Sitzverlegung – immer noch viele Fragen offen
Unter der „Sitzverlegung“ wird die Frage diskutiert, ob eine nach dem Recht eines Staates gegründete Gesellschaft in einen anderen Staat „umziehen“ kann. Bleibt eine deutsche GmbH eine solche, wenn sie nicht mehr im deutschen Handelsregister, sondern im österreichischen Firmenbuch eingetragen ist? Verneint man dies, stellt sich die Folgefrage: Kann die GmbH durch schlichte „Umtragung“ zu einer österreichischen GmbH werden und dabei als Rechtspersönlichkeit fortbestehen? Die meisten Staaten der Welt lassen einen solchen Wegzug bereits zivilrechtlich nicht zu. Die Praxis ging deshalb schnell dazu über, nicht den Satzungssitz zu verlegen, sondern den Verwaltungssitz, der steuerlich Ort der Geschäftsleitung genannt wird. Gemeint ist der Ort der maßgebenden unternehmerischen Entscheidungen. Auch hier stellt sich die Frage, welche Auswirkung die Sitzverlegung auf die Rechtspersönlichkeit hat.
Im Wegzugsstaat stellt sich z.B. die Frage, ob es nicht zu einer (steuerlichen) Zwangsliquidation der Gesellschaft kommt, weil mit dem Ort der Geschäftsleitung die steuerliche Ansässigkeit und damit das Recht zur Besteuerung der stillen Reserven wechselt. Im Zuzugsstaat stellt sich z.B. die Frage, ob dieser Staat die Gesellschaft als Rechtsträger und Steuersubjekt anerkennen muss. Die Staaten der Welt sind hierbei unterschiedliche Wege gegangen. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass zwei Ansätze vorherrschen. Nach der sog. Sitztheorie ist auf das Gesellschaftsrecht des jeweils aktuellen Sitzstaates der Gesellschaft abzustellen. Die andere Sicht, die sog. Gründungstheorie, bestimmt abweichend, dass stets das Recht des Gründungsstaats maßgebend sein soll.
Innerhalb der EU hilft das Europäische Gemeinschaftsrecht, das den Mitgliedstaaten jede Diskriminierung von Angehörigen anderer Staaten verbietet. Mangels eines harmonisierten Gesellschaftsrechts ist aber auch hier fraglich, wie mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 54 AEUV zu verfahren ist. Wiederum gilt grundsätzlich: Beim Zuzug findet die Gründungstheorie Anwendung, und zuziehende Gesellschaften dürfen im Zuzugsstaat im Vergleich zu Gesellschaften dieses Staates nicht benachteiligt werden. Der Wegzug hingegen ist nicht generell von der Niederlassungsfreiheit gedeckt. Nur wenn das Recht des Wegzugsstaates die Sitzverlegung gestattet, ist die Niederlassungsfreiheit eröffnet. Für die Praxis lässt sich allerdings konstatieren, dass in den letzten Jahren vermehrt „erfolgreiche“ Sitzverlegungen beobachtet werden konnten. Und diejenigen, die gescheitert sind, scheiterten weniger an den Regeln des Steuerrechts als vielmehr am Registerrichter, der die Sitzverlegung eintragen muss, um ihr zur Wirksamkeit zu verhelfen.
Finale Verluste – Verlusttransfer über die Grenze
Die Grundsatzfrage bei den finalen Verlusten geht dahin, ob Verluste einer ausländischen Betriebsstätte (bzw. Tochtergesellschaft) im Ansässigkeitsstaat des Stammhauses (bzw. der Muttergesellschaft) steuerlich geltend gemacht werden dürfen, wenn die Nutzung im Ausland nicht (mehr) möglich ist. Obwohl bis heute gerungen wird, ob und wann finale Verluste vorliegen, ist nach einigem Hin und Her in der Spruchpraxis des EuGH vermeintlich unstrittig, dass sie im Ergebnis zu berücksichtigen sind. Dies hilft der Praxis aber leider wenig, da der EuGH auf die tatsächliche und nicht die rechtliche Unmöglichkeit des Verlustabzugs im Betriebsstättenstaat abstellt. Die Unmöglichkeit muss vom Steuerpflichtigen nachgewiesen werden, was praktisch eine kaum überwindbare Hürde ist.
Entscheidung im Spannungsfeld von Sitzverlegung und finalen Verlusten
In diese verworrene Rechtslage fällt nun die EuGH-Entscheidung „Aures“. Die Berater der wegziehenden Gesellschaft wollten eine identitätswahrende Sitzverlegung nach Tschechien durchführen und dann in einem zweiten Schritt die ursprünglich in den Niederlanden entstandenen Verluste als „finale Verluste“ nach Tschechien importieren. Der EuGH sah hier zu Recht die Niederlassungsfreiheit als eröffnet an. In der Versagung des Verlustimports durch Tschechien hingegen sah das Gericht zwar eine Ungleichbehandlung, eine Berücksichtigung der Verluste lehnte es jedoch ab. Da es sich um keine mit einem inländischen Sachverhalt vergleichbare Situation handele, sei die Verlustberücksichtigung ausgeschlossen. Vorliegend unterliegt die Gesellschaft in der Tat durch die Sitzverlegung nacheinander zwei verschiedenen Steuerhoheiten. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, die bisherige Rechtsprechung zu finalen Verlusten analog anzuwenden. In dem Zeitraum, in dem die Verluste anfielen, hatte der Zuzugsstaat nämlich (noch) kein Besteuerungsrecht an der Gesellschaft. Bei der Entwicklung der Grundsätze zu finalen Verlusten wurde jedoch stets berücksichtigt, dass die beteiligten Staaten in denselben Jahren ein Besteuerungsrecht für die maßgebliche Gesellschaft hatten. Daher schließt die unterschiedliche zeitliche Zuordnung mangels Steuerhoheit des Zuzugsstaats im Verlustentstehungszeitraum den Verlustabzug richtigerweise selbst dann aus, wenn objektiv finale Verluste vorliegen sollten.