Hintergrund
Das Grundgesetz regelt die Grundsätze demokratischer Willensbildung in Art. 21 (Recht der Parteien auf Chancengleichheit) und Art. 38 GG (Recht der Bürger auf gleiche Teilhabe an der politischen Willensbildung). Diesen Grundsätzen unterliegen gemeinnützige Körperschaften nicht. Einfachgesetzlich stellt das Parteiengesetz im Interesse der Transparenz und der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb hohe Anforderungen an die Zulässigkeit von Parteispenden. Die Steuergesetze begrenzen die steuerliche Abzugsfähigkeit von Parteispenden deutlich stärker als diejenige von gemeinnützigen Spenden. Auch vor diesem Hintergrund ist es daher geboten, eine vorrangig politische Betätigung unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit auszuschließen. Da gemeinnützige Zwecke wie Umweltschutz, Bildung, Kultur, Wohlfahrtswesen usw. auch politische Aspekte beinhalten, stellt sich die Frage nach den Grenzen politischer Betätigung von Non-Profit-Organisationen.
Der BFH hat seine Rechtsprechung zur politischen Betätigung gemeinnütziger Körperschaften in jüngerer Zeit vor allem in zwei öffentlichkeitswirksamen Verfahren fortgeführt. Im Fall „BUND“ ging es um die politische Betätigung einer Umweltschutz-Organisation; die Klage gegen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit war im Ergebnis erfolgreich. Die Klage von „Attac“ blieb hingegen erfolglos; nach Auffassung des BFH waren die Grenzen der zulässigen politischen Betätigung überschritten (BFH vom 10.01.2019 – V R 60/17, DB 2019 S. 645; Beschluss vom 10.12.2020 – V R 14/20, DB 2021 S. 210). Die in diesen Entscheidungen vorgenommenen Abgrenzungen liegen auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung (zur Einordnung vgl. Hüttemann, DB 2019 S. 745 ff.). Verkürzt gesagt liegt eine zulässige Einflussnahme auf die politische Willensbildung danach vor, wenn die Maßnahmen der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks dienen, gegenüber anderen Maßnahmen der Zweckverwirklichung jedenfalls nicht überwiegen und parteipolitisch neutral sind. Gemeinnützige politische Bildung muss sich „in geistiger Offenheit“ vollziehen; die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinne eigener Auffassungen ist hingegen nicht förderungswürdig.
Das FG München zeigt nun, wie diese Grundsätze im Einzelfall anzuwenden sind. Die ausgewogene und sorgfältig begründete Entscheidung ist über den entschiedenen Fall hinaus von Interesse.
Sachverhalt
Der Antragsteller, ein eingetragener Verein, bezweckt nach seiner Satzung die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO), ferner die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 24 AO). Als ein Zusammenschluss von in der Medizin tätigen Personen und Wissenschaftlern hat er sich zum Ziel gesetzt, gesellschaftliche und politische Entwicklungen angesichts der „Corona-Pandemie“ kritisch zu beobachten und möglichst breite Bevölkerungsschichten darüber zu informieren. Der Verein möchte ein Netzwerk von Gleichgesinnten über das ganze Bundesgebiet bilden.
Bis September 2020 veröffentlichte der Antragsteller verschiedene Beiträge, in denen etwa der Sinn von Hygienemaßnahmen in Frage gestellt und auf gesundheitsschädliche Nebenwirkungen hingewiesen wurde. Überdies sprach er die Bitte an Ärzte aus, sorgfältig die Befreiung von der Maskenpflicht zu prüfen, und warnte vor einem drohenden Impfzwang. Zeitweise war im Internet ein Aufruf an die Bundes- und Landesregierungen abrufbar, wonach die Aufhebung aller Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verlangt wurde. Zeitgleich wurde die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gefordert und auf das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG hingewiesen. Zudem forderte der Verein zum gerichtlichen Vorgehen gegen Corona-Maßnahmen im schulischen Kontext auf.
Das Finanzamt beanstandete die tatsächliche Geschäftsführung (§ 63 Abs. 1 AO), verneinte die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG und erließ einen Vorauszahlungsbescheid über Körperschaftsteuer. Das FG München hatte über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu entscheiden.
Entscheidung
Das FG München bestätigte die durch das Finanzamt durch Erlass des sog. „Nullbescheids“ vorgenommene Aberkennung der Gemeinnützigkeit. In entsprechender Anwendung der höchstrichterlich entwickelten Grundsätze kam das FG München zu der Überzeugung, dass sich der Antragsteller mit seinen Aktivitäten bei der tatsächlichen Geschäftsführung nicht mehr auf die Förderung des Gesundheitswesens und des demokratischen Staatswesens beschränkte.
Die anlassbezogene Gründung zu Beginn der Corona-Pandemie und die Zusammensetzung des Mitgliederkreises u.a. aus Ärzten und Hochschulprofessoren verschiedener Fachrichtungen deutet aus Sicht des Gerichts ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf eine exklusiv politische Motivation hin. Auch mit Veröffentlichungen, in denen auf gesundheitliche Gefahren von einzelnen „Corona-Maßnahmen“ hingewiesen wurde, und denen ein Zustandekommen auf wissenschaftlicher Basis aus einer ex-ante-Perspektive nicht von vornherein abgesprochen werden kann, hat der Antragsteller noch seinem Zweck entsprechend einen Beitrag zur öffentlichen Gesundheitspflege geleistet.
Ob die Grenze zur politischen Betätigung bereits mit dem Aufruf an ärztliche Kollegen, eine Befreiung von der Maskenpflicht zu prüfen, oder mit der Veröffentlichung zu den Gefahren einer Corona-Impfung bereits überschritten war, lässt das FG offen. Es stellt in diesem Zusammenhang klar, dass es nicht Aufgabe des Gemeinnützigkeitsrechts ist, allein die Mehrheitsmeinung zu fördern. Auch abweichende Ansätze und Auffassungen seien förderwürdig, solange sie nicht völlig abwegig sind.
Die Grenzen zulässiger politischer Betätigung überschritten hat der Verein nach Auffassung des Gerichts indessen mit der Aufforderung an die Bundes- und Landesregierungen zur sofortigen Aufhebung aller Maßnahmen, denn hiermit ist er in den politischen Wettstreit um die zutreffende Strategie zur Bekämpfung der Corona-Pandemie getreten. Da eine Auseinandersetzung mit triftigen Gründen für eine Maskenpflicht unterblieb, zeigten sich diese Aktivitäten nicht mehr als ergebnisoffen und gemeinwohlorientiert, sondern waren Ausdruck der Verfolgung von Gruppeninteressen, so das FG München. Zulässig gewesen wäre eine sachliche Kritik an politischen Maßnahmen, nicht aber die Forderung von Gegenmaßnahmen, welche eine ergebnisoffene Lösung nicht zulassen. Auch in dem Hinweis auf das im Grundgesetz enthaltene Widerstandsrecht sah das Gericht ein Indiz für eine nicht gemeinwohlorientierte Betätigung, da hiermit den politischen Maßnahmen Nachdruck verliehen werden sollte. Den Aufruf an Eltern, gegen die Maskenpflicht in Schulen gerichtlich vorzugehen, ordnete das FG als gemeinnützigkeitsschädliche Maßnahme zur Verfolgung von Gruppeninteressen ein.
Da die Maßnahmen des Vereins nicht in geistiger Offenheit ausgeübt wurden und nicht die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Vordergrund stand, sondern vorrangig die Einflussnahme auf die politische Willensbildung, lag nach Überzeugung des Gerichts auch keine Förderung des demokratischen Staatswesens vor.
Keine Bedeutung maß das FG München der zwischenzeitlichen Entfernung einiger Aufrufe von der Internetseite bei, da eine nur zeitweise gemeinnützigkeitsschädliche Tätigkeit die Steuerbefreiung ausschließt (vgl. § 63 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 2 AO).
Bewertung
Die jüngeren Entscheidungen des BFH wie auch die darauf aufbauende Entscheidung des FG München verdeutlichen, dass nicht jede Einflussnahme auf die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung gemeinnützigkeitsschädlich ist. Die Gerichte erkennen an, dass die nach § 52 Abs. 2 AO begünstigten Tätigkeiten zwangsläufig auch mit einer politischen Zielsetzung verbunden sein können. Überzeugend zeigt das FG München im vorliegenden Fall allerdings auf, dass der von wissenschaftlichen Erkenntnissen losgelöste, nicht mehr faktenbezogene Versuch, die eigene Meinung politisch durchzusetzen, nicht förderungswürdig ist.
Ausblick
Anders als von einigen erhofft oder erwartet, hat der Gesetzgeber die kleine Gemeinnützigkeitsrechtsreform im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 nicht genutzt, um den gesetzlichen Rahmen für die politische Betätigung von Non-Profit-Organisationen zu verschieben. Den am 01.08.2021 von der Gesellschaft für Freiheitsrechte vorgelegten Entwurf eines „Demokratiestärkungsgesetzes“ (abrufbar unter: https://freiheitsrechte.org/demokratiestaerkungsgesetz/) kann man durchaus als Warmlaufen für die neue Legislaturperiode begreifen. Der Vorschlag enthält eine Ergänzung des gemeinnützigen Zweckkatalogs um Förderzwecke wie „demokratische Teilhabe“, „Durchsetzung, Stärkung und Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der nationalen und internationalen Grund- und Menschenrechte“ und „Förderung des Friedens“ sowie die Möglichkeit, diese Zwecke ausschließlich durch Einflussnahme auf die politische Willensbildung und öffentliche Meinung zu fördern. Die sog. Extremismusklausel (§ 51 Abs. 3 AO) soll nach dem Vorschlag dahingehend geändert werden, dass die Erwähnung einer Organisation im Verfassungsschutzbericht keine widerlegbare Vermutung mehr für gemeinnützigkeitsschädliche verfassungsfeindliche Bestrebungen darstellt, sondern es auf „tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht“ ankommen soll.
Will der Gesetzgeber einen solchen Vorschlag umsetzen, hat er verfassungsrechtliche Vorgaben zu berücksichtigen. Das BVerfG wird Gelegenheit haben, diese im Rahmen der Verfassungsbeschwerde weiter zu konkretisieren, die „Attac“ Anfang des Jahres erhoben hat (Az. des BVerfG: 1 BvR 697/21). Die Organisation sieht sich durch die zitierten BFH-Entscheidungen bzw. durch § 52 Abs. 2 AO in seinen Grundrechten aus Art. 9 Abs. 1 GG (Vereinigungsfreiheit), Art. 5 Abs. 1 Satz 1 (Meinungsfreiheit) und Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitssatz) verletzt.
Aus Sicht der gemeinnützigen Organisationen stellt sich die Frage, ob und ggf. wie bei einer Liberalisierung extremistische, demokratiefeindliche und verschwörungsideologische Organisationen von Steuervergünstigungen ausgeschlossen werden können. Soll das Vertrauen in den Non-Profit-Sektor nicht beschädigt werden, bedarf es hierfür unbedingt einer rechtssicheren Lösung.