nicht. Dieser Stifterwille sei auch für die neue Stiftung weiter maßgeblich, weshalb es der neuen Stiftung an einer mehr als hälftigen Bezugs- oder Anfallsberechtigung von Angehörigen des Stifters oder deren Abkömmlingen fehlte.
Eine Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG kam ebenfalls nicht in Frage, da diese Bestimmung erst ab 2009 auf ausländische Stiftungen erstreckt worden war und die Streitjahre im Urteilsfall vor 2009 lagen. Es blieb die Besteuerung der von der inländischen Begünstigten bezogenen Stiftungsleistungen als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 1 Buchst. a EStG. Hiernach bleibt festzuhalten:
- Bei ausländischen Stiftungen mit einer Vielzahl von (insb. auch gemeinnützigen) Begünstigten und komplexer Zuweisung der Bezugsberechtigungen muss genau geprüft werden, ob der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugs- oder anfallsberechtigt sind. Das Kriterium der „Familienstiftung“ hat sich damit als einschränkendes Tatbestandsmerkmal der Zurechnungsbesteuerung bewährt.
- Tatsächlich bezogene Stiftungsleistungen unterliegen selbst dann, wenn sie vor 2009 bezogen wurden oder wenn sie im Einzelfall nicht mit Gewinnausschüttungen wirtschaftlich vergleichbar sein sollten, der Einkommensbesteuerung, und zwar als sonstige Einkünfte. Auch insoweit dürfte allerdings die (bislang theoretisch gebliebene) Ausnahme der „Einlagenrückgewähr“ bestehen.
FG Hamburg vom 17.12.2020 – 6 K 307/19
In einer vielbeachteten Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg vom 17.12.2020 hat sich das Gericht einerseits mit der Frage des wirtschaftlichen Eigentums am Vermögen einer liechtensteinischen Stiftung beschäftigt und andererseits aufschlussreiche Ausführungen zu den Voraussetzungen der Befreiung von Stiftungen im EU-/EWR-Ausland von der Zurechnungsbesteuerung gemäß § 15 AStG gemacht.
Im Entscheidungsfall gehörten die inländischen Begünstigten der ausländischen Stiftung dem Kuratorium der Stiftung an und hatten damit als Mitglieder eines Stiftungsorgans weitreichende Mitwirkungsrechte bei der Verwaltung des Stiftungsvermögens und der Gestaltung der Ausschüttungspolitik der Stiftung. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2014 die Zurechnungsbesteuerung gemäß § 15 AStG angewendet.
Das FG Hamburg führte zunächst aus, dass die Frage des wirtschaftlichen Eigentums gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO und damit der primären Einkünftezurechnung gegenüber der Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG vorrangig zu prüfen ist. Im Ergebnis bejahte das FG Hamburg das wirtschaftliche Eigentum der liechtensteinischen Stiftung, da die Befugnisse der Begünstigten im Kuratorium zur Begründung wirtschaftlichen Eigentums nicht ausreichten. Dafür spreche der Vergleich mit der Position eines Alleingesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH; letzterer habe die Möglichkeit, sich jederzeit sämtliches Vermögen der GmbH auskehren zu lassen, ohne dass dies eine steuerliche Durchbrechung des Trennungsprinzips rechtfertigt.
Mangels wirtschaftlichen Eigentums der Stiftungsbegünstigten war damit der Anwendungsbereich der Zuwendungsbesteuerung im Streitfall eröffnet. Nach den gesetzlichen Bestimmungen sind Stiftungen mit Sitz im EU-/EWR-Ausland allerdings von der Zurechnungsbesteuerung befreit, wenn „nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht“ der Begünstigten „rechtlich und tatsächlich entzogen ist“ (§ 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG). Die Voraussetzungen dieser Befreiung hat das FG Hamburg im Streitfall verneint. Nach Ansicht des Gerichts deckt sich das Merkmal der „Entziehung der rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsmacht“ nicht mit den Voraussetzungen des wirtschaftlichen Eigentums. Vielmehr müsse das Merkmal weiter ausgelegt werden, so dass bereits eine Stimmrechtsmehrheit in einem Stiftungsgremium schädlich für die Befreiung von der Zurechnungsbesteuerung sei. Weitreichende Eingriffsrechte der Stiftungsbegünstigten können somit der vom Gesetz für die EU-/EWR-Befreiung geforderten unwiderruflichen Vermögenstrennung zwischen der Stiftung einerseits und ihrem Stifter und den Begünstigten andererseits entgegenstehen.
Die Entscheidung des FG Hamburg spielt für die Praxis eine große Rolle, da dem Merkmal der „Entziehung der rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsmacht“ damit – soweit ersichtlich – erstmalig eine eigenständige Bedeutung beigemessen wird, welche den Anwendungsbereich der EU-/EWR-Befreiung potentiell stark einschränkt. Vermutlich aus diesem Grund wurde gegen die Entscheidung des FG Hamburg Revision zum BFH unter Az. I R 11/21 eingelegt. Die Entscheidung des BFH darf mit Spannung erwartet werden. Stiftungen im EU-/EWR-Ausland mit inländischen Begünstigten müssen sich damit jedenfalls bis auf weiteres mit der (kaum rechtssicher zu beantwortenden) Frage beschäftigen, in welcher Weise ihre (inländischen oder ausländischen) Begünstigten künftig überhaupt noch an der internen Willensbildung der Stiftung als Mitglied eines Stiftungsorgans teilnehmen können, ohne damit die Befreiung der deutschen Begünstigten von der Zurechnungsbesteuerung gemäß § 15 AStG zu gefährden.