BFH-Rechtsprechung – Wieso wurde der Gesetzgeber tätig?
Mit dem Grundsatzurteil vom 11.07.2017 (BFH vom 11.07.2017 – IX R 36/15, BStBl. II 2019 S. 208 = DB 2017 S. 2330) änderte der BFH seine langjährige Rechtsprechung zur Behandlung ausgefallener Finanzierungshilfen eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft. Während Rechtsprechung und Finanzverwaltung (BMF vom 21.10.2010, BStBl. I 2010 S. 832 = DB 2010 S. 2417) solche Darlehensverluste bis zu jenem Urteil als nachträgliche Anschaffungskosten im Bereich des § 17 EStG berücksichtigten und somit ein steuerlicher Abzug in Höhe von 60% möglich war, hielt der IX. Senat an dieser Auffassung nicht länger fest, denn die Rechtsgrundlage hierfür sei aufgrund der Änderungen durch das MoMiG entfallen. Rechtsfolge der neuen Rechtsprechung ist, dass Gesellschafterdarlehen nicht länger als nachträgliche Anschaffungskosten i.S.d. § 17 EStG behandelt werden konnten. Aufgrund der langjährigen Rechtsprechung gewährt der BFH jedoch Vertrauensschutz, wonach die frühere Rechtsprechung in allen offenen Fällen anzuwenden ist, wenn die eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis einschließlich 27.09.2017 gewährt wurde oder eigenkapitalersetzend geworden ist. In der Praxis ist diesbezüglich jedoch zu prüfen, ob ein im Schrifttum für möglich gehaltener Verzicht auf die Anwendung der Vertrauensschutzregelung nicht zu einem günstigeren Ergebnis führt. Die Finanzverwaltung hat sich der geänderten Rechtsauffassung des BFH angeschlossen (BMF vom 05.04.2019, BStBl. I 2019S. 257 = DB 2019 S. 818), weshalb ohne ein weiteres Urteil Darlehensverluste im Privatvermögen unberücksichtigt geblieben wären.
Dieses Problem behob der BFH mit einem Urteil vom 24.10.2017 (BFH vom 24.10.2017 – VIII R 13/15; DB 2017 S. 3035) und leitete damit einen Paradigmenwechsel ein. Der VIII. Senat entschied, entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, dass ein endgültiger Darlehensausfall im Privatvermögen einer Veräußerung zu 0 € gleichstehe und zu einem Verlust i.S.d. § 20 EStG führen kann. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit Einführung der Abgeltungsteuer eine vollständige Erfassung aller Wertveränderungen von Kapitalanlagen erreichen wollte, wozu nicht nur Gewinne, sondern auch Verluste zählen. Der X. Senat (BFH vom 09.07.2019 – X R 9/17, DB 2020 S. 89) schloss sich der Auffassung des VIII. Senats mit der Maßgabe an, dass das Darlehen nach dem 31.12.2008 begründet werden musste, um einen Verlust berücksichtigen zu können. Mit einem weiteren Urteil vom 06.08.2019 (BFH vom 06.08.2019 – VIII R 18/16; DB 2019 S. 2559) entwickelte der VIII. Senat seine Rechtsprechung fort und erkannte auch den Verlust aus dem Verzicht auf ein nicht werthaltiges Darlehen an, soweit diesem Anschaffungskosten gegenüberstehen. Dabei stellte der BFH auch klar, dass solche Verluste zu 100% mit positiven Einkünften anderer Einkunftsarten, wie z.B. den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, verrechnet werden können, wenn die Beteiligungsquote an der darlehensnehmenden Gesellschaft mindestens 10% beträgt (§ 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG). Die Urteile wurden trotz der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BFH bis heute weder im Bundessteuerblatt noch im Anwendungsschreiben zur Abgeltungsteuer (BMF vom 18.01.2016, BStBl. I 2016 S. 85) veröffentlicht, weshalb sich die Finanzverwaltung nicht an die Urteile gebunden sieht.
Reaktionen des Gesetzgebers
Mit dem „JStG 2019“ vom 12.12.2019 wurde § 17 Abs. 2a EStG eingeführt. Die Vorschrift überschreibt das o.g. BFH-Urteil vom 11.07.2017 und stellt damit die alte Rechtslage wieder her. Der Ausfall gesellschaftsrechtlich veranlasster Darlehen eines Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft mit einer Beteiligungsquote von mindestens 1% führt somit wieder zu nachträglichen Anschaffungskosten im Bereich des § 17 EStG und kann daher maximal zu 60% berücksichtigt werden. Gültig ist die Vorschrift unabhängig vom Zeitpunkt der Darlehenshingabe für alle Veräußerungen bzw. Auflösungen von Kapitalgesellschaften, die nach dem 31.07.2019 erfolgt sind (§ 52 Abs. 25a EStG). Auf Antrag kann die Neuregelung sogar auf Fälle angewendet werden, bei denen die Veräußerung vor dem 31.07.2019 erfolgt ist.
Mit dem Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom 21.12.2019 wurde außerdem eine neue Verlustabzugsbeschränkung im Bereich des § 20 Abs. 6 S. 6 EStG für Darlehensverluste aufgenommen, die nach dem 31.12.2019 entstehen. Danach dürfen Verluste aus
- der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung,
- der Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG,
- der Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG auf einen Dritten oder
- einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG
nur i.H.v. 10.000 € mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden. Nicht verrechnete Verluste können je Folgejahr bis zur Höhe von 10.000 € mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden. Während Gewinne aus Kapitalvermögen somit uneingeschränkt besteuert werden, wird der Verlustabzug durch den Gesetzgeber massiv eingeschränkt. Die verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung zwischen Gewinnen und Verlusten aus Kapitalvermögen steht der Norm quasi „auf die Stirn geschrieben“ und sollte in jedem Fall nicht akzeptiert werden.
Verlustberücksichtigung und Praxisempfehlungen
Fasst man den Wirrwarr aus Verwaltungsmeinung, BFH-Rechtsprechung und Gesetzesänderung zusammen, so ergibt sich folgendes Ergebnis:
Verluste aus Darlehen zwischen natürlichen Personen und aus Darlehen an Kapitalgesellschaften, an denen der Darlehensgläubiger zu weniger als 1% oder lediglich mittelbar beteiligt ist (vgl. BFH vom 09.07.2019 – X R 9/17, DB 2020 S. 89), können nach der geänderten Rechtsprechung des BFH und wegen der Gesetzesänderungen nur im Rahmen des § 20 EStG berücksichtigt werden, da eine Anwendung des § 17 EStG ausscheidet. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber quasi konkludent die Auffassung des BFH akzeptiert, wonach ein Darlehensausfall und ein Darlehensverzicht mit einer Veräußerung gleichzustellen ist. Verluste aus einem Darlehensausfall oder -verzicht, die ab dem 01.01.2020 entstehen, sind somit grundsätzlich berücksichtigungsfähig, können aufgrund der gesetzlichen Neuregelung jedoch nur bis zur Höhe von 10.000 € pro Jahr berücksichtigt werden. Für Verluste, die in den Jahren vor 2020 entstanden sind, ist, trotz der bisher ablehnenden Haltung der Finanzverwaltung, ein Antrag auf Verlustberücksichtigung zu stellen, um entsprechende Verfahren offen zu halten, insbesondere weil in diesen Jahren die Begrenzung auf 10.000 € nicht galt.
Sofern o.g. Voraussetzungen nicht vorliegen, besteht für Darlehensverluste im Jahr 2020 ein Konkurrenzverhältnis zwischen der Anwendung des § 17 Abs. 2a EStG und des § 20 EStG. Im Schrifttum wird darüber diskutiert, ob eine ggf. günstigere Berücksichtigung im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen überhaupt noch möglich ist, oder ob eine solche aufgrund des generellen Vorrangs des § 17 EStG vor § 20 EStG ausscheidet. In letzterem Fall könnten im schlimmsten Fall sogar Verluste aus Vorjahren rückwirkend aberkannt werden und stattdessen bei der Veräußerungsgewinnberechnung im Rahmen des § 17 EStG nur zu 60% zu berücksichtigen sein. Um ein solches ggf. nachteiliges Ergebnis zu vermeiden, könnte beispielsweise eine Holding-Struktur durch einen steuerneutralen Anteilstausch (§ 21 Abs. 2 UmwStG) geschaffen werden. In solchen Strukturen scheidet eine vorrangige Anwendung des § 17 Abs. 2a EStG mangels direkter Beteiligung an der darlehensnehmenden Gesellschaft bereits dem Grunde nach aus, weshalb nur § 20 EStG einschlägig sein kann und der Verlust somit zu 100% mit sämtlichen Einkunftsarten verrechnet werden kann. Alternativ könnte die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft veräußert werden, wobei das Darlehen weder mitveräußert wird, noch darauf verzichtet wird. Ein späterer Darlehensausfall bzw. -verzicht kann sodann – mangels einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft – im Rahmen des § 20 EStG erfasst werden.