Sachverhalt
In einer Klinik verhandelten Betriebsrat und Klinikleitung über Jahre hinweg über Fragen des Gesundheitsschutzes, wobei immer wieder externe Sachverständige hinzugezogen wurden, um die Belastung der Mitarbeiter abzufragen. Der Streit insbesondere über die Frage, wie die vorhandene Belastung der Mitarbeiter gemindert werden könne, führte letztlich in die Einigungsstelle. Dem Betriebsrat ging es vordringlich um die Festlegung von Mindestpersonalquoten je Patientenbett, während die Arbeitgeberseite eine solche Festlegung strikt ablehnte. Die Einigungsstelle kam jedoch durch Spruch zur Festlegung einer Mindestbesetzungsquote. Die Klinikleitung focht den Spruch der Einigungsstelle umgehend beim Arbeitsgericht Hamburg an und obsiegte dort.
Entscheidung
Die Beschwerde des Betriebsrates gegen die erstinstanzliche Entscheidung fand beim LAG Hamburg jedoch Gehör; das Gericht hielt den Spruch der Einigungsstelle für wirksam. Es verwies darauf, dass die gegensätzliche Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein (Beschluss vom 25. April 2018 – 6 TaBV 21/17) in einer anderen Klinik zur gleichen Grundfrage unzutreffend sei; auch wenn das BAG in der Sache nicht entschieden habe, sei aus dessen Beschluss vom 19. November 2019 (1 ABR 22/18) deutlich zu lesen, dass die vom LAG Schleswig-Holstein herangezogene Begründung nicht tragend sei. Das LAG Schleswig-Holstein hatte – mit der wohl herrschenden Meinung – vertreten, dass die Festlegung von Mindestbesetzungsquoten dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates entzogen sei. Zum einen handele es sich bei der Festlegung der Beschäftigtenanzahl um den Kernbereich der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit, in den der Betriebsrat nicht eingreifen dürfe. Überdies folge auch aus einem systematischen Verständnis des § 92 BetrVG einerseits und des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zum anderen, dass die Mitbestimmung bei der Gesundheitsprävention die Festlegung von Mindestbesetzungsquoten gerade ausschließe. § 92 BetrVG gewährt dem Betriebsrat bei der Personalplanung nämlich ausschließlich Informations- und Beratungsrechte und gerade keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte. Das LAG Hamburg verwies darauf, die unternehmerische Entscheidungsfreiheit sei nicht schrankenlos; auch betriebsbedingte Kündigungen unterlägen schließlich einer gerichtlichen Überprüfung. Sowohl die Entscheidung als auch die Argumente des LAG Hamburg sind abzulehnen. Das BetrVG sieht einen fein justierten Katalog an Informations-, Beratungs- und echten Mitbestimmungsrechten vor. Die für die Erledigung einer bestimmten Aufgabe vorgesehene Anzahl an Mitarbeitern kann immer – irgendwie – im Zusammenhang mit dem Gesundheitsschutz der Belegschaft gesehen werden. Die Zubilligung eines Mitbestimmungsrechtes bei der Festlegung von Beschäftigungsquoten würde daher im Ergebnis dazu führen, dass § 92 BetrVG eine eigene Daseinsberechtigung verliert. Das aber kann nicht das Ergebnis gerichtlicher Entscheidungen sein. Bereits im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen § 90 BetrVG einerseits (Gestaltung des Arbeitsplatzes) und der Mitbestimmung beim Gesundheitsschutz (§ 87 BetrVG) andererseits hatte das BAG in einer Serie von Entscheidungen schon explizit hervorgehoben, dass eine extensive Auslegung von § 87 BetrVG nicht dazu führen darf, dass die Systematik des BetrVG im Ergebnis obsolet wird. Das BetrVG fußt systematisch gerade auf dem Gedanken, dass in wesentlichen unternehmerischen Bereichen der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei entscheiden kann. Fragen wie „Mit welcher Personalstärke möchte ich den Betrieb führen?“ sind der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrates entzogen, §§ 111, 112 BetrVG. Eine Rechtsprechung, die diese Wertung konterkariert, liefe der gesamten Gesetzessystematik zuwidwer. Dem LAG Hamburg ist zudem vorzuhalten, dass es – bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung der Einigungsstelle –unbeachtet ließ, dass diese ihre Entscheidung auf Basis von mehrere Jahre alten Informationen und ohne Erwägung alternativer Optionen (beispielsweise Abdelegation administrativer Aufgaben vom medizinischen Personal) getroffen hat. Unberücksichtigt ließ das LAG Hamburg überdies, dass im pflegerischen Bereich der Gesetzgeber selbst Mindestbesetzungsvorgaben getroffen hat, die im vorliegenden Fall eingehalten wurden. Wenn der Gesetzgeber – durch parlamentarischen Beschluss – in die unternehmerische Gestaltungsfreiheit nur bis zu einem bestimmten Grad eingreift, dann kann es – durch extensive Auslegung von § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG – nicht mehr zulässig sein, dass der Betriebsrat qua Mitbestimmungsrecht diese gesetzgeberische Entscheidung ausweitet und noch strengere Anforderungen an die Kliniken stellt.
Praxishinweise
Es ist bereits seit einiger Zeit zu beobachten, dass der Kampf um Mindestbesetzungsquoten auf politischer Ebene (diverse gesetzgeberische Verordnungen zu solchen Quoten), auf gesellschaftlicher Ebene, auf gewerkschaftlicher Ebene (Forderung von Personalbesetzungs-Tarifverträgen) sowie auf betrieblicher Ebene von den Betriebsräten in konzertierter Aktion geführt wird. Arbeitgebern, die von Gewerkschaften und Betriebsräten entsprechend angegangen werden, kann nur zu ausgesprochen vorsichtigem Agieren geraten werden; die enge rechtliche Begleitung des arbeitgeberseitigen Verhaltens in diesen Fragen ist dringend anzuraten, um unnötige Fehler in der Kommunikation oder gar unnötige Entscheidungen zu Lasten der Arbeitgeberseite zu vermeiden.