BMF-Schreiben vom 09.04.2020
Hoffnungsvoll stimmt vor diesem Hintergrund das BMF-Schreiben vom 09.04.2020 (DB 2020 S. 868), in dem die Finanzverwaltung rechtzeitig vor den Osterfeiertagen verfügte, dass Verluste, die im Jahr 2020 nachweislich aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise im steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb oder in der Vermögensverwaltung entstehen, mit Mitteln aus allen Sphären gemeinnützigkeitsunschädlich ausgeglichen werden dürfen.
In seinem FAQ-Katalog vom 17.04.2020 präzisiert das BMF: Voraussetzung für die Unschädlichkeit sei, dass auf die Corona-Krise zurückzuführende Verluste, die bis zum 31.12.2020 entstanden sind, ausgeglichen werden. Eine Finanzierung von dauerhaften Verlusten der wirtschaftlichen Betätigung durch Mittel aus dem ideellen Bereich werde hingegen nicht akzeptiert (FAQ IX.10). Zudem soll es zulässig sein, in der Vergangenheit gebildete Rücklagen aufzulösen und zu verwenden, um die negativen Auswirkungen der Corona-Krise finanziell abzumildern (FAQ IX.9). Aus diesen Verlautbarungen dürfte zu schließen sein, dass ein Ausgleich des Verlusts mit Gewinnen der sechs vorangegangenen oder ggf. des folgenden Jahres – wie ihn die Finanzverwaltung grds. fordert – im Fall von „Corona-Verlusten“ nicht erforderlich ist, um die Gemeinnützigkeit zu erhalten.
Gemeinnützigkeitsrechtliche Business Judgment Rule
Dieser Ansatz ließe sich über die aktuelle Krise hinaus verallgemeinern: Nicht nur gesellschaftsrechtlich und stiftungsrechtlich, sondern auch gemeinnützigkeitsrechtlich sollte eine Business Judgment Rule bzw. ein unternehmerisches Ermessen für die Bereiche des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs sowie der Vermögensverwaltung durch die Finanzverwaltung anerkannt werden: Die Betrachtung aus der Rückschau, d.h. zu einem Zeitpunkt, in dem der Verlust bereits eingetreten ist, führt weder zivilrechtlich noch gemeinnützigkeitsrechtlich zu zutreffenden Ergebnissen.
Vielmehr sollte in Anlehnung an § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG gefragt werden, ob ein sorgfältig handelndes Vorstandsmitglied bei einer Entscheidung über die Aufnahme oder Fortsetzung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs oder einer Vermögensanlage vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information in Übereinstimmung mit gemeinnützigkeitsrechtlichen Grundsätzen zu handeln, insb. mit den Grundsätzen der Selbstlosigkeit (§ 55 AO) und der Ausschließlichkeit (§ 56 AO). Wie auch für die Frage, ob zivilrechtlich eine Pflichtverletzung vorliegt, kann es für die Gemeinnützigkeitsschädlichkeit einer mittelbeschaffenden Tätigkeit nur auf den Zeitpunkt ankommen, in dem diese aufgenommen wurde. Das FG München hat dies im Urteil vom 25.04.2016 – 7 K 1252/14 (EFG 2017 S. 753) in einem obiter dictum auf den Punkt gebracht: „Gemeinnützige Körperschaften sind bei der Wahl der Vermögensanlagen weitgehend frei. Sie dürfen jede Anlageform wählen, die aus der Sicht ex ante wirtschaftlich sinnvoll ist.“ Mangels Entscheidungserheblichkeit hat der BFH bedauerlicherweise keinen Anlass gesehen, ein solches gemeinnützigkeitsrechtlich anzuerkennendes unternehmerisches Ermessen ausdrücklich zu bestätigen (BFH vom 22.08.2019 – V R 67/16, DB 2019 S. 2555). Allerdings hat er bereits früher gesehen, dass es – wie im Zivilrecht – auch steuerlich auf die Ausübung des „pflichtgemäßen Ermessens“ von Organmitgliedern einer gemeinnützigen Stiftung ankommt (BFH vom 29.02.2008 – I B 159/07, BFH/NV 2008 S. 1203). Umso erfreulicher ist es daher, dass sich in der Corona-Krise auch in der Finanzverwaltung die Einsicht durchzusetzen scheint, dass ein eingetretener Verlust nicht zwingend einen Verstoß gegen das Gebot der Selbstlosigkeit indiziert.
Folgerungen für die Praxis
Die jüngsten Verlautbarungen der Finanzverwaltung entbinden die gemeinnützigen Körperschaften selbstverständlich nicht davon, etwaige (potentielle) Verlustbetriebe und -anlagen genau im Blick zu behalten: Zum einen sind Verluste nur dann unschädlich, wenn sie „nachweislich“ aufgrund der Corona-Krise entstanden sind. Durch entsprechende Dokumentation sollten betroffene Organisationen sicherstellen, dass sie diesen Nachweis führen können. Zum anderen wird die Finanzierung von dauerhaften Verlusten der wirtschaftlichen Betätigung nicht akzeptiert. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, ggf. gegenzusteuern und im Nachgang zu einem bereits eingetretenen Anfangsverlusts weitere Verluste nach Möglichkeit zu verhindern; auch hierzu sollte eine Dokumentation (z.B. durch entsprechende Vorstandsprotokolle) erfolgen.
Schließlich werden gemeinnützige Organisationen natürlich prüfen, welche Corona-Hilfsmaßnahmen sie ggf. in Anspruch nehmen können. Neben bisher nur wenigen gerade anlaufenden Programmen speziell für gemeinnützige Organisationen und neben Programmen für bestimmte Bereiche, wie nach dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz, können wirtschaftlich tätige Organisationen grds. auch Mittel aus der Corona-Soforthilfe für Unternehmen in Anspruch nehmen.
Fazit
Erfreulich wäre es, wenn im Rahmen der aktuellen Reformüberlegungen ein gemeinnützigkeitsrechtlich anzuerkennender Ermessensspielraum in der AO verankert würde (etwa als § 59 Abs. 2 AO) oder die Finanzverwaltung die aktuelle Krise zumindest zum Anlass nähme, die Abschnitte zur Verlusterzielung im AEAO entsprechend zu überarbeiten. Gemeinnützige Organisationen sind zur Erzielung von Einnahmen darauf angewiesen, ertragreiche (und entsprechend mit Risiken behaftete) Anlageformen zu wählen. Die aktuelle Krise veranschaulicht einmal mehr, dass auch bei höchster Sorgfalt im Vorfeld Verluste nicht immer zu vermeiden sind. Auch nach Ende der Krise wird sich das nicht ändern.