Derzeitige Rechtslage
Es sind zwei Typen koordinierter grenzüberschreitender Außenprüfungen zu unterscheiden: Zum ersten ist dies die sog. Simultanprüfung (= gleichzeitige Prüfung), bei der die beteiligten Finanzbehörden im eigenen Hoheitsgebiet jeweils eigenständige Steuerprüfungen mit zeitnahem Informationsaustausch durchführen (§ 12 EUAHiG, Artikel 12 EU-Amtshilferichtlinie). Zum zweiten sind Joint Audits (= gemeinsame Prüfungen) zu nennen, bei denen – weitergehend – gemeinsame und zeitgleich durchgeführte Außenprüfungen durch zwei oder mehr EU-Steuerbehörden erfolgen, wobei wechselweise Kompetenzen auch auf dem anderen Hoheitsgebiet bestehen (§ 10, 11 EUAHiG, Artikel 11 EU-Amtshilferichtlinie). Die deutsche Finanzverwaltung hat in einem ausführlichen Merkblatt vom 09.01.2017 (BStBl. I 2017 S. 89) praxisnahe Hinweise zur Funktion des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt) als „zentralem Verbindungsbüro“ sowie aktiven und passiven Prüfungsrechten der jeweiligen Finanzbediensteten gegeben. Wichtig ist: Der Steuerpflichtige selbst muss der Befragung und Dokumentenprüfung im Rahmen eines Joint Audits auch durch Bedienstete eines anderen EU-Mitgliedsstaats zustimmen (§ 10 Abs. 3 Satz 2 EUAHiG). Das betroffene Unternehmen hat also eine durchaus „proaktive Rolle“ und kann die Durchführung eines Joint Audits anregen. Ein Rechtsanspruch auf Joint Audits besteht allerdings nicht. Zudem sind Joint Audits auch bei Drittstaaten – gestützt auf Artikel 26 OECD-Musterabkommen oder z.B. Artikel 8, 9 Amtshilfeabkommen mit der Schweiz – möglich. Einzelne Bundesländer haben mittlerweile Kompetenzzentren für koordinierte grenzüberschreitende Außenprüfungen gebildet; insbesondere das internationale Steuerzentrum (IStZ) in München ist zu nennen. Insgesamt sammeln international tätige deutsche Unternehmen derzeit praktische Erfahrungen mit Joint Audits, die mit Blick auf die Vermeidung/Reduzierung von Doppelbesteuerungen und die im Vergleich sehr langwierigen Verständigungs- und Schiedsverfahren durchaus positiv sind (vgl. etwa Reislhuber, Streitvermeidung durch Joint Audit, Festschrift Kroppen, 2020, S. 347–364 ).
Neue Rechtslage ab 2024
Insbesondere zur Gewährleistung verbesserter Rechtssicherheit sollen die Rechte, Pflichten und Koordinationsinstrumente der zuständigen Finanzbehörden bei Joint Audits durch DAC 7 präzisiert und weiterentwickelt werden. Die DAC 7 vorangestellten Erwägungsgründe Nummer 22-29 beschreiben die EU-Regelungsmotivation. In Artikel 3 Nr. 26 wird die Bezeichnung „Joint Audit“ neu eingeführt und definiert. Insgesamt soll die grenzüberschreitende Verwaltungszusammenarbeit von Behörden unterschiedlicher Hoheitsgebiete bei Joint Audits durch die DAC 7-Neuregelung gestärkt werden (etwa durch Schaffung einer 60-Tage-Entscheidungsfrist für ein Joint Audit oder durch Darlegung der gemeinsamen Feststellung von Sachverhalten in einem Prüfungsbericht); die jeweiligen nationalen Rechts- und Verfahrensvorschriften bleiben vollumfänglich erhalten. Erstaunlich ist aber, dass die bisherige „proaktive Stellung des Steuerpflichtigen“ im neuen Artikel 12a fehlt. Denn die „Vereinbarung“ eines Joint Audits erfolgt nur zwischenbehördlich; die geprüfte Person wird lediglich über das Ergebnis der jeweiligen Prüfung unterrichtet, was eine Übersendung des Prüfungsberichts innerhalb von 60 Tagen nach seiner Erstellung einschließt (Artikel 12a Abs. 5). Dies scheint mir ein „Rückschritt“ im Vergleich zum Status quo zu sein. Dem deutschen Gesetzgeber sollte insoweit allerdings wohl eine gewisse Ermessensfreiheit zur Umsetzung zustehen. Deshalb sollte die „proaktive Stellung“ des Steuerpflichtigen zumindest beibehalten, wenn nicht gar verstärkt werden.
Zusammengefasst
DAC 7 wird dem Instrument von „Joint Audits“ insbesondere zur vertieften Sachverhaltsanalyse bei grenzüberschreitenden Vorgängen mit Blick auf frühzeitige Vermeidung von Doppelbesteuerung (einschließlich der Verhinderung „weißer Einkünfte“) und wechselseitigem Verständnis für internationale steuerliche Konsequenzen weiteren „Schub“ verleihen. Praxisgeeignete Prüffelder für ein Joint Audit dürften – etwas pauschaliert – nicht nur Verrechnungspreisfragen, sondern auch grenzüberschreitende Umstrukturierungen, Betriebsstättenbegründungen mit Einkunftsallokationen, Funktionsverlagerungen, Entstrickungen oder internationale Mitunternehmerschaften und Organschaften sein. Betroffene Unternehmen sollten die Chancen von Joint Audits bei der BP-Planung mit bedenken. Deren Weiterentwicklung durch DAC 7 fügt sich in die derzeitige nationalstaatliche Diskussion um die Modernisierung der Betriebsprüfung hin zu einer mehr kooperativen begleitenden Kontrolle in Verbindung mit verbesserter „Tax Certainty“ ein. Der deutsche Gesetzgeber wird die DAC 7-Richtlinie im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Joint Audits hoffentlich zeitnah und in behutsamer Einbindung von Fiskal- und Unternehmensinteressen umsetzen.